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In ihrem Buch „Im Schatten des Krieges“ will Sarah Glidden ergründen, wie Journalismus funktioniert.

© Mike Wolff

Comic-Autorin Sarah Glidden: „Es gibt einen Unterschied zwischen Fakten und Wahrheit“

Autorin Sarah Glidden über die Kontroverse um ihr neues Werk "Im Schatten des Krieges", Comic-Journalismus, Fake News und die Banalität der Exotik.

Frau Glidden, im Vorwort zu Ihrem neuen Buch „Im Schatten des Krieges“, für das sie im Jahr 2010 mit befreundeten Reportern durch den Irak, die Türkei und Syrien reisten, schreiben Sie, sie wollten herausfinden, wie Journalismus funktioniert. Haben Sie eine Antwort gefunden?

So pauschal kann ich das nicht sagen. Mein Anspruch war nicht, ein Buch zu schreiben, das alle Formen von Journalismus erklärt.

Sondern?

Im Schatten des Krieges“ erzählt, wie ein kleines, rumpeliges Non-Profit-Medienkollektiv im Nahen Osten recherchiert. Die Reporter, mit denen ich unterwegs war, sind Freelancer, was aber für immer mehr amerikanische Journalisten zutrifft – wenn nicht überhaupt für die gesamte US-amerikanische Arbeitnehmerschaft. Die großen Presse-Institutionen haben ihre Außenbüros ja alle zugemacht. Es wird immer mehr Aufgabe von Freien, diese Lücken zu füllen.

Wäre es nicht besser gewesen, um eine allgemeineres Bild zu bekommen, mit Reportern einer großen Agentur oder Zeitung zu reisen?

Hätte ich bei der „New York Times“ gefragt, hätten sie bestimmt Nein gesagt. Mein erstes Buch „Israel verstehen in 60 Tagen oder weniger“ kam ja erst später raus. Diese Form von Recherche, die die Leute aus meinem Buch betreiben, ist vielleicht nicht „NY Times“-Journalismus, aber trotzdem Journalismus. Journalismus ist immer ein Geschäft. Eines mit vielen ethischen Fallstricken. Man muss nicht nur entscheiden, was man selbst interessant findet, sondern auch, was man einer Redaktion verkaufen kann. Und dabei steht man immer unter dem Zwang, komplexe Dinge möglichst simpel erklären zu müssen.

Ist das Konzentration oder Verwässerung?

Ich würde das Redigage nennen. Bei einer Reportage muss man entscheiden, welchen Ausschnitt der Geschehnisse man präsentieren möchte. Comics funktionieren ähnlich. Wir nehmen nicht einfach ein Foto und malen es ab. Ein Comic ist ein Teil vereinfachter Wirklichkeit.

Sie sagen in Ihrem Buch, dass Journalismus nie wirklich objektiv sein kann.

Journalismus ist immer Folge von Entscheidungen. Man spricht mit diesem oder jenem Menschen. Man spricht mit ihm an diesem oder einem anderen Tag. Vieles ist Zufall.

Man kann also schreiben, was man will?

Es gibt einen Unterschied zwischen Fakten und Wahrheit. Wenn Kellyanne Conway von „alternativen Fakten“ spricht, dann muss man widersprechen. Wurden drei Millionen Stimmen illegal für Hillary Clinton abgegeben? Nein. Das ist kein alternatives Faktum, das ist eine Lüge.

Schöner als die Realität? Das ist ein Vorwurf, der Glidden gemacht wurde.
Schöner als die Realität? Das ist ein Vorwurf, der Glidden gemacht wurde.

© promo

Sehen Sie einen Unterschied zwischen Journalismus und Aktivismus?

Ja. Ich glaube nicht, dass mein Buch Aktivismus ist.

Aber Sie zeichneten ja zum Beispiel auch für die ACLU, die amerikanische Organisation, die sich für Meinungsfreiheit einsetzt.

Ich habe zu Spenden aufgerufen.

Ist das nicht Aktivismus?

Ich würde sagen, ich habe zu Spenden aufgerufen. Aber was ich in meinem Privatleben mache, hat ja nichts mit meiner Arbeit zu tun. Ich habe keine offizielle PR gemacht. Ich hatte keinen Auftrag. Aber gegen den Mann, der jetzt unser Präsident ist und einen nicht verfassungsgemäßen Einreisestopp ausgerufen hat, muss man ja was unternehmen.

In Deutschland gab es eine große Kontroverse um Ihr Buch. Die Comic-Jury des Tagesspiegels hat es in die Top fünf gewählt, der „Spiegel“ hat Ihr Buch verrissen. Der Rezensent fand es naiv, undistanziert, unentschieden und warf Ihnen vor, große Debatten wie die um die Glaubwürdigkeit der Presse komplett auszuklammern.

