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Dauerläufer durch Berlin: Zelle macht die Welle

Den RBB-Reporter gibt es gleich dreimal: Als Fernsehjournalisten, Familienmensch und als Sänger von „Ulli und die Grauen Zellen“.

Wer sich mit Ulli Zelle beschäftigt, der steht sogleich im Schlagworthagel. Kult! Legende! Urgestein! Das sind die Fans. Die anderen höhnen beispielsweise, der RBB-Reporter sei „in Berlin weltberühmt“ und machen ihn geradezu persönlich verantwortlich für die vorgebliche Provinzialität der „Abendschau“. Und er selbst? Nimmt einen großen Schluck Diät-Cola und fragt gelassen zurück: „Was denn noch? Neulich hatte ich Denzel Washington vor der Kamera, was soll denn daran provinziell sein?“

Der Fluch des Allzweckreporters. Die einen spüren, dass da einer ist, der seinen Beruf liebt und seine Neugier auslebt, ganz egal, ob im Kontakt mit Obdachlosen oder Filmstars. Die anderen werfen ihm vor, was er alles nicht ist, allerdings auch gar nicht sein will, Skandalaufdecker, Szene-Scout, Ego-Schausteller. Keine politische Botschaft! Und erst sein Musikgeschmack! Wird mit dem Rauswurf aus der Hochkultur bestraft, dazu gleich mehr.

Ulli Zelle, gebürtig in Obernkirchen bei Rinteln, seit gut 40 Jahren in Berlin, wird im Juni 61. Das ist schon mal ziemlich seltsam. Wo hat er sich all die Jahre versteckt? Er ist ewiger freier Mitarbeiter seit 1984, erst Radio, dann Fernsehen, er wird für jeden Einsatz einzeln bezahlt und muss zwischendrin nicht mal zwangspausieren, weil ihm offenbar niemand unterstellt, er schiele auf eine feste Stelle beim Sender.

Seine Qualitäten sind für jeden offensichtlich, der einen realistischen Blick für aktuelles Fernsehen bewahrt hat: Er ist immer im Stoff, egal ob auf einem sturmumtosten Hochhausdach oder – wie auch in diesem Jahr – auf dem roten Teppich der Berlinale, kann mit allen und hat die knappen Zeitrahmen seiner Sendungen so verinnerlicht, dass immer kompakte, verständliche Informationen überkommen. Er ist einer, den die Leute verstehen, einer, den man am Tresen treffen will, wenn das Leben mal wieder zu entgleisen droht.

Er selbst fühlt sich am Tresen auch nicht unwohl, zählt im „Lentz“ am Stuttgarter Platz praktisch zum Inventar und kann auch über das Innenleben so illustrer Zeitmaschinen wie der Spandauer „Kolkschänke“ mit ihrer Jahrhundert-Patina berichten. Die Stadt ist für ihn eine endlose Reihe von Reportage-Schauplätzen, alles ist mal in irgendeiner Sendung vorgekommen, na, fast alles. „Sicher ist Lichtenberg nicht gerade ein Schwerpunkt“, sagt er, erzählt dann aber sofort über das dort angesiedelte vietnamesische Großkaufhaus und dessen Innenleben.

Bei all dieser Präsenz ist der Eindruck unausweichlich, dass es mehrere Ulli Zelles geben muss. Drei? Klar, sagt er, drei. „Den Reporter, den Rocker und den Familienmenschen.“ Der Rocker, so scheint es, ist der älteste, geboren gegen 1965 und dort auch gleich wieder eingerastet. Beatles, aber lieber Stones, Troggs, Kinks, auch so obskure Ein-Hit-Wunder wie die McCoys, alles drin, alles parat. Kein Wunder, dass das irgendwann raus musste, zuerst am 50. Geburtstag als Gag, nun längst als Dauerzustand: Ulli und die Grauen Zellen. Vier gestandene Berliner Musikprofis, dazu in der Mitte er als singender Amateur im roten Brokatjäckchen. Aber wie: Immer in Bewegung, immer am Rande des Parodistischen, immer in selbstironisch gebrochener kleiner Rockstar-Pose. Er gibt den Udo unterm Schlapphut, kriecht mit Timbre und Körpersprache in Mick Jagger hinein, lässt Eric Burdon ungelenk röhren, um die 50 Mal im Jahr.

