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Medien: Das mythische Schwarz-Weiß der „Sportschau“

Sachlich, steif, bierernst: So präsentierte die ARD fast 30 Jahre die Bundesliga. Erinnerungen an eine legendäre Sendung, die so nicht wiederkehrt

Zu Ernst Huberty durften alle „Onkel“ sagen. Er hatte diese gütige Weisheit, die alle älteren Herren entwickeln, wenn sie ein feines Lächeln um die Lippen spielen lassen. Ernst Huberty schien immer eines der zart schmelzenden Sahnebonbons in der Sakkotasche zu haben, das er unweigerlich kleinen Kindern auf der Straße zustecken würde: mild und sanft war seine Aura. Er verkörperte die „Sportschau“, die in der Blütezeit der alten Bundesrepublik zu den festen Ritualen im Wochenablauf gehörte, gleichbedeutend mit dem Gottesdienst und dem Sonntagsspaziergang.

Samstagabend, von 17 Uhr 45 bis 18 Uhr 30: Das war die heilige Zeit des Fußballs, eine Dreiviertelstunde voller Spannung und Andacht. Später wurde die Sendung auf 18 Uhr verlegt, damit die Techniker und die Reporter im Stadion ein bisschen mehr Zeit hatten, ihre Berichte zusammenzuschneiden. Das Zusammengeschnittenwerden merkte man ihnen trotzdem immer wieder an. Es gab spannungsgeladene, weitaus abruptere Szenenwechsel, als das Spiel hergab. An der Oberfläche spürte man den Versuch, nachrichtlich und sachlich zu bleiben. Doch was da so mühsam verborgen gehalten wurde, wuchs in den Köpfen der Zuschauer zur eigentlichen, brodelnden und aufgeladenen Wahrheit.

Zwischenspiel des Schlagersängers

Dieses durch viele unwägbare Situationen geschulte Zusammenspiel von Fernsehleuten und Zuschauern ist unwiederholbar, und deswegen wird die neue „Sportschau“, die am ersten Bundesliga-Spieltag der Saison 2003/2004 den angestammten Platz beansprucht, mit der alten überhaupt nicht mehr zu vergleichen sein. Streng genommen, ging die alte Bundesrepublik schon 1988 zu Ende, als die Bundesliga zum ersten Mal nicht mehr primär in der „Sportschau“, sondern in einer Sendung namens „Anpfiff“ auf RTL gezeigt wurde, moderiert von einem früheren Schlagersänger („Lauf nicht vor der Liebe weg“) namens Ulli Potofski. Der hatte einen so genannten „Experten“ namens Günter Netzer zur Seite, der einen äußerst drögen Eindruck machte und völlig deplatziert wirkte; ganz Deutschland schüttelte bei dieser Sendung den Kopf. Ab diesem Zeitpunkt, als es sie nicht mehr gab, wurde die „Sportschau“ zum Mythos.

In den letzten Jahren vor 1988 ahnte man schon, dass da etwas bröckelte, dass alles ins Wanken geriet, dass es mit den schönen Jahren zu Ende ging. Sichtbarer Ausdruck dessen war der Werbeblock, der die einst so kompakte und stringente „Sportschau“ teilte und auseinander riss. Ihn mussten die Moderatoren ansprechen und überbrücken, und das machte ihnen große Schwierigkeiten. Heribert Faßbender, der Ernst Huberty als WDR-Sportchef leider längst abgelöst hatte, stand für die verlegen-verkniffene, der junge aufstrebende Jörg Wontorra für die bemüht-lockere Variante. Immerhin prädestinierte dies den letzteren dazu, ab 1992/93, als mit „ran“ auf Sat 1 der „Sportschau“ endgültig der Garaus gemacht wurde, den Modernisierungsschub mitzumachen und talkshowmäßig draufzukommen.

Was die alte „Sportschau“ bedeutete, ahnt man am ehesten bei einem Foto, das anlässlich der ersten Sendung aufgenommen und über die Agenturen verbreitet wurde: Ernst Huberty in der Mitte, der mit einem rheinischen, zwischen Konrad Adenauer und Willy Millowitsch vermittelnden Lachen einen großen Ball festhält. Links und rechts von ihm die beiden anderen Waffen, die der WDR aufgeboten hatte: Adolf „Adi“ Furler, der vorzugsweise mit Berichten von Trabrennbahnen auf sich aufmerksam machen würde, und Dieter Adler. Dieser wurde bald zum Untersuchungsgegenstand der ersten Computerlinguisten: Sie fanden heraus, dass sein aktiver Wortschatz bei 800 Wörtern lag – dies genügte ihm für seine Berichte, die die „Sportschau“ bald prägen sollten. Es gab natürlich vereinzelte Ausreißer: Hans-Joachim Rauschenbach etwa, der stets vergebliche Kämpfe darum ausfocht, den deutschen Metaphernschatz erweitern zu dürfen.

