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Tatort

© WDR

Medien: Das komische Tier Köln

"Tatort"-Kommissar Max Ballauf will sein zehnjähriges Dienstjubiläum nicht feiern.

Ob in der kalifornischen oder der Kölner Nacht: Wenn sich die Dunkelheit wie ein schweres Tuch über sie legt, glauben manche Einsame schier zu ersticken. Der Anruf beim Radio, der scheinbar intime Plausch mit der Moderatorin oder dem Moderator vor den Ohren tausender Mithörer, kann süchtig machen. Aber wehe, wenn sich „The Voice“ widerspenstig zeigt und der akustischen Umklammerung durch den aufdringlichen Anrufer entziehen will. Das zeitigte schon in Clint Eastwoods Regiedebüt „Sadistico – Wunschkonzert für einen Toten“ (1971) mörderische Folgen. Clint Eastwood selbst agierte als ahnungsloser Nachtmoderator, der von einer verführerischen Frauenstimme immer dringlicher dazu aufgefordert wurde, den Titel „Misty“ zu spielen.

Wo an der kalifornischen Küste das Meer rauscht, rattert in der Kölner Nacht die hell erleuchtete S-Bahn vorbei. Auch der Sender NRR 99,1 beschäftigt nach dem Vorbild des einfühlsamen WDR-Conférenciers „Domian“ eine Night-Talkerin mit dem klingenden Namen Melissa Morgenstern (Annika Kuhl). Ein Anrufer, der sich „Niemand“ nennt, prahlt in ihrer Sendung damit, den Polizisten Martin Krauss ermordet zu haben. Dieser Moment des Schreckens lässt die Einschaltquoten nach oben schnellen und ruft die Kommissare Max Ballauf und Freddy Schenk auf den Plan. Denn genau jenen Martin Krauss haben sie am Morgen in seinem Auto tot aufgefunden. Als sie im Umfeld ihres Kollegen recherchieren, tun sich hinter der Fassade eines glücklichen Familienvaters und Reihenhausbewohners die krimitypischen Abgründe auf.

Den ermittelnden Ruhrgebietssöhnen fällt es diesmal trotz ihrer seit 1997 („Willkommen in Köln“) bewährten Mischung aus sensibler Sportlichkeit (Ballauf) und scharfsinniger Gemütlichkeit (Schenk) schwer, sich zu konzentrieren: Kommissar Ballauf möchte auf keinen Fall, dass zu seinem Dienstjubiläum eine traditionelle Betriebsfeier ausgerichtet wird, Freddy hat offenbar eine Geliebte. „Nachtgeflüster“, von Torsten C. Fischer nach einem Buch von Stefan Cantz und Jan Hinter inszeniert, ist beileibe nicht der stärkste Fall von Klaus J. Behrendt und Dietmar Bär. Beide Wahlberliner haben sich dem WDR-„Tatort“ verschrieben: „Es ist schon schön, mitten im Pelz dieses großen, komischen Tiers Köln zu sitzen“, meint Bär. Er und sein Kollege legen nicht erst seit der spektakulären Folge „Manila“ über Kindesmissbrauch großen Wert auf gesellschaftlich relevante Stoffe.

Doch das Erfolgsduo Ballauf/Schenk ist nicht das erste „Tatort“-Team, das im Schatten des Domes ermittelt: Clint Eastwoods Landsmann Samuel Fuller drehte mit „Tote Taube in der Beethovenstraße“ zur Musik der Kultgruppe Can einen der bis heute raffiniertesten und witzigsten „Tatorte“ überhaupt. Das war 1973. Der markant-virile Zollfahnder Kressin jagte damals in James-Bond-Manier den als Polizisten verkleideten Killer Charlie Umlaut durch den rheinischen Karneval. Dass Sieghardt Rupp als Kressin den allerersten Kölner „Tatort“-Fahnder spielte, unterschlägt das Presseheft zum zehnten Jubiläum von Ballauf und Schenk. Das ist nur allzu symptomatisch für das fehlende Gedächtnis der ARD, was ihre renommierteste fiktionale Eigenproduktion betrifft. So warteten die Fans von Hansjörg Felmy nach seinem Tod Ende August vergeblich auf die Wiederholung eines „Tatorts“ mit dem legendären Essener Kommissar Haferkamp im ARD-Hauptprogramm.

Die Schamhaftigkeit, mit der das Erste seine Schätze versteckt, ist unbegreiflich und ärgerlich. Handelt es sich um ein vorauseilendes Einknicken vor den veränderten Sehgewohnheiten der Zuschauer, die man mit dieser Verschlusspolitik bevormundet? Wie auch immer: Der nordrhein-westfälische Realismus, den Ballauf und Schenk so überzeugend verkörpern, hat Tradition.

„Tatort – Nachtgeflüster“,

ARD, 20 Uhr 15

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