Und an seltsamen Auftrittsorten. Die St.-Marien-Kirche Behnitz in Spandau ist so einer: Die Verstärker passen knapp vor den Altar, die Musiker drängeln sich ein wenig, und die Bänke sind dicht gefüllt mit Grauköpfen beiderlei Geschlechts, die so auch in eine katholische Messe passen würden – doch niemand nimmt Anstoß daran, dass gerade hier „Sympathy for the Devil“ dargeboten wird. Der Zelle-Effekt: Der ist so ein netter Kerl, der bringt uns sogar den Teufel näher. „Das ist hier ein Spezialfall“, sagt er über das Publikum, „an anderen Auftrittsorten kommen auch ganz andere Leute“. Über 50 Titel hat die Band parat, mischt das Programm je nach Ort und Zuhörerschaft, „in Clärchens Ballhaus liegt der Schwerpunkt mehr beim Tanzen“.

Der Familienmensch hat sich dem Zelle-Duo augenscheinlich als Letzter angeschlossen. „Ja, da waren vorher immer mal Partnerschaften“, erinnert er sich, „aber als da diese Griechin kam ...“ Die Griechin, das ist Niki Sarantidou, promovierte Politologin, 18 Jahre jünger als er. Eigenheim in Gatow, die Söhne Maximilian und Constantin acht und vier Jahre alt – soweit perfekt, sieht man davon ab, dass ein freier TV-Reporter nur schwer planen kann, ob er am kommenden Wochenende den Rasen mäht oder mit einem Kamerateam durch Berlin gondelt. Innere Angelegenheiten.

Aber er mag das so. Warum aus ihm nie ein Moderator oder Sender-Hierarch mit fixen Arbeitszeiten geworden ist? Er beschreibt kenntnisreich, welchen strengen Konferenzritualen sich dieser Personenkreis zu unterziehen hat und winkt ab: „Das ist nichts für mich.“ Moderator war er ein paar Mal, sogar in der „Abendschau“, als der neue Chef Gert Ellinghaus Mitte der Achtziger die Revolution im Sender ausrief, aber das gab sich schnell wieder. Bei Vox war er mal kurze Zeit Gastgeber einer hastig genagelten Empör-Doku, vergeben, vergessen. Im Grunde, so sagt er, ist ihm Radio sogar das liebste Medium, weil der Reporter dort autonom eine eigene Welt gestalten könne; „im Fernsehen muss man immer darauf achten, dass Bild und Text nicht auseinanderfallen“.

Ach, das noch: „Sport geht gar nicht.“ Die aufgekratzte Emphase, das Simulieren nicht vorhandener Spannung, das ist nicht sein Thema. Allerdings hat er auch das mal ausprobiert, sehr obskur: Zusammen mit einem Freund war er kurze Zeit Besitzer einer deutschen Radiostation auf Mallorca, versorgte die Zuhörer dort mit Bundesliga-Reportagen, die er in Berlin vor dem Fernseher einsprach. Ein Erfolg war es nicht, aber auch wieder nicht so schlimm: „Ich bin da mit 15000 Mark Miesen rausgekommen.“

Es sieht also ganz danach aus, als sei Ulli Zelle schon sehr lange auf dem Höhepunkt seiner Karriere angelangt. Er wird auch der neuen „Abendschau“-Chefin zu Diensten sein, wird für das „Heimatjournal“ durch die Schafställe und Blumenbeete des Berliner Umlands pilgern, auf Zuruf jeden Weltstar nach seinen Plänen für die Zukunft befragen und sich weiterhin vorhalten lassen müssen, dass er die Provinzialität des RBB verkörpere. „Ich bin bekannt, aber nicht berühmt“, hat er seinem älteren Sohn kürzlich erklärt, „berühmt wird man nur dafür, dass man etwas ganz Besonderes geleistet hat.“

Ein bisschen mehr geht aber noch. Seine Facebook-Seite ist noch nicht so richtig aus den Startlöchern gekommen, das liegt vermutlich daran, dass das Ulli-Zelle-Stammpublikum nicht sehr internetaffin ist. Im Direktkontakt ist er stärker, grüßt, wird zurückgegrüßt, angestarrt, gelobt. Bis zu Autogrammpostkarten hat er es aber noch nicht geschafft. „Sollte ich so was haben?“ fragt er, „nein, das ist doch peinlich, oder?“

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