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Sendungsbewusst: Zu den Gesellschaftern des christlichen Radio Paradiso gehört unter anderem die Diakonie und die evangelische Kirche.

© Doris Spiekermann-Klaas

Der Rundfunk in der Coronakrise: „Das Radio wird als letztes elektronisches Massenmedium Bestand haben“

Radio-Paradiso-Geschäftsführer Matthias Gülzow über die Krise seiner Branche, öffentliche Hilfen und die Notwendigkeit von DAB+.

Matthias Gülzow, 54, ist Geschäftsführer von Radio Paradiso und Professor an der Hochschule Macromedia. Im Vaunet ist er kooptiertes Mitglied im Fachbereichsvorstand Radio.
Herr Gülzow, vor allem die Privatradios sind auf die Einnahmen aus der Werbung existenziell angewiesen. In den ersten Wochen nach Ausbruch der Corona-Pandemie sind diese massiv eingebrochen. Hat sich die Lage inzwischen stabilisiert?

Im Juni laufen die Werbebuchungen langsam wieder an, das gilt offenbar für die ganze Branche.

Auf welchem Niveau?
Wir rechnen im Juni wieder mit 70 Prozent der zu erwartenden Einnahmen.

Bis wann rechnen Sie mit einer Rückkehr zu den Vor-Corona-Werbeaktivitäten?
Da sind wir so klug wie alle anderen Wirtschaftsweisen! Wenn die Lage sich insgesamt wieder auf dem Niveau von Vor-Corona eingependelt hat, rechnen wir auch wieder mit den Erlösen. Wobei die Buchungen im Radio bei uns schnell weggefallen sind und sich wahrscheinlich schnell wieder erholen. Radio ist günstig und kann schnell hohe Reichweiten aufbauen.

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Die Werbe-Reichweiten der Radiowellen – für die sogenannte Media Analyse – werden sonst zweimal jährlich telefonisch erhoben. Wegen Corona findet nun im Herbst keine Befragung statt. Welche Auswirkungen hat das?
Normalerweise wird im Frühjahr und im Herbst befragt, und zweimal im Jahr kriegen die Radiosender dann Zeugnisse. Die Befragung im Herbst dieses Jahres wird zum ersten Mal eingespart, deshalb kriegen wir dann im März 2021 sozusagen keine Halbjahreszeugnisse, erst im Juli 2021 gibt es wieder Ergebnisse. Die Ausweisung im März hatte aber in den letzten Jahren schon keine Auswirkungen auf die Preise, deshalb sind die Auswirkungen nicht dramatisch.

Wir Zeitungsmacher wissen, dass unsere Reichweiten insbesondere über das Internet gerade massiv zugenommen haben. Man sollte annehmen, dass dies auch für das Radio gilt. Ist es da nicht besonders problematisch, wenn keine Daten erhoben werden?
Die Annahme ist richtig. In einigen Wochen sind die Reichweiten von Radio um bis zu 20 Prozent gestiegen. Die Daten der Radionutzung im Internet werden übrigens durchgehend weiter erhoben und auch vierteljährlich ausgewiesen, das ist ja viel einfacher.

Was sagen denn die werbetreibenden Unternehmen dazu, dass sie keine neuen Anhaltspunkte für die Reichweiten ihrer Werbung bekommen?
Das wird sich zeigen, da aber die Online-Reichweiten zur Verfügung stehen und die Preise nach der Juli-MA-Ausweisung gemacht werden, wird wahrscheinlich die Reaktion nicht so erheblich sein.

Kostenlose Werbung für Streichelzoos

Einige Wellen wie auch Radio Paradiso unterstützen in Not geratene kleinere Firmen mit kostenloser Werbung. Findet das weiterhin statt?
Am Ende haben weit über 300 kleine Gewerbetreibende bei uns kostenlose Werbung bekommen, vom Hunde-Ausführservice über Babybauch-Abdruckanbieter und den Streichelzoo bis zur Pizzeria. Wir sind immer noch dabei, die Werbung auszustrahlen. Ende Juni wird das erledigt sein.