Wenn sich die alte Bundesrepublik am frühen Samstagabend vor dem Fernseher versammelte, war dies ein Moment banger Erwartung. Denn bis zu dem Moment, in dem die schmissige „Sportschau“-Fanfare ertönte, wusste keiner, welche der neun Bundesligaspiele die WDR-Sportredaktion ausgewählt hatte. Zu mehr als drei Berichten reichten die technischen und personellen Möglichkeiten nicht. Es war die Zeit, als die Stadien noch „Rote Erde“ oder „Glückauf-Kampfbahn“ hießen, und hin und wieder schickte man auch einen Mann an den Aachener „Tivoli“ oder ins Ellenfeld-Stadion von Borussia Neunkirchen.

Aber sehr schnell fiel auf, dass die „Sportschau“ vom größten Sender der ARD, dem Westdeutschen Rundfunk in Köln, aus gesendet wurde: ins nahe gelegene Müngersdorfer Stadion war es offenkundig am leichtesten, eine Kamera zu transportieren, und ein Verein namens 1. FC Köln drohte eine Bedeutung anzunehmen, die seinen realen Fähigkeiten kaum entsprach. Immer wieder ging ein Aufstöhnen durch die Republik, weil sich in Braunschweig oder Nürnberg alles dramatisch zugespitzt hatte und Tor um Tor gefallen war, während sich die „Sportschau“ an einem 0:0 in Köln genügte. Und vom besten Spiel, das eine Bundesligamannschaft überhaupt jemals gezeigt hat, vom 7:1-Sieg von Gladbach gegen Inter Mailand im Europapokal der Landesmeister am 20. Oktober 1971, gibt es überhaupt keine Fernsehbilder vom WDR – er weigerte sich, zusätzlich zu der von der Heim-Mannschaft geforderten Summe von 6000 DM die Mehrwertsteuer zu bezahlen.

Seeler und die ehrlichen Arbeiter

Der Geist der „Sportschau“ war vom Ärmelhochkrempeln der Wirtschaftswunderjahre geprägt, von Bierernst und von Uwe Seeler. Es ging um ehrliche Arbeit, ums Malochen und um einen strammen Schuss. Kinkerlitzchen und Fisimatenten gegenüber war man abhold. Dass Ernst Huberty ausgerechnet über eine Reiseabrechnung mit zu hohen Spesen stolperte, passt ins Bild. Die „Sportschau“ blieb auch dann noch dem überschaubaren Schwarz-Weiß- Denken verpflichtet, als schon längst das Farbfernsehen eingeführt war und mit dem Typus Günter Netzer ein Paradigmenwechsel stattgefunden hatte: von der Nachricht zur Show. Netzer, mit seinen langen Haaren und dem schwarzen Outfit, zu dem ihn seine Freundin, die Goldschmiedin Hannelore Girrulat, überredet hatte, war der erste Popstar unter den deutschen Fußballern. Das funktionierte vor dem Hintergrund der „Sportschau“ umso besser – denn sie fühlte sich weiter dem Informationsgebot der „Tagesschau“ verpflichtet. Das war an der „Sportschau“ so schön. Sie wahrte eine Form, für die es gar keine Inhalte mehr gab. Deswegen ist die Sehnsucht nach ihr so groß – weil in ihr mitschwingt, es könnte auch mal wieder richtige Inhalte geben.

Es steht aber zu befürchten, dass die „Sportschau“ jetzt alles falsch macht. In der Samstags-„Tagesschau“ war während der letzten Bundesliga-Saison schon zu beobachten, wie sich vor allem Gerhard Delling mühte, gar lustig und flott zu sein, mindestens genauso schlimm wie Jörg Wontorra damals in seiner ersten Zeit bei Sat 1. Diese verzweifelten Wortspiele! Dieser coole, lockere Gestus, der sich schon auf das berüchtigte Sat-1-Studiopublikum vorzubereiten schien! Diese verzweifelte Streberhaftigkeit, immer dem Standard der Privatsender hinterherzuhecheln, wenn es längst schon zu spät ist!

Ein Studiopublikum soll es bei der neuen „Sportschau“ nun allerdings nicht geben, aber vielleicht ist das gar keine gute Nachricht. Vielleicht traut man es der wie üblich motivierten und gewerkschaftlich abgesicherten WDR-Technik-, Dienstleistungs- und Redaktionscrew einfach nicht zu, so eine Echtzeit mitzumachen.

Helmut Böttiger

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