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Medien: Der Star in Kniestrümpfen

Zum Finale von „DSDS“: Wie es ist, Kandidat in einer Castingshow zu sein. Ein Erlebnisbericht

Dieter ist immer noch da. Onkel Dieter. Der Herr Bohlen und „Deutschland sucht den Superstar“. Auf RTL — zum dritten Mal und heute im großen Finale! Um es mit Mary Alice von den „Desperate Housewives“ zu sagen: „Jeder hat ein dunkles Geheimnis, und irgendwann kommt es raus." Oder man wird regelmäßig daran erinnert. Also gut: Ja! Ich war auch mal Kandidat bei einer Castingshow! Aber bei mir ist das natürlich was anderes als bei den anderen… Ist ja klar, oder nicht?!

Da ich wie viele meiner Journalisten-Kollegen eine ausgeprägte Flexibilitätsbereitschaft habe (als Callcenter-Agent, Verkäufer), fragte ich mich damals angesichts der enger werdenden Möglichkeiten auf dem Medienmarkt, wie ich aus mir mehr Geld herausholen kann. Ich folgte dem Ruf meiner Freunde, Berater, nicht zuletzt der Familie. „Mach was mit Deiner Stimme! Gesungen hast Du doch immer!“ Stimmt. Ich war ein überzeugender Benny von „ABBA“, und die Tanzeinlagen von Bobby Farrell von „Boney M.“ konnte ich perfekt nachtanzen. Also war ich hier genau richtig: bei der „Deutschen Stimme 2003“ vom ZDF. Anders als „Deutschland sucht den Superstar“ ließ der öffentlich-rechtliche Sender alle ran, auch die, die schon die 30 überschritten hatten.

Da ich natürlich auf einen plötzlichen Durchbruch als Sänger jederzeit vorbereitet war, schickte ich den Verantwortlichen meine Demo-CD mit diversen Liedern von Robbie Williams bis Frank Sinatra. Eines Tages bekam ich meine Demo-CD im großen Couvert zurück. Ja, das war wohl nichts, dachte ich. Man kennt diesen DIN-A4-Couvert-Effekt: „Nicht aufmachen, ist ja eh ne Absage!“ Nö. Die hatten mir mein Material zurückgeschickt, mit der Aufforderung, an irgendeinem Samstag – das genaue Datum habe ich verdrängt – in ein Hotel in Berlin-Siemensstadt zum Live-Casting zu kommen. Dort bekam ich eine Nummer angeklebt und musste, umzingelt von anderen Karriere witternden Menschen, in erster Linie – warten.

Casting für eine Fernsehshow. Obskure Gestalten. Die übliche Hausfrau mit Pudeldauerwelle, die traditionelle Mandy, goldbraun geröstet mit surreal schwarz gefärbtem Langhaar, auch der Mario mit dem Glitzerjacket. Alle wollten sie da was. Am Ende wollte ich das auch! Dann wurde ich aufgerufen. Hektische Medienjungs mit Jeans bis an die Hacken und Janines mit absichtlich unaufgeräumt zusammengebundenen Halblanghaaren stürzten vor der Eingangstür zum Casting auf mich zu.

Kaum stand ich da, verkabelten die mich, hielten ein Mikrofon vors Gesicht. Ich sagte: „Ich bin etwas nervös.“ Ich wurde in einen Raum geschubst, vor eine Pappwand, auf der in Schönschrift „ZDF – Deutsche Stimme 2003“ stand. Auf dem markierten Kreuz sollte ich stehen bleiben. Vor mir eine 20 Meter lange Front aus Tischen mit Menschen dran. Ich kannte keinen einzigen der Casting-Henker. „Ich bin Frank Sandmann, 37 Jahre alt, ich singe von Xavier Naidoo ,Nicht von dieser Welt’.“ Es ist peinlich, aber ich war so aufgeregt, dass ich nicht in der Lage war, mir einen Spaß aus dem Auftritt zu machen. Das Resultat: Es war tatsächlich nicht von dieser Welt, dass ich nach der ersten Zeile den Text des Liedes nicht mehr wusste. Blackout! Das gibt es doch nicht! „Doch. Das haben wir bei jedem zweiten Kandidaten. Also: locker bleiben, von vorn anfangen“, sagte jemand hinterm Scheinwerfer. Das machte ich und sang bis zum Refrain-Ende, bis das ortsübliche „Danke“ gesagt wurde. Niemand klatschte, niemand sagte ein nettes Wort. Wie erniedrigend.

