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Medien: Christoph Schlingensief im Interview: Schmerz, Schmerz, Schmerz

Christoph Schlingensief, 41, Apothekersohn aus Oberhausen, Filmemacher, Theatermann, Aktionskünstler und Parteigründer, war mit 14 Jahren das erste Mal Gast einer Fernsehsendung. 1986/87 musste Schlingensief als 1.

Christoph Schlingensief, 41, Apothekersohn aus Oberhausen, Filmemacher, Theatermann, Aktionskünstler und Parteigründer, war mit 14 Jahren das erste Mal Gast einer Fernsehsendung. 1986/87 musste Schlingensief als 1. Aufnahmeleiter der "Lindenstraße" "grauenhafte Erfahrungen" machen. 1988 lief im ZDF das Fernsehspiel "Schafe in Wales". Die Reihe "Talk 2000" erzielte Marktanteile bis zu 14 Prozent. Für MTV realisierte Schlingensief jüngst das U-Bahn-Projekt "U3000". Demnächst wird der Mann, der mit "Das deutsche Kettensägenmassaker" Filmgeschichte schrieb, bei Viva auftauchen.

Herr Schlingensief, macht Fernsehen dumm?

Fernsehen ist dumm und deshalb bleiben viele noch dümmer als ihr sendebevollmächtigter Redakteur. Trotzdem ist der Zuschauer meist schlauer, als der Macher glaubt. Im öffentlich-rechtlichen Fernsehen zum Beipiel wird der Betrachter wie ein Vollidiot behandelt. Da ist es ganz logisch und ganz, ganz großartig, wenn der Herr Kulturstaatsminister Nida-Rümelin dafür eintritt, dass gute Filme früher am Abend laufen sollten. Also um 20 Uhr 15 Wim Wenders "Der Himmel über Berlin Teil neun" und erst danach "Werner haut die Supernasen". Das wird zur Folge haben, dass der produktive Arbeiter nicht rechtzeitig ins Bett kommt und die Ausfallrate am nächsten Tag ziemlich hoch sein wird. Dafür geht der Arbeiter etwas gebildeter in den Tod.

Zu viel Kultur macht das Land kaputt.

Kann man so sagen.

Sie haben bei Viva unterschrieben. Was werden wir sehen? Den ganzen Schlingensief noch einmal?

Ohne Wiederholung keine Gleichberechtigung. Das kommt aus der Oper. Da Capo! Da wurde die Arie für diejenigen wiederholt, die gerade pinkeln waren.

Sie haben vier Folgen von "U3000" an zwei Tagen abgedreht, eine Quote wie RTL-Talkerin Bärbel Schäfer. Erwartet uns reinstes Trash-Fernsehen bei Viva?

Die Schäfer-Bärbel ist in guter Gesellschaft. Ich glaube, auch Christiansen würde gerne vier Mal am Sonntag Abend senden. Aber nicht jeder kann das, wie man bei Stefan Raab deutlich sehen kann. Raab ist am Ende und sagt es noch nicht mal. Das ist dann wirklich Total-Trash-TV. Das deutsche TV besteht aus 90 Prozent Trash. Der Rest sind Dokumentationen wie "U3000". Viva-Chef Dieter Gorny hat das verstanden. Wir kommen beide aus dem Ruhrgebiet.

Die Pott-Connection.

Der Ruhrgebietler ist einfach ein unangenehmer Zeitgenosse, viel unangenehmer als der Hamburger oder der Münchner. Mit Helge Schneider zum Beispiel bin ich befreundet, aber verstanden haben wir uns nie. Darum mögen wir uns auch so.

Machen Sie bei Viva alles ganz anders?

Ja, es wird komplett alles anders. Ich trete als Frau auf, färbe mir die Haare rot, bin gepierct, kenne mich in Rock- und Punkmusik aus, bin zärtlich, sachlich und ein Supertyp ohne Überzeugung. Die gesendeten Bilder stehen fast alle auf dem Kopf, ab und zu sieht man eine Schafsherde, die verbrannt wird, oder kilometerhohe Gen-Maisfelder.

Was haben Sie denn vor?

Schmerz, Schmerz, Schmerz. Mehr ist nach den vielen Selbstverletzungen nicht mehr möglich. Habe mich zu lange belogen. Ich will so sein wie viele Kritiker. Ich will andere verletzen, weil man mich verletzt hat. Alles was Karasek beim "Literarischen Quartett" auch macht. Nur eben ehrlicher!

Schmerz-Fernsehen. Wird das sehr weh tun?

Schmerz verbindet ungemein. Leider unterstellt man mir immer, ich würde alle Filme, Theaterstücke oder Aktionen nur so aus dem Ärmel schütteln. Aber das stimmt nicht. Meine Kraft ist der Schmerz und den kennt jeder. Schmerz ist eine Produktivkraft, kommt aber nicht tatsächlich in der Marktwirtschaft vor.

