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Charly Hübner und Christina Große sitzen vor dem Eingang eines Plattenbau-Wohnblocks in Schwerin.

© dpa

Charly Hübner im Plattenbau: Er heißt Roger, nicht Rodscher

„Anderst schön“: Charly Hübner spielt das Märchen vom Plattenbau. Das reißt jeden narzisstischen Drang nieder.

Der Schauspieler Charly Hübner kann alles: den cholerischen „Polizeiruf“-Kommissar in Rostock, den allein gelassenen Kommandanten an der „Bornholmer Straße“ und nun den guten Hirten eines untergehenden Plattenbaus. „Anderst schön“ ist ein märchenhafter Nachruf auf die verschrienen Heimstätten vieler DDR-Bürger. Die Träne bleibt im Knopfloch, die Sentimentalität ist erträglich, Nostalgie wirkt kontrolliert.

Das liegt am Erscheinungsbild des Helden Roger (Hübner), das so gar nichts vom üblichen TV-Movie-Image hat. Ein pummeliger Hausmeister im blauen Anton saust durch die Platte in Schwerin, deren Ende beschlossen ist. Üb’ immer Treu und Redlichkeit auf Mecklenburgisch: knabenhafter Dackelblick, der zum Muttersöhnchen aus Pflichtgefühl passt. Wo das Leben mich hingestellt hat, da bleibe ich auf dem Posten. Ich bin der Letzte, der das Licht ausmacht. Spricht jemand seinen Namen „Rodscher“ aus, korrigiert er. Internationales Flair erscheint dem schüchternen Mann als Anmaßung. Er ist, was er ist, ein Nachfahre von Fritz Reuters Onkel Bräsig.

Zu tun hat er genug. Kaputte Fliesen auswechseln, elektrische Anschlüsse prüfen, Hakenkreuze im Treppenhaus übermalen. Dazu kommen Aufgaben, die übernormal sind, nämlich Schafe zu retten und auf dem Dach zu bestallen, weil ein Mieter vorgibt, sie sonst in seiner Wohnung zu schächten. Dazu die ewig besoffene Mutter (Renate Krößner) zu ertragen, die Roger Befehle gibt („Hase, der Kühlschrank ist leer“), wenn sie in den Alkoholpausen das Walkie-Talkie findet. „Am Ende wird alles gut und wenn es nicht gut wird, dann sind wir noch nicht am Ende“, tröstet Roger sich und andere.

Abschied vom Guten der DDR

Mit solchen wunderlichen, aber irgendwie rührenden Mitteln aus dem Geist der Legende haben Drehbuchautor Wolfgang Stauch (nach einer Vorlage von Edda Leesch) und Regisseur Bartosz Werner einen listigen Coup gelandet und im historisch verminten deutsch-deutschen Gelände einen Andachtsort geschaffen, um sich vom Guten in der DDR zu verabschieden. In Märchenstimmung – die DDR war sicher „anderst“ –, in herben Charme und allgemeine Gutmenschlichkeit verpackt, kann man dem Requiem auf die Platte als ehrenwertem Haus einfach nicht böse sein, so diskret, fantasievoll und voller tragikomischer Lakonie gehen die Macher vor.

Zu Sankt Roger kommt die Liebe in Gestalt von Ellen (Christina Große) und deren Tochter Jil (Emilie Neumeister) als neue Mieter. Ellen ist eine robuste, männerenttäuschte Lokalmanagerin, Jil ein pubertär-rotziges Girl, das nicht einsehen mag, warum sie im Plattenbau versauern soll. Aber die Verhältnisse sind so und nicht anders: Ellen hat einen Job und eine bezahlbare Miete. Der Teenager muss sich fügen und lernt die Platte mit ihren Schafen und wunderlichen Leuten kennen.

Der Film erreicht sein Thema, die Erziehung der Herzen. Die Platte, deren Wesen in diesem zutiefst heiteren Film aus der Abwesenheit von Dünkel besteht und der Anwesenheit von lauter offenen Schicksalsgeheimnissen – fast alle sind schrecklich –, reißt Barrieren und alle narzisstischen Selbstdarstellungsanstrengungen nieder.

Die Hölle sind nicht die anderen

Die vorgeführten Personen in ihren einheitlichen Wohngefängnissen sind alle ähnlich beschissen dran, sie brauchen sich nichts vorzumachen, die Hölle sind nicht die anderen im Haus, sondern die Welt draußen. Wer dennoch die Schicksalsgenossen im Haus belügt, ist untendurch. So will es die Parteidisziplin in der Platte.

Der Verstoß gegen den Plattenkodex geschieht. Der für Ellen entflammte reine Liebes-Tor Roger wird von der Angebeteten ausgenutzt, weil die ihn auf einen extrateuren Handydienst zum Austausch erotischer E-Mails gelockt hat. Die Tochter Jil weist die Mutter auf das Unrecht hin. Die Tochter (großartig: Emilie Neumeister) lernt, sich die Enttäuschung ihres jungen Lebens einzugestehen, nämlich die, dass ihr Vater sie zugunsten einer neuen Familie für immer aus seinem Leben geworfen hat. Roger erkennt, dass er seine zu enge Bindung an seine alkoholkranke Mutter wird lösen müssen und dass der geheimnisvolle Heinz sein leiblicher Vater ist, der sich vor Enttäuschung über die Mutter mit einem Sprung vom Dach das Leben genommen hat.

Manchmal wird die Plattenbegeisterung kitschig – Jil spielt Cello vor dem Haus, die Bewohner hören an den Balkonen ergriffen zu –, aber die Bilder (Kamera: Rodja Kükenthal) legen solchen Einfällen meistens ironische Fesseln an und die allesamt hervorragenden Darsteller mit Osthintergrund hassen erfolgreich das Geschäft mit falschen Tönen. Zum Gegenmodell für bürgerliches Wohnen ist die DDR-Platte nie geworden, zum Märchen aber taugt sie.

„Anderst schön“, ARD, Freitag, um 20 Uhr 15

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