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Castingshows: „Die Jugendlichen sind viel schlauer“

Sendungen wie „DSDS“ oder „GZSZ“ schaffen mehr Vorbilder als Familie und Schule, sagt Ufa-Chef Wolf Bauer. Ein Streitgespräch über den Einfluss des Fernsehens, Tabubrüche und Dieter Bohlen.

Herr Bauer, was stimmt an diesem Satz: „Deutschland sucht den Superstar“ ist eine Fernsehshow, die Grundy Light Entertainment für RTL so produziert, dass der Privatsender damit möglichst viel Geld verdienen kann.

Wenn ich Ihre Frage richtig interpretiere, dann schreiben Sie als Journalist so, dass Ihr Verleger einen möglichst hohen Profit damit erzielen kann. Im Ernst: Wir wollen mit unsern Programmen Millionen Zuschauer inspirierend unterhalten. Und dass uns das ganz gut gelingt, sehen Sie an dem Erfolg, den „DSDS“ seit beinahe zehn Jahren hat und nicht nur in Deutschland. Wir produzieren dieses Format in inzwischen 44 Ländern.

Welchen Einfluss trauen Sie Castingshows überhaupt zu?

Wenn wir heute die Sozialisation von Jugendlichen betrachten und den zunehmenden Medienkonsum dagegensetzen – pro Tag neuneinhalb Stunden Fernsehen, Internet und Radio, weniger Tageszeitungen und Bücher – dann steht außer Zweifel, dass der Einfluss der Unterhaltungsmedien insgesamt zugenommen hat. Wir sehen das besonders deutlich bei unseren täglichen Serien, aber ganz klar auch bei Castingshows. All diese Sendungen spielen nach Analyse von Fachleuten aus der Medienwirkungsforschung in der Sozialisation von Jugendlichen eine immer prägendere Rolle.

„DSDS“ erzieht tatsächlich nur dazu, „DSDS“ zu bewerten.

Ich verstehe die Frage nicht: „DSDS“ und ähnliche Formate verfügen über eine innere Logik, Attraktivität, eine Werthaltigkeit unter dem Gesichtspunkt von Unterhaltung. Ich bin davon überzeugt, dass Talentcastings eine herausragende Unterhaltungsform darstellen. Allein die Möglichkeit zahllosen Individuen eine Bühne anzubieten, für die Präsentation von Talent oder um dem Bedürfnis nach Selbstdarstellung zu entsprechen, birgt faszinierendes Potenzial im Sinn von Andy Warhols „Five Minutes of Fame“. Aber es gibt noch eine weitere Funktion: Viele erschauern bei der Vorstellung, Dieter Bohlen könne das Vorbild ihrer Kinder im Umgang mit Mitmenschen werden. Doch dieser eher eindimensionale erste Reflex geht an der Realität vorbei. Die Heranwachsenden sind viel schlauer und differenzierter in ihrer Wahrnehmung, als mancher Erwachsene meint.

DSDS - Der Blick hinter die Kulissen:

Wie schlau sind sie denn?

Nach unseren eigenen Beobachtungen und den Ergebnissen verschiedener Studien, gibt es verschiedene Arten, auf die Castingshows zu reagieren. Es gibt die Jugendlichen, die am nächsten Tag die Sprüche von Dieter Bohlen in der Schule unreflektiert wiederholen und sie sich zu eigen machen. Das ist die deutlich kleinste Gruppe. Es gibt mehr Jugendliche, die seine Sprüche als Unterhaltungselement cool finden, Dieter Bohlen aber niemals als Maßstab eigenen Handelns anerkennen würden; und schließlich gibt es die größte Gruppe von Jugendlichen, die nicht einverstanden ist mit der Art und Weise, wie mit einzelnen Kandidaten umgegangen wird. Die jungen Zuschauer wissen genau, mit welcher Bemerkung Dieter Bohlen zu weit geht. Dieter Bohlen ist also eine Art Anti-Held, an dem sich die Jugendlichen abarbeiten und einen eigenen Weg im Umgang miteinander finden. Auch das ist eine Funktion von Unterhaltungsfernsehen.

Was folgt aus dem ehrlichen Satz eines Mädchens: Alles, was ich weiß, das weiß ich aus dem Fernsehen?

Tatsächlich ist diese Äußerung nicht untypisch. Wir wissen, dass viele junge Menschen das Unterhaltungsfernsehen betrachten wie eine Art topografische Landkarte des Lebens; mit allen Höhen und Tiefen, mit Enttäuschungen und Erfolgen, mit Liebe und Leid; und diese Karte ermöglicht Orientierung und Navigation, wie man sich in konkreten Situationen verhalten kann. Aus diesem Spruch erwächst eine große Verantwortung für die Medien-Macher, Fernseh-Kreativen und Programm-Verantwortlichen. Denn ob wir wollen oder nicht: Das Unterhaltungsfernsehen hat einen gesellschaftlichen und sozialen Einfluss insbesondere auf die Sozialisation von jungen Menschen. Es ist eine nicht wegzudenkende Realität in ihrer Lebenswirklichkeit. Es prägt Werte und Lebensentwürfe mit.