Ich zitterte und fragte mich, wie ich diese Schmach gut verkaufen und aus der Niederlage einen Triumph machen konnte. Dann kam eine Reporterin und fragte: „Wie war es?“ Ich: „Ich bin völlig fertig. Ich habe doch glatt nach der ersten Zeile…Ich fühle mich wie ein zwölf-jähriges Mädchen mit weißen Kniestrümpfen!“ Da hat sie gelacht. So erleichtert, denn sie wusste, dass dies der richtige O-Ton für die Eigenwerbung werden würde. Hätte ich auch so gemacht. Das macht man so bei den Medien – Highlight-Verwurstung. Kaum hatte ich zu Ende kalkuliert, riss man mir die Kabel ab. Die nächste Gestalt hielt mich auf. „Ich mache hier das Internet für die Show, ich würde Dir gern ein paar Fragen stellen.“ Natürlich hatte ich Zeit. Wer wird denn schon in seinem Leben als künftiger C-Promi zu Beginn seiner Karriere interviewt. „Wolltest Du schon immer berühmt sein?“ „Also. Ich bin jetzt 37, und wenn Du mich das vor 20 Jahren gefragt hättest, hätte ich einen hysterischen Schreikrampf bekommen. Jetzt bin ich so alt, da denke ich in anderen Kategorien. Ich möchte eigentlich nur etwas bekannter werden, damit ich damit mal Geld verdienen kann. Mehr nicht.“ Ich konnte gehen. Und weiter warten.

Dass meine Einschätzung mit dem 12-jährigen Mädchen und den Kniestrümpfen passte, erfuhr ich von meinen Eltern. Sie hatten den Interview-Ausschnitt in der ZDF-Sendung „Fernsehgarten“ gesehen, wo „Die deutsche Stimme 2003“ angekündigt wurde. Immer wieder dachte ich danach: Wie kann man sich mit 37 Jahren so zum Affen machen? Wie verzweifelt muss man sein? Wie erkläre ich das meinen Akademiker-Freunden? Egal: Die rufen ja eh nicht mehr an.

Ein paar Tage später. Gerade stand ich in meinem Geschenkeladen in Kreuzberg, wo ich als Hilfsverkäufer jobbte, als mein Handy klingelte. „Hier ist Endemol. Wir produzieren die deutsche Stimme 2003.“ „Aha.“ „Sie sind in der nächsten Runde.“ „Aha. Wann soll das sein?“ „Anfang August in Köln.“ „Schlecht, da bin ich in Bayern, um Theater zu spielen.“ „Ja, freuen Sie sich denn gar nicht?“ „Jaja. Aber da kann ich nicht. Kann man das noch verschieben?“ „Leider nicht.“ Ich hatte inzwischen mein Talent als Schauspieler entdeckt und durfte in Shakespeares „Wintermärchen“ spielen. Das wollte ich mir mit der Castingshow nicht auch noch versauen. Um’s kurz zu machen: Das Thema war gegessen.

Gewonnen hatte die ZDF-Show ein gewisser Eddi Leo mit dem Lied aus der Merci-Schokoladen-Werbung. Er hat einen Plattenvertrag bekommen. Bei amazon kann man von ihm nichts bestellen. Der zweite Gewinner Marco Mathias, der mit dem kahl rasierten Kopf, tauchte ein letztes Mal als Duett-Partner von Nicole Süßmilch, einer Blondine aus Berlin beim Eurovision-Songcontest 2005 mit einer Schnulze von Ralph Siegel auf. Eine zweite Staffel von der „Deutschen Stimme im ZDF“ hat es nie gegeben.

RTL hat es immerhin zur dritten Staffel von „DSDS“ geschafft, obwohl auch der Gewinner aus der ersten Staffel, Alexander, verdächtig stumm geworden ist. Gut, dass ich damals nicht weitergemacht habe.

„Deutschland sucht den Superstar – Das große Finale“, RTL, 21 Uhr 15

Frank Sandmann , 39, Sänger, Schauspieler. Sein Programm: „Gayromeo ist schuld“, Theater Südwestkorso. Aus Karrieregründen hat er an einem Showcasting teilgenommen.

Frank Sandmann

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