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Medien: Der Raketensender

Politkommentare & Außenreporter: Nach Weblogs kommen die Videoblogs

Kürzlich berichtete der US-Sender „CBS“ in den Nachrichten über den Videoblog „Rocketboom“. Ungläubig stand der Reporter in dem winzigen New Yorker Studio, zeigte auf die Videokamera und den Laptop und fragte dann sichtlich irritiert: „Ist das alles?“ Offensichtlich hatte er mehr erwartet. Ein größeres Studio oder professionelle Technik. Denn „Rocketboom“ aus New York ist der erfolgreichste Videoblog der Welt. Täglich sehen 50000 Zuschauer die etwa dreiminütige Sendung im Internet. Tendenz steigend. Nach Internettagebüchern, den sogenannten Weblogs und Podcasts genannten Hörspielen oder Radiosendungen im MP3 Format ist der Videoblog „Rocketboom“ mehr als nur eine weitere Entwicklungsstufe internetspezifischer Formate. „Rocketboom“ ist, schreibt die britische Zeitung „Independent“, „der Videoblog, von dem jeder spricht“.

Jeden Werktag um 9 Uhr, 15 Uhr deutscher Zeit, wird eine neue Folge ins Internet gestellt. Nach dem Anfangstrailer, schnell geschnittene New York Impressionen, taucht eine blonde Frau auf dem Bildschirm auf. Sie sitzt vor einer Weltkarte und strahlt übers ganze Gesicht. „Hello and good monday, my name is Amanda Congdon and this is Rocketboom". Dann folgen zum Beispiel einige Gemeinheiten über den republikanischen Politiker Tom Delay, der wegen Geldwäsche in Texas vor Gericht steht. „Und wer ist der Nächste?“, fragt die Moderatorin süffisant, um die Frage gleich zu beantworten. „Dicky“, womit US-Vizepräsident Dick Cheney gemeint ist.

Republikanische Politiker oder noch besser ihre Verfehlungen, sind eins der Lieblingsthemen von „Rocketboom“. Kommentare über die US-Politik, skurrile, aber wahre Meldungen aus Kultur, Wissenschaft oder Gesellschaft, kaum eine Blüte der Alltagskultur bleibt ungesendet. Zwischen den Meldungen, werden kleine Filmbeiträge eingespielt. Etwa ein Luftgitarrenwettbewerb oder der Weltrekordversuch eines Teenagers, der nicht einmal dreißig Sekunden braucht, um den berühmten magischen Würfel von „Rubix“ so zu verdrehen, dass die Seiten farblich einheitlich sind. Einhändig natürlich. Die Themenmischung kommt bei den Zuschauern gut an. Nicht nur in Amerika, sondern weltweit, insbesondere in Japan.

Gegründet wurde „Rocketboom“ von dem 35-jährige Andrew Baron während des letzten US-Wahlkampfes. „Viele Leute kommentierten das politische Geschehen schriftlich in ihren Blogs“, sagt Andrew Baron, „was wir machen, ist der nächste Schritt". Über eine Annonce suchte er eine Moderatorin. 450 bewarben sich. Baron entschied sich für die 24-jährige Schauspielerin Amanda Congdon. Ein Glücksfall. Mit ihrer charmant- bissigen Moderation trägt sie dazu bei, dass „Rocketboom“ trotz der lächerlichen Produktionskosten von 25 Dollar pro Sendung plus 50 Dollar Honorar für Amanda Congdon professionell wirkt.

„Rocketboom“ lebt auch von den Ideen der Zuschauer. Congdon ruft dazu auf, Themenvorschläge zu machen. Mittlerweile beteiligen sich Zuschauer als Außenreporter. Los Angeles, Boston, Minneapolis und Houston sind mit Korrespondenten abgedeckt. Regelmäßig werden sie zugeschaltet, berichten von Ereignissen am Wohnort. Auch in Europa hat „Rocketboom“ Fuß gefasst. Der Schweizer Sozialwissenschaftler Stefan Seydel, der als Wohnorte Berlin, Wien und das schweizerische Städtchen Amrisvil angibt, ist der erste Nicht-Amerikaner, der in den handverlesenen Kreis der Korrespondenten aufgenommen wurde.

„Rocketboom“ macht Fernsehen für die Internet-Gemeinde. Geld verdienen Amanda Congdon und Andrew Baron damit nicht. Noch nicht. Ein kurzer Werbespot am Ende der Sendung würde „Rocketboom“ beträchtliche Einnahmen bescheren. Noch haben die Initiatoren Angst, dass die Zuschauer das als Ausverkauf verstehen und sich abwenden. Die tägliche Show soll kostenlos und ohne Werbung bleiben. Wer mehr sehen will, muss ein kostenpflichtiges Abo abschließen. Sollte dieses Modell funktionieren, würde das sicher einen Video-Boom im Internet auslösen. „Rocketboom“ hätte Netzgeschichte geschrieben.

Videoblog im Internet:

www.rocketboom.com

Alexander Dluzak

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