zum Hauptinhalt

Medien: Brandbrief eines Bürokraten

ARD-Chefredakteur kritisiert Dokumentationen im Ersten

Eine „Abrechnung“ nannten die Nachrichtenagenturen gestern den mit „Liebe Kolleginnen und Kollegen“ überschriebenen Brief von ARD-Chefredakteur Hartmann von der Tann, den ein lieber Kollege an einen Journalisten weitergereicht hatte. So konnte die Medienszene innerhalb und außerhalb der ARD nachlesen, wie unzufrieden Hartmann von der Tann mit den Dokumentationen im Ersten ist.

Das Problem ist messbar: Die Quoten des Dokumentationssendeplatzes am Montag um 21 Uhr, auf dem die ARD vermeintlich populäre Reihen wie „Die großen Kriminalfälle“, „Die 50er Jahre“ und zuletzt den Vierteiler „Wettlauf zum Mond“ zeigt, schwächeln. Der Zuschauerschwund liege auch daran, schreibt von der Tann, dass von der Konferenz der Chefredakteure und Kulturchefs mitunter auch „Projekte gegen jegliche Vernunft verabschiedet“ würden, weil sich „letztlich keiner für den Platz verantwortlich“ fühle, „und so sieht er dann auch aus“. Er kritisierte auch die einzelnen ARD-Anstalten, die ihre Themen „notfalls auch ein bisschen künstlich auf möglichst viele Folgen“ streckten, um so oft wie möglich im Programm präsent zu sein.

Von der Tann plädiert für mehr Einzelstücke am Montag. Vom Reportagesendeplatz am Mittwoch sollten Serien ganz verbannt werden. Ansonsten lesen sich seine Lösungsvorschläge wie eine Persiflage auf die ARD mit ihrem Hang zur Umständlichkeit. Zunächst, schreibt von der Tann, müsse das Profil des Montagssendeplatzes klarer definiert werden. Dazu habe er die hausinterne Medienforschung um wissenschaftliche Hilfestellung gebeten. Er regt an, „eine kleine Redaktionsgruppe“ extra für die Montagsdokumentationen zu bilden, die der „fast utopischen Anforderung“ genügen müsse, sich „mehr dem Sendeplatz als den Interessen ihrer Häuser verpflichtet zu fühlen“.

Von der Tanns Kritik ist recht offen, was er damit begründet, dass er ein „alter Mann“ sei, „der nichts mehr zu verlieren“ habe; im Sommer geht er in Pension. Doch statt um eine inhaltliche Debatte geht es in seinem Brief vor allem um die Verwaltung von Sendeplätzen. Der Bürokratengeist der ARD hat auf ihn abgefärbt. Denn um interessante Dokumentationen zu produzieren, braucht es keine Definition, sondern gute Themenideen und Hierarchien mit einem Auge für herausragende Filmautoren. Von der Tann war es selbst, der in seinem Amt als Chefredakteur 13 Jahre lang für Dokumentationen und Reportagen im Ersten verantwortlich war. Er galt als Freund der leichten, menschelnden Themen.

Gestern wollte er seine Anstöße nicht öffentlich erläutern und sagte alle Interviewanfragen ab. Erst einmal soll auf der nächsten ARD-Konferenz am 13./14. März darüber diskutiert werden. nol

-

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false