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Die gewaltige Größe eines Dinosauriers zeigt sich beim Anblick des fossilen Skeletts. Um die Menschen in die Museen zu bekommen, setzen die Häuser verstärkt auf Social Media.

© Mauritius

Das interaktive Museum: Gleich frisst dich der Dino

Moderne Museen sind interaktiv. Die Besucher sollen erfahren und erleben – statt nur zu konsumieren.

Eine Schulklasse hat sich um den beigefarbenen Trabanten P601 versammelt. Jeder will mal einsteigen in den Zweitakter, will wissen, wie es sich anfühlt, dadrin zu sitzen. Es ist eng und es riecht etwas muffig. Wer möchte, der kann jetzt noch den Zündschlüssel umdrehen und per 3-D-Simulation auf der Windschutzscheibe durch eine Plattenbausiedlung fahren. Der Trabi ist eines von 226 000 Ausstellungsobjekten im DDR-Museum, das mitten im touristischen Zentrum Berlins gegenüber dem Dom an der Spree liegt und jährlich um die 500 000 Besucher aus aller Welt anzieht. Es wirbt damit, ein „interaktives Museum“ für „Geschichte zum Anfassen“ zu sein. Genauso wie „The Story Of Berlin“ am Kurfürstendamm, die 800 Jahre Stadtgeschichte in begehbaren Kulissen, mit Computeranimationen und versprühten Gerüchen darstellt. Vor allem kommerzielle Angebote wie diese setzen voll und ganz auf das interaktive Erlebnis. In Museen, die mit öffentlichen und staatlichen Mitteln finanziert sind, halten interaktive Elemente vor allem in den Kinder- und Jugendabteilungen Einzug. Aber auch viele Sonderausstellungen arbeiten mittlerweile mit 3-D-Simulationen, verschiebbaren Wänden, Ton- und Videostationen oder nachgebauten Welten. Vor allem die eher naturwissenschaftlichen Häuser haben in den letzten zehn Jahren technisch aufgerüstet.

Im Naturkundemuseum Berlin reicht der Blick durch ein Fernglas, um die ausgestellten Dinosaurierskelette zum Leben zu erwecken. Mithilfe von 3-D-Technik wachsen dem Urzeittier Muskeln und Organe, es fängt an sich zu bewegen, es frisst und jagt in seiner natürlichen Umgebung. Im Otto-Bock-Center steht der eigene Körper im Mittelpunkt. Die Erfahrung, sich mit dem Rollstuhl durch Berlin zu bewegen, oder wie es sich anfühlt, schlagartig zu altern. Tatsächlich ist es wissenschaftlich erwiesen, dass sich der Mensch Zusammenhänge besser merken kann, wenn er sie mit sinnlichen Erfahrungen verknüpft. Touchscreens, Videoleinwände, begehbare Installationen oder aufklappbare Schränke allein reichen aber nicht, damit am Ende etwas hängenbleibt, sagt Tobias Nettke, Professor für Museumspädagogik an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin (HTW).

„Wenn ein Thema in der Ausstellung spannend und mit vielen sinnlichen Eindrücken aufbereitet ist, dann steigert das durchaus die Wahrscheinlichkeit, dass viele Menschen aus dem Publikum etwas mitnehmen, auch die, die bisher noch nicht so viel dazu an Vorwissen und Interesse mitbringen. Aber das geschieht nicht automatisch“, sagt Nettke. Studien würden zeigen, dass die Inhalte mit höherer Wahrscheinlichkeit aufgenommen würden, „wenn die Besucher bei der Rezeption der Inhalte mit unserer Begleitung oder mit anderen Besuchern zu diesen Inhalten interagieren, zum Beispiel gemeinsam etwas manipulieren, gestalten, kommentieren, ausprobieren und vor allem darüber ins Gespräch kommen“.

So wie Familie Stübinger, die zu viert an einem Computer im DDR-Museum ein Spiel zur Planwirtschaft ausprobieren. Sie müssen entscheiden, ob die Trabifabrik Sonderschichten fahren soll oder nicht. Die Familie diskutiert miteinander, bevor sie auf dem Touchscreen eine Antwort auswählt. „Jetzt versteh ich endlich, wieso die Wirtschaft im Kommunismus nicht funktionieren konnte“, lacht Axel Stübinger. „Man erfährt viel über den Alltag“, sagt seine 14-jährige Tochter Lena.