Aha. Und was ist mit Viva?

Viva ist die Antwort auf das Projekt 18 der FDP. Da ist man näher an den Jugendlichen, die diese nie aus der Pubertät herausgekomenen FDP-Politiker erreichen wollen.

Ehe Guido Westerwelle zu Viva geht, machen sie das lieber selber?

Wir brauchen keine neuen Container oder Zoos. Wir sollten die alten besuchen und deren Lebensvorschlag an Ort und Stelle überprüfen. Wenn es etwas zu verhindern gibt, dann Westerwelle oder Möllemann.

Wie finden Sie Roland Koch?

Sie meinen Westerwelles Sohn? Die Ähnlichkeit ist frappierend. Ich würde mich nicht wundern, wenn die dieselben Autogrammkarten benutzen. Würde zu ihnen passen. Die sind eher verkniffen und geizig.

Viva-Chef Gorny weiß sehr genau, wo seine Zielgruppe und damit sein Profit steckt.

Daran kann ich nichts Falsches entdecken. Gorny kann ziemlich glaubhaft versichern, dass er nicht zwischen Familie und Betrieb unterscheiden kann. Gorny macht mir den Eindruck eines cleveren Familienvaters. Er führt unterschiedliche Dinge zusammen. Und das passt zu meiner Arbeitsweise. Wenn 600 Leute im Theater buhen oder applaudieren, dann ist das eine schöne Sache. Aber mich befriedigt das nicht. Ich denke, man sollte Kultur querzappen. Der Kommissar aus dem Ersten Programm moderiert die "Sportschau" und sitzt gleichzeitig im Container. Das hätte Perspektive.

Wo Schlingensief war, hat die Hochkultur keine Chance mehr.

Kommt drauf an, was sie unter Hochkultur verstehen. Claus Peymann am BE ist so ein Fall. Das sieht aus wie Hochkultur, ist aber nur Fake. Die Menge an Zahnärzten im Publikum sagt noch lange nichts über die Qualität auf der Bühne aus.

Theater allein ist Ihnen zu wenig. Sie wollen Theater und Fernsehen verbinden. Fernsehen als das letzte kunstrevolutionäre Medium?

Kunstrevolutionäre Medien gab es schon in der Steinzeit. Damals nannte man das Höhlenmalerei. Eine Fernsehstation im BE wäre deshalb durchaus denkbar. Also Theater bleibt, nur die Übertragung nach außen wäre gewährleistet. Das wäre dann die doppelte Höhlenmalerei. Wenn wie beim Bahnunglück von Eschedde bei n-tv oben Leichen gezählt und am unteren Bildschirmrand die Börsenkurse mitlaufen, dann gab es das vorher so noch nicht. Das war ein guter Tag für die Börse, aber ein sehr schlechter für die Bahn. Das ist harte Realität, weder zynisch, noch ironisch. Wenn aber Hildegard Hamm-Brücher am Ende der Sendung "Maischberger" zur Moderatorin sagt, "Sie sind wirklich wunderbar, ich danke Ihnen für Ihre Fragen", dann ist das für mich hohe Satire. Da kann Harald Schmidt einpacken.

Fernsehen gleich Satire?

Vor 20 Jahren war man berühmt, wenn man im Fernsehen war. Heute ist es egal. Das ist ein großes Glück. Fernsehen ist die Fundgrube der Einbeinigen. Viele Prothesen und ab und zu auch mal ein echtes Bein.

Jedem sein eigenes Fernsehen?

Will ich schwer hoffen. Sendet, sendet, seid frei, macht Dogma-Regeln und filmt euch auf der Rückbank. Ich empfehle, das eigene Urlaubsvideo auf die Mattscheibe des Fernsehers zu produzieren und den Ton laufen zu lassen. TV-Ton trifft Privatbild, oder umgekehrt. Dann prallt etwas aufeinander, das einen im besten Fall auf neue Gedanken bringt. Und genau diese Überschneidungen leistet das normale Fernsehen nicht mehr.

Sie nehmen ja wirklich ernst. Ist für Sie das Fernsehen nicht der völlig falsche Film?

Die meisten sitzen immer im gleichen Film, manche immer im richtigen und ich gerne im falschen. Statt "Girlscamp" sollte man "Nazi Camp" machen. Da sitzt dann der richtige Nazi vor den falschen und 200 000 haben nicht umsonst demonstriert.

Alles spricht von 68. Die Revolte hat gesiegt. Was können wir noch tun?

Fragen Sie doch mal Claus Peymann.

Herr Schlingensief[macht Fernsehen dumm?]

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