Vielleicht liegt das an falschen Erwartungen. Der Titel „Im Schatten des Krieges“ klingt bedeutungsschwerer als der Originaltitel „Rolling Blackouts“, was sich auf einen Stromausfall, einen Filmriss im Kopf oder Lücken in einer Geschichte beziehen kann. Der Untertitel „Reportagen aus Syrien, dem Irak und der Türkei“ erweckt den Eindruck, als wolle ich den wegweisenden Comic-Reporter Joe Sacco imitieren. Im Original ist die Rede von dispatches, Fragmenten, Botschaften. Aber ich bin froh, wenn es Streit um das Buch gibt. Es zeigt ja, dass die Leute sich mit Journalismus auseinandersetzen.

Im Buch fragt sich Ihre Protagonistin und Freundin: „Ich weiß nicht, ob ich aus den richtigen Gründen im Journalismus bin“. Was wären denn die?

Vielleicht, dass es eine wichtige Geschichte gibt, die man erzählen möchte? Falsche Gründe wären wohl, zu glauben, man könne die Welt direkt verändern, oder dass man berühmt werden will.

Was können betextete Bilder, was Texte allein nicht können?

Handgemalte Bilder strahlen eine Wärme aus, die Menschen anders berühren kann. Mit Comics kann man Leute für etwas interessieren, dass sie sich sonst nicht anschauen würden. Vielleicht kann sich jemand, der von einem irakischen Flüchtling gelesen hat, besser in einen syrischen hineinversetzen. Mein Buch spielt im Irak und Syrien. Ich wollte die Banalität der Orte zeigen. Es sieht ja häufig gar nicht so anders aus dort. Im Nordirak servieren sie einem grandiose Pizza. Das chinesische Essen dort ist das gleiche wie in den USA.

Ein Vorwurf, der Ihnen gemacht wurde, ist, dass Sie mit Ihren Bildern die Realität verklären würden. Dass Ihr Irak viel aufgeräumter sei als in Wirklichkeit.

Vielleicht sehen meine Bilder manchmal schöner aus als die Realität. Ich möchte sie auch nicht überfrachten. Ich will kein Buch, das einem ins Gesicht schlägt. Im Westen sind wir so gewohnt, dass alle Geschichten, die aus dem Nahen Osten kommen, von Krieg und Gewalt handeln. Aber da leben Menschen. Das sind oft schöne Ort, es gibt tolle Berge. Das ist auch die Wirklichkeit. Wenn man sich nur auf Müll und Chaos konzentriert, ist das eine Karikatur des Nahen Ostens, an der ich kein Interesse habe.

Wie haben Sie sich als Jüdin in den muslimischen Ländern gefühlt? Die Frage taucht in Ihrem Buch nicht wirklich auf.

Es war ein Thema, bevor ich gefahren bin. Freude aus Israel rieten mir: Fahr da nicht hin! Das ist gefährlich. Es war ehrlich gesagt kein Thema. Im Libanon wollten alle mit mir über Amerika, Israel und Wikileaks diskutieren. In Syrien war das ganz anders. Da sprach niemand über Politik. Es war ein völlig paranoides Land. Ich sage nicht, dass es keinen Antisemitismus gibt, aber auch dort habe ich mich damals nie bedroht gefühlt. Was mir allerdings immer noch Angst macht, ist der Umstand, dass im Jahr 2010 in Damaskus niemand auch nur ahnte, dass bald Krieg ausbrechen könnte.

Haben Sie dann überlegt, das Buchprojekt abzubrechen, nachdem die Ereignisse im Nahen Osten Ihre Recherchen quasi überholt hatten?

Ja, eine Weile. Aber Journalismus ist ja immer auch ein Stück Geschichtsschreibung.

An was arbeiten Sie derzeit an?

Ich bin gerade in der Vorbereitungsphase für ein Buch zum Klimawandel. Schon heute sind viele Menschen davon betroffen. Ich lese mich gerade ins Umweltrecht ein, um für Interviews gerüstet zu sein.

Werden Sie wieder eine Reise dokumentieren?

Gerade spreche ich mit Gletscherforschern, die nächstes Jahr nach Grönland fahren. Ich überlege, da mitzugehen. Miami interessiert mich ebenfalls sehr. Diese Riesenstadt wird schon bald nicht mehr bewohnbar sein. Da fahren vielleicht bald schon Boote durch die Straßen wie in Venedig. Viele Leute denken beim Thema Klimawandel ja: Tja, Polarbären, schade drum. Mir geht es darum, die menschlichen Dimensionen aufzuzeigen. Die Zahl der Klimaflüchtlinge wird die Zahl der jetzigen Kriegsflüchtlinge weit in den Schatten stellen.

Für das Buch "Im Schatten des Krieges" war Sarah Glidden 2010 mehrere Wochen im Nahen Osten unterwegs.
Für das Buch "Im Schatten des Krieges" war Sarah Glidden 2010 mehrere Wochen im Nahen Osten unterwegs.

© promo

Sarah Glidden: „Im Schatten des Krieges“, Reprodukt, 304 Seiten, 29 Euro

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