Im Deutschen Historischen Museum ist Beteiligung gefragt

200 Meter weiter östlich versucht sich auch die Ausstellung „Alltag Einheit“ des Deutschen Historischen Museums daran, Geschichte aus dem staubigen Umfeld der bloßen Schaukästen herauszuholen. Neben den üblichen multimedialen Elementen wie Videos, individuell abspielbarer Musik, dreh- und begehbaren Bauten fordert sie den Besucher auf, sich direkt an der Ausstellung zu beteiligen. Zettel und Stift liegen bereit, um darauf typische Ost- und West-Wörter zu notieren und sie dann an einem Gitterbaum aufzuhängen. „Broiler“ steht da in krakeliger Schrift, „urst“, „Kaufhalle“ oder „Limo vs. Brause“. Ein paar Meter weiter hängen noch mehr Zettel an einer Pinnwand. „Was haben Sie mit Ihren ersten D-Mark gekauft?“ Darunter wieder viele handgeschriebene Antworten: Fernseher, Armbanduhr, Umstandsmode, Kaffee, Matchbox-Autos für die Kinder. Menschen hätten den Wunsch, ihre Erfahrungen mit anderen zu teilen, meint Tobias Nettke. „Für sie ist es wichtig, das Gefühl zu haben, an einem Dialog teilzuhaben, zu partizipieren. Dieser Gedanke wird immer wichtiger für die Museen in der Zukunft.“

Die neue Wissensgesellschaft spiegelt sich in diesen Ansätzen wider. Sie ist geprägt vom Web 2.0, von der Gewohnheit, sich überall und immer zu äußern, teilzuhaben durch soziale Netzwerke und mitzugestalten. Das fordert Museen noch anders heraus. Sie müssen nicht nur Ausstellungen interaktiv konzipieren. Sie müssen laut Nettke auch lernen, mit ihren Besuchern außerhalb des Ortes Museum zu kommunizieren. „Wir brauchen in deutschen Museen Kommunikationsfachleute und Social Media Experten. Museen sind heute Kommunikationsplattformen, nicht mehr nur einseitige Wissensvermittler.“

Manches Museum setzt weniger auf Touchscreens und neue Technik in Ausstellungen, als auf digitale Angebote zur Vor- und Nachbereitung. So wie die Schirn Kunsthalle in Frankfurt. Sie bietet gerade ein „Digitorial“ zu Monet an und versorgt ihre Besucher über Apps mit Informationen. Interaktive Angebote können die direkte Erfahrung vor Ort im Angesicht eines Kunstwerkes nicht ersetzen, sondern nur ergänzen, lautet der Standpunkt ihres Direktors Max Hollein.

Deshalb verlassen sich Ausstellungen wie aktuell „ImEx“ über Impressionismus und Expressionismus in der Alten Nationalgalerie allein auf die Erfahrung durch die kluge Anordnung von Original-Exponaten. Einen anderen Ansatz verfolgt zur Zeit die Wanderausstellung „Van Gogh Alive“ in der Alten Münze Berlin. Der Besucher sitzt oder steht in einem riesigen Raum, umzingelt von Leinwänden, auf denen Lebensabschnitte, Gemälde in verschiedenen Einstellungen, Detailansichten und animierte Pinselstriche sich überlebensgroß abwechseln, unterlegt von süßlicher, klassischer Musik. Diese Ausstellung setzt auf die totale Überwältigung.

Wieder draußen, rauschen Farben im Kopf, die Musik klingt nach, aber so richtig hängenbleiben will doch nichts. Im Café sitzt der Rentner Dieter Perlwitz. Er habe sich gut unterhalten gefühlt, sagt er. „Aber ich war mal einen ganzen Tag lang im Amsterdamer Van Gogh Museum, das ist schon was anderes, wenn ich die Bilder direkt vor mir sehe. Wenn man die getrocknete Farbe und die Leinwand vor sich sieht.“

Die direkte Erfahrung kann eine reine Multimedia-Installation oder interaktive Simulation nicht ersetzen. Sie kann aber Menschen dazu bringen, sich für ein Thema zu interessieren und sich danach intensiver mit dem Thema zu beschäftigen. Der größte Teil der Museumsbesucher sind nach wie vor Akademiker. Mehr Interaktivität bietet eine große Chance, den Kreis zu erweitern.

Nadine Kreuzahler

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