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Medien: Der Sohn als Spion

Matthias Brandt spielt den Agenten Günter Guillaume, der seinen Vater Willy Brandt bespitzelte

Von Barbara Nolte

Er sitzt im Rathaus Schöneberg, erster Stock, in einem Zimmer, das sehr lang, sehr hoch und schmal ist, ein unproportionierter, altmodisch möblierter Schlauch mit einer langen Tafel in der Mitte und rundherum hochgestellten Stühlen. Matthias Brandt hat sich einen umgedreht. Teakholz, blaues Kunstlederpolster – der Stuhl sieht aus, als stamme er noch aus der Zeit, als sein Vater von hier aus Berlin regiert hat. Die Weltgeschichte hat das Rathaus Schöneberg links liegen gelassen. Renovieren lohnt nicht mehr. Aber für Matthias Brandt muss das Gebäude eine besondere Bedeutung haben. „Wie meinen Sie, eine sentimentale Bedeutung?“, sagt er skeptisch und setzt schon mal den Ton für das Gespräch. „Nee.“

Matthias Brandt lächelt dieses scheue Lächeln wie eben schon auf der Pressekonferenz, wohl seine Schutzmaske für die unangenehmeren Momente des Lebens, denn auf der Pressekonferenz haben ihn alle gemustert: Ähnelt er seinem Vater? (Wenn man weiß, dass er der Sohn ist.) Oder eher der Mutter Rut? (Mehr.) Wie ein Politiker sieht er nicht aus (zu sanft). Aber auch nicht wie ein Schauspieler (zu unscheinbar). Matthias Brandt zieht einen Mundwinkel eine Idee höher – er hat wirklich eine minimalistische Mimik – und sagt: „Und jetzt: Reden, bis der Arzt kommt!“

Brandt, 42, hört lieber zu, als er redet. So wirkt er jedenfalls. Aber heute gehen die Spielregeln anders, das weiß er. Er kennt die Medien. Journalisten sind um ihn herum, seitdem er auf der Welt ist. Erste „breaking news“ mit drei: „Matthias Brandt spielt im Garten Fußball“, meldete der „Kölner Stadtanzeiger“ am 16. April ’64. Mit 12 auf dem Titel der „Bild“: „Matthias Brandt: Papi, bist du nicht mehr Kanzler?“ Das war am Tag nach dem Rücktritt des Vaters. Dann haben ihn die Medien wieder vergessen, haben ihn in Ruhe gelassen, selbst als er Schauspieler geworden war – dabei gehört als Schauspieler eigentlich eine dicke Archivmappe zu den Übeln des Berufs. Doch er spielte meist Theater: in Zürich, Bonn, Mannheim, zurzeit in Bochum, und dort schickt höchstens „Theater heute“ ihren Kritiker zur Premiere vorbei, und der verwechselte zuletzt Matthias Brandts Vornamen.

In diesen Wochen bekommt er die Medien in ihrer vollen Wucht zu spüren: Matthias Brandt ist das PR-Pfund, das die Produzenten von „Im Schatten der Macht“ in der Hand halten. Der Zweiteiler handelt vom Rücktritt Willy Brandts. Der Sohn fügt dem fiktiven Film die Magie des Echten hinzu. Er hievt den Fernsehstoff auf die zeitgeschichtichen Zeitungsseiten, denn er kann dem Bild des Vaters eine neue Seite hinzufügen. Am zugkräftigsten aber ist die Konstellation: Matthias Brandt spielt den Spion Günter Guillaume. Das klingt wie von der Marketing-Abteilung erdacht. Doch er war es selbst, der um die Rolle bat. Er wollte sie, unbedingt. Warum? „Es war eine professionelle Neugier“, sagt er, „mich hat Guillaumes Doppelexistenz gereizt, seine Doppelloyalität.“

