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Noch auf Distanz. Das neue Team im Bremer „Tatort“ mit Linda Selb (Luise Wolfram, l.), Liv Moormann (Jasna Fritzi Bauer) und Mads Andersen (Dar Salim).

© Radio Bremen/Christine Schroeder

Bremer „Tatort“ mit neuem Team: Explosive Charaktere, Jasna Fritzi Bauer und ein bezaubernder Akzent

Radio Bremen schickt ein spannendes, neues „Tatort“-Team ins Rennen – und vergibt dabei dennoch eine Chance.

Ach, Bremen. Mein zweitliebstes Bundesland. Was gibt es da immer wieder für hübsche Schnorren, vor allem im Fernsehen. Früher viel Rudi Carrell, heute Gags via Jan Böhmermann, mit „3 nach 9“ eine der traditionsreichsten Talkshows, dazu noch ein sympathisch-wackerer Fußballverein, der Jahr für Jahr gegen den Abstieg aus der Bundesliga kämpft.

Und dann der „Tatort“. Jahrzehntelang die netten, teilweise guten bis sehr guten aber am Ende doch recht betäubenden Versuche der Kommissare Lürsen (Sabine Postel) und Stedefreund (Oliver Mommsen), es an der Weser krachen zu lassen.

Nun schickt Radio Bremen am Pfingstmontag ein neues Emittlerteam ins Rennen. Das könnte rocken, dachte man, wenn man sich die Besetzung anschaut: darunter die zu allem fähige Jasna Fritzi Bauer und der extrem lässige Dar Salim, der als Ermittler, nach erster Sichtung, schon mal den bezauberndsten Akzent im „Tatort“ seit Schimanskis „Hänschen“ Chiem van Houweninge spricht.

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Leider, um die Katze gleich mal aus dem Sack zu lassen, reicht das nicht, wird es noch nicht so krachend, schon gar Schimanski-mäßig. Auch wenn es im dunkel-trüben Bremen mit heftigen Gewaltszenen und gesellschaftlichen Verwerfungen losgeht.

Am Hafen wird ein Toter gefunden, der Mann sich offenbar von einem verlassenen Industrieturm in die Tiefe gestürzt und aufgespießt hat. Gleichzeitig ist ein Neugeborenes aus einer Klinik verschwunden.

Schnell führen die Spuren in ein sozial brisantes Bremer Viertel, ins Drogenmilieu, wo das Thema Arbeits-, Freud- und Perspektivlosigkeit mindestens genauso wichtig ist wie der Verbleib von Werder Bremen in der Fußball-Bundesliga.

["Tatort: Neugeboren", ARD, Montag, 20 Uhr 15]

So weit, so gut, so potenziell spannend. Im Bemühen, den neuen Ermittlern möglichst klug und vielversprechend die Bahn zu bereiten, ist den Machern etwas der rote Faden und damit den Zuschauern die Lust an der Lösung des Mordfalls abhanden gekommen, über weite Strecken zumindest.

Viel interessanter die Frage, welche explosiven Charaktere sich hier im TV- Kommissariat zusammen raufen: der Däne Mads Andersen (Dar Salim, „Game of Thrones“), der zu Beginn schon auf gepackten Koffern sitzt und auf dem Weg zum Bahnhof ist, zurück nach Kopenhagen, die Neue, Liv Moormann (Jasna Fritzi Bauer), die sich in der Mordkommission beweisen will und von der erfahrenen BKA-Beamtin Linda Selb (Luise Wolfram) als „Frischling“ und „Minnie Maus“ tituliert wird. Andersen geht bei Selb als „Wikinger“ oder „komischer Däne“ durch, womit das Humorpotenzial des Krimis aufgebraucht ist.

Nichts Neues

Es folgen die üblichen Mätzchen. Kennenlernen, Kompetenzgerangel, Dominanzbestreben. Und das dann alles so bestimmend, dass es über die 90 Minuten immer weniger interessiert, woher die Messerstiche am Körper des Toten kommen und welche Verbindung es in einem Sumpf aus Lügen, Eifersucht, geplatzten Träumen zwischen dem entführten Baby und den Drogenmilieu gibt.

Da hilft keine Stimme aus dem Off, keine Regie (Barbara Kulcsar), die Bremen über weite Strecke in Fassbindersches Licht, besser Dunkel taucht, und keine dräuende Tonspur, die dem Krimi spannungsheischend drauf gepackt wurde.

Vielleicht ist das ja der Grund, warum viele Sender über Jahrzehnte an ihren eingefahrenen „Tatort“-Teams festhalten (siehe Köln, München oder schon auch Münster): Weil es höchster Autorenschaft bedarf, um neue Ermittler zu etablieren, gleichzeitig einen überzeugenden Kriminalfall (hier kaum vorhanden) zu erzählen und dabei mit alten Sehgewohnheiten zu brechen.

Da hat Autor Christian Jeltsch, der zuletzt den Furtwängler-„Tatort“ „Krieg im Kopf“ über die Abhängigkeit von Wissenschaft und Rüstungskonzernen/Militärs und vorher ei paar visionäre Bremer Krimi-Folgen geschrieben hat, mehr drauf.

Klar, der erste Fall des neuen Teams an der Weser wird gelöst.

Bis dahin gehen die Ermittler flapsig, aber doch als Team miteinander um, fast so, wie man es von Schimanski und Hänschen kannte. „Du bist ein Nervendings, wie heißt das?“, sagt Andersen mit dänischen Akzent zu Moormann, die mit dem Wort „Nervensäge“ aushilft. Wenn er sagt: „Der Tod ist eben hinterlustig“, korrigiert sie: „listig“, „hinterlistig“. Und wie scharf Kollegin Selb verbal drauf ist, bekommt ihr Chef am Kantinentisch zu spüren.

Chance verpasst

Das ist schon auch unterhaltsam. Aber irgendwie hat man sich von der Kombination Radio Bremen und Jasna Fritzi Bauer („Rampensau“, „Axolotl Overkill“) mehr versprochen. Im Bemühen, einen besonderen, aber eben nicht allzu besonderen „Tatort“ zu schaffen, den möglichst viele gucken sollen, wurde eine erste Chance verpasst. Am Sonntag (oder diesmal Montag-)abend um 20 Uhr 15 im Ersten bricht weiter keine Fernsehkrimirevolution aus, obwohl doch Radio Bremen seinem Team mit „How to Tatort“ 2020 eine herrlich selbstironische, viel versprechende Mockumentary-Miniserie voraus geschickt hatte.

Schade eigentlich. Bleibende Auffrischung täte dem „Tatort“ gut. Moderner, frecher, origineller kann es werden. Potenzial in Bremen ist da, sympathische Darsteller, unterschiedlichste Charaktere. Die Drei brauchen nur noch was Ordentliches zum Arbeiten. Wenn denn Mads Andersen nicht doch noch seinen Zug kriegt nach Dänemark.

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