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Medien: Das Leichte und das Seichte

Wie unser Fernsehen wieder besser werden kann als sein Ruf: Zehn Thesen zur TV-Unterhaltung

1. AUSWÄRTS: UNTERHALTUNGSSTARS

WIDERSPRECHEN

Im italienischen Fernsehen sahen am 20. Oktober 2005 15 Million Zuschauer zu, wie Adriano Celentano zu Beginn seiner Show „Rock Politik“ Ministerpräsident Berlusconi herunterputzte, parodierte, ihm nicht weniger vorwarf als eine fundamentale Verletzung der Meinungsfreiheit. Hollywood zeichnet den Anti-Bush- Pamphletisten Michael Moore mit einem Oscar aus; George Clooney fährt auf eigene Faust nach Darfur. Schon 2001, auf den 43. Grammy Awards tritt der homophobe, gewaltverherrlichende Eminem mit Elton John im Duett auf – in diesen Kulturen ist es selbstverständlich: der Unterhaltungsstar ist und bleibt Unterhaltungsstar. Dazu gehört es, zu widersprechen, Protest listig zu artikulieren oder ihn herauszuschreien, sich anzulegen mit den gerade Mächtigen.

Bei uns darf Bob Geldorf einen Tag lang „Bild“-Chefredakteur spielen.

2. HEIMSPIEL: LAUE KONSENSKULTUR

Wir leben in einer lauen Konsens-Unterhaltungskultur. Unterhaltung ist immer auch politisch, erst recht, wenn sie es partout nicht sein will. Unterhaltungswelten sind eine „Als-ob-Realität“ mit „Feel- good-Faktor“. Von der Pilcher-Verfilmung bis zum „Tatort“, von „GZSZ“ bis „Lindenstraße“, von Carmen Nebel bis zum „Winterfest der Volksmusik“ – hier werden individuelles Verhalten und Haltungen in unserer Gesellschaft verhandelt. Hier entscheidet sich, ob Wahrnehmung geschärft oder unsere Augen verblendet werden. Schon das angeblich fröhliche „Ein bisschen (!) Spaß muss (!) sein“, das unser heutiger Billy Mo – ohne Tirolerhütchen auf dem Kopf – zu trällern hat, zeigt das Biedermeierkomplott in der massenmedialen Unterhaltung. „Nein“, kein Mensch muss müssen, wie schon Lessing wusste. Und nochmals „Nein“, nicht „ein bisschen“ bringt Spaß, sondern zur Unterhaltung gehört Party, Fun, Ekstase. Ein Werbepapst hat mir mal verraten: Kampagnen, die im Test große Zustimmung finden, sind langweilig. Interessant ist das Umstrittene.

3. DIE VERSUCHUNG

Ein Buch, das kaum einer liest, kann trotzdem gute Literatur sein; ein Film mit miesen Besucherzahlen kann großartig sein; aber Unterhaltung, die nicht ankommt, ist schlechte Unterhaltung. Darin liegt eine große Versuchung zum kleinsten gemeinsamen Nenner. Tatsächlich trägt der stete Rückgriff auf das Bewährte auch eine Zeit lang. Auf Dauer merkt man, wie sehr man stets dieselben bespielt und die Interessanten, die Widerspenstigen, die Anspruchsvollen langweilt. Langeweile aber ist der Hintern des Teufels, wie schon Ernst Bloch wusste. Ein großer Teil der heutigen TV-Unterhaltung ist in diesem Sinne teuflisch, spielt nur mit der einlullenden Wohligkeit des Rituals.

4. DIE VERLORENE GENERATION

Und die Jungen? Die reden nicht so schlau, so lau. Sie sind so friedlich und international wie keine deutsche Jugend zuvor – und das Gegenteil. Sie lieben das Vexierspiel von Echtem und Inszenierung. So betrat Eminem mit dem Video „My Name Is“ die Bühne: in der „Slim Shady Show“ ist Marshall Mathers gleichzeitig Bill Clinton, ein Exhibitionist, eine Puppe, Marilyn Monroe und Patient auf der Couch des Therapeuten Dr. Dre, im realen Leben sein Produzent. Kids hassen Erwachsene, die alles wörtlich nehmen. Was hörst du? Worüber lachst du? Das sind die wichtigsten Codes. Das „Mainstream-Fernsehen“ hat sich von Jugendkulturen abgekoppelt. Wir werden sie nicht durch Gesten und Hinterherlaufen gewinnen. Gerade öffentlich-rechtliche TV-Unterhaltung ist zum Spartenprogramm für die Alten geworden.