Und wann gibt es das schon mal, dass man eine historische Figur spielen kann, die man selbst kennen gelernt hat? Matthias Brandt erinnert sich vage an Guillaume: als einen servilen Mann, einen „Adiletten-Feinripp-Typen“ und miserablen Autofahrer. Er war sogar mal bei einem seiner gefürchteten Überholmanöver dabei. Guillaume stand noch auf dem Gas, obwohl bereits drei entgegenkommende Autos in den Graben gefahren waren. Wenn Brandt von Guillaume erzählt, hört man keinerlei Bitterkeit über den Mann mitschwingen, der dem Leben seiner Familie eine andere Richtung gab. Seine Enttarnung war ja folgenschwer: Der Vater trat zurück. Die Brandts mussten aus ihrer Dienstvilla ausziehen. Matthias Brandt schaut skeptisch: Das mit der Bitterkeit versteht er überhaupt nicht. „Was ist denn tatsächlich passiert? Ein demokratisch gewählter Politiker ist zurückgetreten von seinem Amt, eigentlich ein relativ normaler Vorgang.“ Es ist ein bisschen seltsam: Der Film „Im Schatten der Macht“ inszeniert den Kanzlersturz als großes Drama, während Matthias, der Zeitzeuge, das ganze Pathos wieder herausnimmt wie Luft aus einem Gummiboot. Die Guillaume-Affäre, sagt er, habe ihn, „Verzeihung“, lange „einen feuchten Kehrricht interessiert“.

Aber für den Vater muss sie doch einschneidend gewesen sein?

„Da sprechen die historischen Fakten eine andere Sprache, weil man nicht sagen kann, dass die politische Laufbahn meines Vaters danach beendet gewesen war. Im Gegenteil“, antwortet Brandt.

Haben Sie später mit ihm darüber gesprochen?

„Nee.“

Ist doch erstaunlich, oder?

„Das wundert mich nicht, weil mir naturgemäß das Verhältnis zu meinem Vater bekannt ist.“

Den mittleren Sohn, Lars, hat Willy Brandt manchmal ins Vertrauen gezogen. Mit Peter, dem Ältesten, hat er wenigstens gestritten. Aber Matthias? Eine Szene aus dem Frühjahr 1974 charakterisiert die Beziehung der beiden. Die Brandts standen vor den Fernsehnachrichten, in denen über die Guillaume-Affäre berichtet wurde, und Willy Brandt sagte zu Matthias: „Die Mutter wird dir ja erklärt haben, was das alles zu bedeuten hat.“ Dann sagte er nichts mehr, lachte nur laut los. „Wir haben nie eine gemeinsame Sprache gefunden“, sagt Matthias. Und weil hier spätestens der Einsatz der Hobbypsychologen ist, die die Guillaume-Rolle psychoanalytisch deuten (Ödipus!), fügt er hinzu. „Ich hab’ mit dem Film nichts Privates abzuhandeln gehabt. Mein Vater und ich sind gut auseinander gegangen auf dieser Welt.“ Er nimmt Willy Brandt sein Desinteresse an ihm nicht übel. Nur eines scheint ihm wichtig zu sein: dass er dem Vater nicht mehr Bedeutung in seinem Leben einräumt, als der ihm in seinem eingeräumt hatte. Jedenfalls war das so, bevor Matthias Brandt die Rolle in „Im Schatten der Macht“ annahm.

Es ist ein guter Film geworden, ein starker Schauspielerfilm: Wenn Michael Mendl spricht, glaubt man fast Willy Brandt zu hören. Matthias Brandt ist vielleicht der Blasseste – aber so war Guillaume. Die Rolle des unauffälligen Guillaume ist für ihn wie geschaffen. Er hat sich sorgfältig vorbereitet, Guillaumes „quälend langweilige“ Autobiografie gelesen, Zeitgenossen befragt. Nur mit dessen Frau und Sohn hat er nicht gesprochen. „Die Ergiebigkeit der Quelle Familie wird überschätzt“, sagt er. Vielleicht meint er damit ein bisschen sich selbst, er hat ja auch nicht viel über den Vater preisgegeben.

Matthias Brandt gibt dem Spion einen freundlichen Zug. Vielleicht ist das die späte Gerechtigkeit der Geschichte, dass der Mann, der den Vater stürzte, dem Sohn die Tür in die erste Liga der Fernsehschauspieler öffnet.

„Im Schatten der Macht“: Donnerstag, den 23. Oktober, und Freitag, den 24. Oktober, um 20 Uhr 45 auf Arte

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