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An der Grenze. Friedemann Keller (Götz Schubert, links) regiert in seinem „Freien Reich Frieden“, davon will sich Kommissar Peter Faber (Jörg Hartmann) ein Bild machen.

© WDR/Thomas Kost

Der "Tatort" aus Dortmund: Unter Wutbürgern

Der Dortmunder „Tatort“ zwischen Kohle-Abschied und Reichsbürgern thematisiert das Misstrauen gegen Institutionen.

Von Markus Lücker

Persönliche Betroffenheit, so nannte es Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul. Jene Betroffenheit soll mutmaßlich dafür verantwortlich sein, dass ein 50-Jähriger zu Silvester in seinen Mercedes stieg und in Bottrop aus rassistischen Gründen Menschen überfuhr. Reuls Formulierung kommt in den Sinn beim Sichten des Dortmunder „Tatorts“, auch wenn die Episode den für die Prime Time tauglicheren Titel „Zorn“ trägt. Der Film wird zu einem Destillat all der politischen Erfahrungen, die sich in den vergangenen Jahren angesammelt haben: der Aufstieg der Rechtspopulisten, bewaffnete Reichsbürger, die sich vom Staat abkapseln, der Terror des NSU und ein Verfassungsschutz, der nicht nur Akten schreddert, sondern den Rechtsextremismus über V-Männer mitfinanziert.

In einem kleinen Fluss nahe Dortmund wird die Leiche eines Bergmanns gefunden, der an der Spitze der lokalen Arbeiterprotestbewegung steht. Die Bergleute streiten mit den Betreibern ihrer frisch geschlossenen Zeche um eine angemessene Abfindung. Auf die meisten warten nur noch die Arbeitslosigkeit und das Bier im Kühlschrank. Sie sind die Verlierer eines Strukturwandels, der in der Siedlung nur an wenigen vorbeigeht. Das Thema könnte nicht aktueller sein, schloss im Dezember doch gerade erst das letzte Steinkohlebergwerk im Ruhrgebiet – das Ende von 200 Jahren Industriegeschichte.

Dem Unterhändler Radowsky (Peter Kremer) fällt es zunehmend schwer, die Arbeiter noch zu erreichen – allen voran die beiden engsten Freunde des Ermordeten. Die stehen längst im Kontakt mit Friedemann Keller (Götz Schubert), einem bewaffneten Verschwörungstheoretiker, der auf seinem Grundstück das „Freie Reich Frieden“ ausgerufen hat. Keller ist nur deshalb bislang von der Polizei unbehelligt geblieben, weil er der Verfassungsschutzmitarbeiterin Klarissa Gallwitz (Bibiana Beglau) zuarbeitet.

Warum an Gesetze halten?

Im sich daraus entspinnenden Fall geht es immer um die Frage: Wenn sich weder Unternehmen noch der Staat an Gesetze halten, warum sollten es dann die Bürger tun? Misstrauen gegen Institutionen ist hier allgegenwärtig und das nicht nur bei den Bergleuten. Autor Jürgen Werner stilisiert seinen Reichsbürger dabei nicht nur zum Opfer, sondern zur personalisierten Folge des gesellschaftlichen Vertrauensverlusts.

Doch neben so viel Empathie hätte zumindest ein Ansatz kritischer Distanz bei dem Thema gutgetan. Wie zuletzt die „Hannibal“-Recherchen der „taz“ über ein rechtes Netzwerk in der Bundeswehr gezeigt haben, können gerade Menschen wie Keller auf zahlreiche überzeugte Unterstützer auf staatlicher Ebene bauen. Während die Opfer des NSU damals in die Nähe der Clan-Kriminalität gerückt wurden, kommt bei den Kellers dieser Welt meist irgendein Innenminister daher und redet von persönlicher Betroffenheit.

So sehr „Zorn“ auf thematischer Ebene zu entsprechenden Gesprächen einlädt, so mittelmäßig ist der „Tatort“ als Krimi. Fabers Kollegin Martina Bönisch (Anna Schudt) verbringt einen Großteil des Films damit, ihre Rückenschmerzen von einem penetrant duzenden Reiki-Guru behandeln zu lassen. Nach anfänglicher Skepsis bringt sie schließlich sogar selbst einen Energiekristall gegen schlechte Schwingungen mit zur Arbeit. Dass Esoterik mittlerweile zu den zentralen Bausteinen neurechter Ideologien gehört, lässt das Ganze noch ungeschickter wirken.

Ermittlungen en passant

Allgemein hat das Ermittlerteam nicht viel zu tun. Nora Dalay (Aylin Tezel) zankt sich mit ihrem im vorhergehenden Dortmund-„Tatort“ neu eingeführten Partner Jan Pawlak (Rick Okon), der sich als vom Job überforderter Bubi herausstellt. Faber (Jörg Hartmann) löst irgendwie nebenher den Fall, ohne dass je der Eindruck entsteht, er müsse sich auch nur Mühe geben. Zum Schluss wird dann noch mal mit einer stellenweise per Drohnenflug gefilmten Actionsequenz inklusive SEK-Einsatz vor Bergbauszenerie gezeigt: Das Budget reicht für mehr als nur Büroaufnahmen, eine Kneipe und einen Wohnwagen als Kulisse. Das ist nicht wirklich spannend, sieht aber aufwendig, ja edel aus.

Spaß machen lediglich die Wortgefechte zwischen Faber und Gegenspielerin Gallwitz. Mit zunehmendem Druck wandelt die sich von einer undurchschaubaren Manipulatorin zu einer fluchenden Furie. Es bleibt dann aber doch der Eindruck, dass „Zorn“ eher die Themen für gleich mehrere sehenswerte „Anne Will“-Talks liefert statt für einen guten Krimi.

„Tatort: Zorn“, ARD, Sonntag, 20 Uhr 15

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