Taugt das Fernsehen zum Sozialisationsagenten?

Die Frage stellt sich nicht. Denn selbst wenn das Fernsehen nicht sonderlich tauglich wäre als Sozialisationsagent: In der Realität gibt es ja erkennbar eine Wirkungsmacht der Unterhaltungsmedien. In dem Maße nämlich, in dem die einst gesellschaftlich akzeptierten Institutionen wie die traditionelle Familie, die Kirchen, die Parteien und Gewerkschaften ihre Funktion als gesellschaftliche Anker zunehmend einbüßen und Eltern, Lehrer, Pfarrer und Politiker an Autorität nachlassen, haben sich Heranwachsende neue Vorbilder und Maßstäbe gesucht.

Castingshows demokratisieren den Star-Status. Schöner Spruch.

Und auch nicht von der Hand zu weisen… Nur wenige werden tatsächlich ein Star, aber viele bekommen die Chance, ihr Talent zu zeigen, einmal im Rampenlicht zu stehen und das Gefühl zu genießen. Bei „DSDS“ zählen wir aktuell 35 000 Bewerbungen pro Staffel!

Zwölf Millionen sehen täglich die Daily Dramas wie „GZSZ“ bei RTL, die vornehmlich von der Ufa und ihren Töchtern produziert werden. Das bedeutet was?

In den medienkritischen Debatten in Deutschland wird das Unterhaltungsfernsehen eher diffamiert, anstatt sich ernsthaft damit auseinanderzusetzen. Es fällt nicht schwer, das Fernsehen als „das Dumme förderndes Medium“ zu bezeichnen und sich dabei auf den bürgerlichen Bildungsauftrag des „Guten, Wahren und Schönen“ zu berufen. Ich glaube aber, der Diskurs nimmt sich dadurch die Chance, wahrzunehmen, dass der Medienkonsum neue Realitäten erzeugt. Dies führt in der Konsequenz auch dazu, dass die Gesellschaft die Jugendlichen mit ihren Medien allein lässt. Das Unterhaltungsfernsehen nicht ernst zu nehmen, ist unverantwortlich. Als Fernsehproduzent kann und will ich mir eine solche Haltung nicht leisten. Jede unserer Daily-Drama-Produktionen hat aus dieser Verantwortung heraus einen Wertekatalog für seine Geschichten entwickelt, der soziale Grundsätze und Leitgedanken festhält.

Sie arbeiten an einem Social-Responsibility-Katalog. Was soll da drinstehen?

Wir arbeiten daran und meinen damit einen allgemeingültigen Kodex für das gesamte Unternehmen und für alle Genres, die wir programmlich bedienen. Aber ich möchte ausdrücklich nicht unseren Programmkreativen Rahmen setzen, sie sollen den Kodex vielmehr aus ihrer eigenen Mitte heraus entwickeln. Nur so lässt sich erreichen, dass diese Leitplanken in der täglichen Programmarbeit gelebt werden. Aber wie immer bei ethisch-moralischen Fragen gibt es Grenzbereiche, die nicht leicht auszuloten sind.

Welche Bereiche sind das?

Wo erfolgt ein Tabubruch, der eine notwendige gesellschaftliche Debatte auslöst, wo ein Tabubruch, der Menschen oder Minderheiten herabsetzt und sie bloßstellt? Es wird ein Wertekanon sein müssen, der „lebt“ und der sich mit der Gesellschaft weiterentwickelt. Es bleibt unsere Aufgabe, die Regeln fortwährend zu überprüfen und neu zu priorisieren. Wir möchten die Diskussion aber auch nach außen tragen. Die Produzentenschaft, die Sender, aber auch die Politik, die Ausbildung und die Wissenschaft sollen sich einbringen.

Müssen Unterhaltungs-Macher künftig zu jedem Bildungsgipfel eingeladen werden?

Gute Idee. Die Wirkungsmacht des Unterhaltungsfernsehens sollte den Teilnehmern der Bildungsgipfel jedenfalls nicht unbekannt oder gleichgültig sein.

Traut sich die Ufa wirklich die Rolle der „Super Nanny“ des Fernsehpublikums zu?

Wir haben keinen Volkshochschulauftrag. Uns geht es in erster Linie um gutes und erfolgreiches Entertainment. Aber wir sehen die Verantwortung, die uns daraus erwächst und stellen uns ihr. Wir wollen unseren Blick auf die Wirkung unseres Tuns schärfen.

Das Interview führte Joachim Huber.

Wolf Bauer ist CEO der Ufa Film & TV Produktion GmbH. Dazu gehören acht Töchter, u.a. Grundy Light Entertainment („DSDS“), Grundy Ufa („GZSZ“), teamworx und Ufa Fernsehproduktion.

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