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Medien: Der Letzte geht von Bord

Nur wenige wussten Bescheid. Nur ein ganz kleiner Kreis wusste, dass Bernhard Servatius seinen Abschied ankündigt.

Nur wenige wussten Bescheid. Nur ein ganz kleiner Kreis wusste, dass Bernhard Servatius seinen Abschied ankündigt. Am gestrigen Freitag, um elf Uhr, hatte der Aufsichtsratsvorsitzende des Axel Springer Verlags in die Bibliothek eingeladen. Mit über 200 Gästen wollte er in Berlin seinen 70. Geburtstag nachfeiern. Verlegerwitwe Friede Springer hielt eine kurze Rede, danach Vorstandschef Mathias Döpfner, dann Günter Rexrodt. Der FDP-Politiker war für Servatius’ Landsmann Hans-Dietrich Genscher eingesprungen. Genscher hatte ebenso wie Angela Merkel, Helmut Kohl und Friedrich Merz wegen der Trauerfeier in Erfurt abgesagt.

Nachdem Rexrodt seine Rede beendet hatte, ergriff Servatius das Wort: Er bedankte sich, erzählte, holte aus, steigerte die Spannung – und dann überraschte er die Zuhörer mit seiner Ankündigung: Mit Wirkung zum 30. Juni, also wenige Tage nach der Springer-Hauptversammlung, werde er das Amt als Aufsichtsratsvorsitzender niederlegen und auch sein Mandat zurückgeben. Als seinen Nachfolger für den Vorsitz schlug Servatius den früheren Schering-Vorstandschef Giuseppe Vita vor. Hintergrund dieser Entscheidung sei seine bereits vor zehn Jahren entwickelte Lebensplanung, sagte Servatius. Er wolle sich jetzt wieder den Dingen zuwenden, „die ich vernachlässigen musste, weil ich andere Dinge zu tun hatte“, sagte er und fügte hinzu: Der Zeitplan sei zwingend, um mit der „Freiheit auch noch etwas Sinnvolles anfangen zu können“. Die Gäste des Empfangs waren verblüfft. Der meistzitierte Satz beim anschließenden Essen im Springer-Club lautete: „Serva war schon immer für eine Überraschung gut.“

Der Jurist Professor Servatius, den bei Springer alle nur „Serva“ nennen, war seit 1970 juristischer Berater von Verlagsgründer Axel Cäsar Springer. Nach dessen Tod übernahm er 1985 zunächst den Aufsichtsratsvorsitz und kurz danach den Vorsitz der Testamentsvollstreckung. Diesen Posten gab Servatius Ende 1995 vorzeitig ab. Zuvor war er in die Schlagzeilen geraten, als drei der damals fünf Springer-Erben in einem offenen Brief kritisierten, er sei ein „übermächtiger Testamentsvollstrecker“, „dilettiere“ an der Spitze des Hauses und treibe es in „Führungs- und Richtungslosigkeit“.

Wenn Servatius am 30. Juni geht, scheidet der dienstälteste Aufsichtsratschef Deutschlands aus. Einen Teil seiner neu gewonnenen freien Zeit will der Katholik in seine zahlreichen Ehrenämter investiert. Unter anderem engagiert er sich für den Denkmalschutz und SOS-Kinderdörfer. Zudem will er publizieren und seine Kanzlei weiterführen.

Es gibt nicht mehr viele alte Kämpen beim Springer-Verlag. Und die paar Aktiven, die es noch gibt, finden immer weniger Gesprächspartner, mit denen sie sich austauschen können. Gleichgültig, was sie von Bernhard Servatius gehalten haben, der Eindruck verschärft sich: Der Journalistenclub, die Bibliothek im Springer-Verlag – sie sehen aus wie eh und je. Aber es laufen jetzt ganz andere da herum. Junge Journalisten und Manager haben das Zepter übernommen. Und sie haben sich diejenigen, deren Erfahrung sie bereit sind zu nutzen, selbst ausgesucht. Das gilt auch für den 67-jährigen Giuseppe Vita, den die Aufsichtsratsmitglieder am kommenden Dienstag voraussichtlich zu Servatius’ Nachfolger wählen werden. Der Sizilianer ist Chef des Schering-Aufsichtsrats, in dem auch Döpfner sitzt.

Springer hat innerhalb eines guten Jahres mit Döpfner nicht nur einen neuen Vorstandschef bekommen, sondern hat bei der Gelegenheit alle Zeitungschefredakteure und fast den kompletten Vorstand ausgewechselt, ist den unliebsamen Großaktionär Leo Kirch losgeworden und wird – falls Döpfners Pokerstrategie aufgehen sollte – bald groß ins Fernsehgeschäft einsteigen.

Nur der einflussreiche Serva war noch da. Von der Besetzungsliste der Soap ns Springer, sagt einer der Jungen, sei mit Servatius jetzt auch die letzte Figur gestrichen. Die Zeit der Intrigen und des Old-Boys-Networking sei endgültig vorbei. Der Satz „Springer goes Bertelsmann“ kursiert. Künftig, heißt es, würden Pragmatismus und wirtschaftliche Vernunft den Konzern regieren.

Springer schreibt erstmals rote Zahlen. Wer noch nicht bemerkt hat, dass es in der Geschichte des Axel Springer Verlages eine tiefe Zäsur gibt, wird das spätestens jetzt erkennen. Ulrike Simon

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