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Cyber-Mobbing: Du Opfer!

Verzerrte Fotos, Beleidigungen: Soziale Netzwerke wollen verstärkt gegen Online-Mobbing vorgehen.

Bei diesem Mädchen, das hier keinen Namen hat, weil ihr Name schon zu oft öffentlich gemacht wurde, hat es mit einer Kleinigkeit angefangen. Es waren Schuhe, die sie in der Schule trug, in einer achten Klasse. Neue Schuhe, die zufällig oder auch gewollt, genauso aussahen wie die Schuhe einer Klassenkameradin, die damit nicht einverstanden war. „Du Schlampe hast meine Schuhe an“, hieß es mündlich und der Rest des Mobbings, das sich über Wochen hinzog, fand dann schriftlich statt. Die Basis dafür war innerhalb von Minuten begründet, weil fast die ganze Klasse bei SchülerVZ war: Beschimpfungen per Mail, gemeine Kommentare, ein Foto des Mädchens und dann auch noch eine virtuelle Gruppe, nennen wir sie die „Steffi ist scheiße“-Gruppe. Mitgliederzahl: 23.

Telefonstreiche waren früher. Was damals der Gipfel dessen war, wie man einen anderen Schüler medial demütigen und in den Wahnsinn treiben konnte, ist veraltet und vorbei. In der heutigen Zeit müssen soziale Netzwerke wie Facebook oder StudiVZ, das ebenso wie der Tagesspiegel zur Holtzbrinck-Verlagsgruppe zählt, ein EU-Abkommen gegen Mobbing im Internet abschließen. Die EU-Kommission hat die Initiative „Safer Internet Programm“ gegründet und stellt bis 2013 etwa 55 Millionen Euro bereit. In einer Vereinbarung verpflichteten sich 17 Anbieter von Internet-Plattformen, bestimmte Schritte gegen Belästigungen im Netz zu ergreifen, teilte die Europäische Kommission in Brüssel mit.

Bei den Stichworten Internet und Sicherheit geht es in Zeiten des Web2.0 nicht mehr ausschließlich um illegale oder jugendgefährdende Inhalte von Seiten, sondern auch darum, was man selbst im Internet von sich preisgibt und um das, was andere von einem preisgeben, ohne dass man es will. Cyber-Mobbing oder Cyberbullying lautet die hässliche Bezeichnung für den noch viel hässlicheren Inhalt. Soziale Netzwerke im Internet haben nach Angaben der EU-Kommission europaweit rund 41,7 Millionen regelmäßige User. Cyber-Mobbing ist kein pubertäres Ärgern, sondern ein ernsthaftes Problem.

Birgit Kimmel von der Landeszentrale für Medien und Kommunikation ist pädagogische Leiterin der Seite klicksafe.de, eine Seite, die mit Fördermitteln der EU gegen Cyber-Mobbing und für einen verantwortungsvollen Umgang mit dem Internet kämpft. Sie erzählt das Beispiel eines Lehrers in Nordrhein-Westfalen, der alle SchülerVZ-Profile seiner Schüler auf Papier ausgedruckt und auf dem Schulflur angehängt hat. Die Empörung der Schüler war groß: Der Lehrer dürfe das nicht, das sei schließlich Privatsache. Birgit Kimmel sagt, vielen Jugendlichen sei die Öffentlichkeit und Allzugänglichkeit des Internets überhaupt nicht bewusst. Ebenso wenig wie die Dimension, die eine Demütigung via Internet bekommt.

Kommunikation hat sich zu großen Teilen ins Internet verlagert. Austausch mit Freunden findet in Plattformen statt. Das eigene reale Profil wird am eigenen virtuellen Profil geschärft. Birgit Kimmel schätzt, dass etwa 20 Prozent der jugendlichen Internetnutzer bereits Opfer von Cyber-Mobbing geworden sind.

Dirk Heinrichs leitet den Verein „Sprache gegen Gewalt“ und geht in Schulen, um über das Thema Cyber-Mobbing zu sprechen. Wenn er Gruppen leitet zum Thema „Mobbing im Internet“, dann ist die Gesprächsbeteiligung der Schüler so groß, dass die Lehrer meist den Kopf schütteln und sagen, sie hätten ja keine Ahnung gehabt. Weil mehr Mobbing im Internet stattfindet, als man es auf dem Pausenhof sehen kann. Darum geht es beim Cyber-Mobbing, sagt Heinrichs: Es findet keine unmittelbare Strafe statt. Das Unrechtsbewusstsein ist hier fast nicht vorhanden. Für viele Jugendliche ist Medienkompetenz ein Fremdwort.

An den Pranger stellen, demütigen, Angst machen: All das funktioniere im Internet ohne anschließende Strafe, ohne Konsequenz, ohne dass sich jemand rechtfertigen muss. „Das Internet ist ein Eldorado der Regellosigkeit“, sagt Heinrichs. Und die diffuse Bedrohung, die ein Opfer plötzlich spürt, macht mehr Angst als Ärger von Gesicht zu Gesicht. Psychoterror in den eigenen vier Wänden, den man immer wieder durchlesen kann.

Die Gruppe „Steffi ist scheiße“ gibt es noch. Aber sie hat kein Foto mehr, keine neuen Mitglieder, und sie ist seit einiger Zeit inaktiv. Eine Internet-Brache. Inaktiv ab dem Zeitpunkt etwa, an dem das Mädchen die Schule gewechselt hat. Denn wie immer ist derjenige uninteressant, der sich als Opfer nicht mehr zur Verfügung stellt. Bei sozialen Netzwerken reicht ein kurzes Suchwort, und man findet Gruppen, die „ich hasse Sandra G.“ heißen oder so ähnlich. Die Namen sind austauschbar. Gibt man bei der Gruppensuche das Wort „Mobbing“ ein, heißt der erste Eintrag „Hier wird Mobbing noch groß geschrieben.“
www.klicksafe.de

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