Wie erfolgreich ist die Aktion?
Wir kriegen viele sehr gute Rückmeldungen – und die ersten Kunden buchen jetzt sogar auch gegen Geld bei uns weiter. Sie helfen uns, damit jetzt im Gegenzug unser Geschäft wieder in Gang kommt.

 Matthias Gülzow, 54, ist Geschäftsführer von Radio Paradiso und Professor an der Hochschule Macromedia. Im Vaunet ist er kooptiertes Mitglied im Fachbereichsvorstand Radio.
Matthias Gülzow, 54, ist Geschäftsführer von Radio Paradiso und Professor an der Hochschule Macromedia. Im Vaunet ist er kooptiertes Mitglied im Fachbereichsvorstand Radio.

© Promo

Welche öffentliche Unterstützung bekommen die privaten Radios in der derzeitigen Krise?
Im Bund hat der Koalitionsausschuss 20 Millionen Euro vorgesehen für private Rundfunkveranstalter, in Bayern haben das Land und die Landesmedienanstalt 1,25 Millionen Euro für lokale Radio- und Fernsehsender aufgebracht, in Thüringen sind es fünf Millionen und in Brandenburg 750 000 Euro – wobei meist noch nicht raus ist, wer davon wie viel abkriegt. In Berlin war die Unterstützung aus dem Berlin Partner Netzwerk natürlich hilfreich, aber eher symbolisch vom Betrag her. Einige Sender in der Stadt haben Werbebuchungen vom Arbeitsamt bekommen, wobei uns nicht klar ist, wer da warum etwas abbekommen hat. Die Berliner Sender haben in Summe also noch keine Klarheit.

Was könnte von der Politik konkret getan werden?
Als ich als Geschäftsführer von Radio Paradiso 1999 anfing, gab es in Berlin 18 Sender, die unabhängig voneinander um die Gunst der Hörer und der Werbekunden buhlten. Heute teilen sich zwei große Vermarkter den größten Teil vom Kuchen. Die wenigen unabhängigen Veranstalter haben es da schwer. Wenn man die viel beschworene Vielfalt wirklich will, braucht man nicht nur viele Programme, sondern auch viele unterschiedliche Veranstalter. Das könnte die Politik an vielen Stellen durch die Rahmenbedingungen noch viel konsequenter unterstützen. Und jetzt in der Krise kann sie dafür sorgen, dass Hilfe bei den Sendern ankommt, die es nötig haben – und nicht mit der Gießkanne verteilt wird.

Viele Privatradios sehen die zusätzlichen Kosten für das Digitalradio DAB+ als großes Problem an. Sollte man die Pläne für den weiteren Ausbau wegen Corona nun nicht zumindest vorerst auf Eis legen?
Trotz aller Bedenken ist DAB+ heute Realität. Sie können schon heute fast alle UKW-Sender und eben noch einige mehr auf DAB+ empfangen und es dürfen auch keine neuen Autos mehr mit Radios verkauft werden, die kein DAB+ können. Der Ausbau ist also schon da. In der Tat bedeutet das für viele Sender höhere Kosten und dann kommen noch die Kosten für neue Internet-Angebote, das Engagement in Sozialen Medien und vieles mehr. Radio ist heute viel mehr als einzelnes lineares Programm. DAB+ ist nur einer der vielen neuen Bausteine, die jeder Sender in die Hand nehmen muss. In wirtschaftlich guten Zeiten ist das machbar.

Sie unterrichten an der Hochschule Macromedia Medienmanagement. Welche Auswirkungen hat die Coronakrise auf die Attraktivität von Berufen rund ums Radio?
Bei allen dramatischen Veränderungen in den Medien hat Radio als Gattung auch für viele Studierende seine Faszination nicht verloren und wir haben wirklich tolle Absolventen in den Sendern. Radio wird über immer mehr unterschiedliche Wegen verbreitet, im Kern aber wird es als letztes elektronisches Massenmedium Bestand haben. Deshalb sind die Jobs im Radio weiter spannend, auch wenn die Krise an keiner Mediengattung spurlos vorbeigeht. Uns hat es schnell und heftig getroffen, wir erholen uns dann aber auch vergleichsweise schnell.

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