5. DR. STRUVES TRIUMPH DES TRIVIALEN

Das ARD-Programm zwischen 14 und 19 Uhr: „Rote Rosen“; „Sturm der Liebe“; „Wolf, Bär & Co“; „brisant“; „Verbotene Liebe“; „Marienhof“; „Großstadtrevier“ – das ist Dr. Struves Triumph des Trivialen, finanziert von uns allen. Das Triviale hat einen Sinn. Es stiftet Ordnung und Moral, überschaubar und frei von Widersprüchen. Dabei gibt es natürlich Modernisierungsprozesse: nicht der Schwulenkuss in der „Lindenstraße“ war der Durchbruch zur Moderne, sondern die Scheidung von Hans und Helga Beimer indizierte, wie die Illusion Familie in die Brüche geht. Und heute? Mit Hape Kerkeling lernen wir Deutsch und tanzen; Günther Jauch fragt Allgemeinwissen ab, die Super-Nanny und Schuldnerberater bringen Grundwerte ins Hartz-IV-Land. So wird das Fernsehen zur ent-fiktionalisierten Sozialisationsinstanz. Der Fernsehfilm lässt nach. Ent-Fiktionalisierung heißt nicht weniger Künstliches, aber auf jeden Fall weniger Künstlerisches.

6. REHABILITIERT DEN WIDERSPRUCH!

Ich bin dafür, den Widerspruch zu rehabilitieren. Widersprüche müssen nicht nur ausgeräumt, sondern ertragen werden. Wenn die Politik unseren jugendlichen G-8-Kritikern mit Wasserwerfern und Razzien begegnet, dann sollten aufgeschlossene Unterhaltungsmedien Künstler wie Judith Holofernes oder Jan Delay mit seiner Update-Version von „Söhne Stammheims“ nicht nur in Talkshows befragen, sondern ihnen eine Plattform der Selbstdarstellung geben. Übertragt einfach das Protestkonzert aus Heiligendamm – nicht der Quote wegen.

7. PLURALISMUS GEHT DER INTEGRATION VORAUS

Natürlich gibt es immer wieder gute, kreative Unterhaltung. Olli Dittrich als Franz Beckenbauer im Gespräch mit Harald Schmidt; Sido bei Kurt Krömer; Murat Kurnaz bei Beckmann; Boston Legal und Desperate Housewives; „KDD – Kriminal Dauerdienst“ und „Der letzte Zeuge“, „Wut“ und „Guten Morgen, Herr Grothe“; Horst Schimanski als rauer Engel in der Duisburger Hartz-IV-Vorhölle. Generell aber stehen sich die öffentlich-rechtlichen Sender, gerade in der Abteilung Unterhaltung selbst im Weg, weil sie den „Integrationsauftrag“ falsch verstehen. Wenn man immer sofort alles integrieren will, verkommt Journalismus zu Pädagogik und Unterhaltung zu Belehrung. Erst muss sich etwas entfalten können, dann kann es zusammenkommen. Pluralismus geht der Integration voraus! Pluralismus heißt unterschiedliche kulturelle Ausdrucksformen, Stolz auf Differenz. Häufig recyclen Sendungen wie „brisant“, „Kerner“ und zahlreiche Jugendwellen der ARD-Radiofamilie nur die siegreichen Popstars oder Topmodels der konkurrierenden Sendesysteme. Wenn Dieter Bohlen bei Kerner erklärt, dass er mit Mark Medlock bei „Wetten, dass …?“ auftreten will, steht das ZDF stramm. Auch das ist arm.

8. NOCH EIN WORT ZU DEN TIEREN

Im Tagesprogramm sind die Zoo-Soaps Quotenknüller. Der MDR hat sie nun sogar mit den Klinikserien zu „Tierarzt Dr. Mertens“ verschnitten – Primetime-tauglich. Fast so süß wie Knut. Sie signalisieren den Psychohaushalt einer kinderfeindlichen und klimahysterischen Nation. Dr. Grzimek und Horst Stern würden rotieren angesichts der vordergründigen Anthropologisierung unserer tierischen Mitgeschöpfe, die wir mit Recht auch töten und essen.

9. DIE GROSSE SHOW DER ARBEIT

Es gibt die „große Show der Naturwunder“. Fast alle Lebensbereiche: Erziehung, Bildung, Ernährung, Wohnen, Alter, Krankheit werden in der TV-Unterhaltung bespielt. Nur die „Arbeit“ fehlt. Lasst uns nachdenken über „Die große Show der Arbeit“, lustig und lehrreich, bevor es die Sozial-Darwinisten tun.

10. DIE LAGE IST HOFFNUNGSLOS, ABER NICHT ERNST

Fernsehen ist und bleibt in erster Linie ein Unterhaltungsmedium. Das Leichte ist das Schwerste. Vielleicht kann man im Seichten nicht ertrinken, aber man kann schleichend verenden. Wir brauchen Talente; Plattformen und Ausbildung für diese – in Show und Entertainment. Warum boomen US-Serien? Ob „Gilmore Girls“ oder „Close“ – weil sie einfach besser sind. Auch bei uns gibt es wunderbare Autoren, Regisseure, Schauspieler – wir müssen sie loslassen auf das, was bisher „Mainstream“-Fernsehen heißt: auf Serien und Krimis. Wir brauchen nicht zwei Welten – hier: Primetime; dort: „kleines Fernsehspiel“ nach Mitternacht – sondern eine spannungsreiche Bindung zwischen Avantgarde und „Mainstream“.

Der Beitrag ist die gekürzte Fassung eines Referats auf dem „Mediengespräch des DGB“ am 15.Mai im ARD-Hauptstadtstudio

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