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Medien: „Der Heimatfilm erlebt eine Renaissance“ 1875: Der Roman „Die Geierwally“ erscheint

Gefühl soll es sein und kein Schmalz-Fernsehen: Christine Neubauer spielt die „Geierwally“

Frau Neubauer, Sie selbst haben der Produzentin Regina Ziegler eine Neuverfilmung der „Geierwally“ vorgeschlagen. Was bedeutet Ihnen diese bäuerliche Außenseiterin aus dem 19. Jahrhundert mit ihrem „großen, fremden, in Wildnis und Gletscherstürmen gereiften Herz“, wie es im Roman heißt?

Das ist eine Frauenfigur, die mich schon als Kind in der Verfilmung mit Heidemarie Hatheyer fasziniert und seitdem nie mehr ganz losgelassen hat. Und wenn man dann selbst Schauspielerin wird, hat man manche Figuren, die immer wieder den eigenen Weg kreuzen. Und nachdem ich mich von meinen Anfängen beim Heimatfilm über die Jahre hinweg sehr weit entfernt habe, bin ich mit der „Geierwally“ sehr gerne wieder dorthin zurückgekehrt und liebe es auch, sie darzustellen. Ausschlaggebend war der ganz starke Reiz, eine so widerborstige, dickschädelige Frau zu spielen, die sich von ihrem Weg nicht abbringen lässt, selbst wenn er falsch ist. Und für die Zuschauer ist es ein klassischer Heimatfilm, der im besten Sinne bewegt.

Fürs Fernsehen wurde Wilhelmine von Hillerns Text vorsichtig aktualisiert: Die studierte Landwirtin Wally trägt Jeans, fährt Jeep und spricht mit ihrem verschmähten Verehrer Joseph Gruber, dem „Bärenjoseph“, über computergesteuerte Futtermittelberechnung.

Es gab ja mehrere historische Verfilmungen des Stoffs, und das ist eben der Blick von heute, wobei sich in vielen Aspekten kaum etwas verändert hat. Auch wenn sie Jeans trägt, bleibt sie jene historische Figur, die sich auflehnt. In manchen Szenen verschwimmt die Zeit, so dass man die heutige ARD-Version trotz der Jeans nicht unbedingt als heutigen Film wahrnimmt.

Zum Beispiel, als sie sich auf der Hütte schwer verletzt und fiebernd nach Heilkräutern sucht…

…gerade in den Bergen verliert sich die Zeit, und das finde ich sehr schön.

Warum ist der Geier in Wirklichkeit ein Steinadler?

Auch bei der Ur-Wally, die eigentlich Anna hieß, war es schon ein Steinadler. Einen Geier gab es nie, das ist einfach der Tiroler Sprachgebrauch, der Raubvögel als „Geier“ zusammenfasst. Somit sind wir in zwei Punkten der Urfassung der „Geierwally“ sehr nahe: Darin wird erzählt, dass besagte Anna ein Adlernest aushebt und dass sie an der Münchner Kunstakademie studiert hat, als erste und einzige Frau der Gegend. Insofern war sie schon sehr emanzipatorisch unterwegs, ohne das bewusst geplant zu haben.

Wie war die Zusammenarbeit mit dem Adler? Haben Sie mit mehreren Tieren trainiert?

Es waren zwar mehrere, aber für mich gab es einen Hauptadler namens Udo. Das war sehr schön, sehr bewegend, einfach außergewöhnlich. Natürlich funktioniert das An- und Abfliegen über das Anlocken mit Futter, aber man muss eine gewisse Ruhe ausstrahlen, wenn man mit Tieren arbeitet, damit man von ihnen akzeptiert wird. Und dass das gelungen ist, hat mich schon stolz gemacht. Und wenn ich im Nachhinein sehe, wie nahe wir uns gekommen sind, kann ich nur sagen: Ein Adler hat Mundgeruch! Wenn er aufgeregt war, teilweise aufgeregter als ich, hat er sehr schnell geschnauft, da hat man schon gerochen, welches Küken er vorher geschluckt hatte.

Sehr eindrucksvoll ist am Anfang Udos Attacke, als Sie den Berg hochklettern, um einen aus dem Nest gefallenen Jungvogel zu bergen…

…das war ich selbst, denn auch als Stadtkind habe mich in keiner Einstellung doubeln lassen.

Gibt es noch andere starke Frauengestalten aus der Heimatliteratur, die Sie gerne spielen würden?

Ich durfte schon einige Leben verfilmen, zum Beispiel für den Bayerischen Rundfunk in dem Zweiteiler „Mali“ die Geschichte der Wunderheilerin Amalie Hohenester. Die „Urgeierwally“ gab es zwar, doch der Rest ist ja fiktiv. Mich würden jetzt eher Figuren aus einem anderen Milieu reizen.

Kommt das Ergebnis der Dreharbeiten Ihrem Verständnis eines modernen, nicht sentimentalen Heimatfilms nahe? Wie beurteilen Sie dessen Stellenwert im Fernsehen?

Er erlebt auf jeden Fall eine Renaissance. Das sieht man sogar bei den schmalzigeren Rosamunde-Pilcher-Filmen, die ja eine Art englische Variante des Heimatfilms sind. Ich möchte betonen, dass bei der schlicht erzählten „Geierwally“ das Gefühl im Vordergrund steht und eben nicht der Schmalz. Wir haben uns Schritt für Schritt der Angst entgegengestellt, dass Gefühl gleichbedeutend sein könnte mit Kitsch, dass man Gefühle also durchaus zulassen kann.

Bedeutet das auch eine Rückkehr des Dialekts?

Mein Heimatdialekt ist natürlich Bayerisch. Aber egal wo Sie „Heimat“ ansiedeln, ob im Hunsrück, in Berlin oder in Sachsen: Jede Geschichte im Dialekt bringt eine gewisse Echtheit der Figuren mit sich, die ich absolut mag.

Das Interview führte Kathrin Hillgruber.

„Die Geierwally“, ARD, 20 Uhr 15

Die Schauspielerin Wilhelmine von Hillern veröffentlichte 1875 den Roman „Die Geierwally“, zu dem sie die Vita und ein Adlerbild der Malerin Anna Stai ner-Knittel inspiriert hatten. Die Geschichte der Tirolerin Walburga Stromminger, die sich aus gekränktem Stolz mit einem zahmen Adler in die Bergeinsamkeit zurückzieht, wurde in elf Sprachen übersetzt, von Alfredo Catalani als Oper „La Wally“ vertont und neben Walter Bockmayers Musical-Parodie viermal „ernsthaft“ verfilmt: 1921 als Stummfilm mit Henny Porten (Regie: E. A. Dupont), 1940 mit Heidemarie Hatheyer (Regie: Hans Steinhoff), 1956 mit Barbara Rütting und Siegfried Rauch, der in der ARD-Version Wallys Vater spielt.

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