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Keine besten Freundinnen, aber ein funktionierendes Team: Anais Schmitz (Florence Kasumba, l.) und Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler).

© NDR/Manju Sawhney

Der „Tatort“ aus Göttingen: Brennende Kälte

Großes Fernsehen: der „Tatort: Krieg im Kopf“ mit Maria Furtwängler und Florence Kasumba. Wenn Menschen zu Killer-Maschinen werden.

Hollywood hätte aus diesem Stoff einen großen Film in der Tradition vieler regierungskritischer Thriller gemacht. Hierzulande reicht es „nur“ für einen „Tatort“, aber der dürfte immerhin zu den besten Sonntagskrimis des Jahres gehören.

Es geht um eine Form der Kriegsführung, die eher nach Science-Fiction als nach Bundeswehr klingt, und um einen skrupellosen Menschenversuch, aber das können die Göttinger Kommissarinnen Lindholm (Maria Furtwängler) und Schmitz (Florence Kasumba) nicht ahnen, als sie mit einer fast ausweglosen Situation konfrontiert werden.

[Der "Tatort: Krieg im Kopf" läuft am Sonntag um 20 Uhr 15 im Ersten]

„Krieg im Kopf“ beginnt mit einer Szene, die Autoren und Regisseure gern als Einstieg nutzen, um dann in einer langen Rückblende die Vorgeschichte zu erzählen: Im Foyer des Präsidiums drückt ein offenkundig verwirrter Mann Lindholm ein Messer an die Kehle und wird von Schmitz erschossen. Im Haus des Mannes entdecken die Polizistinnen die Leiche seiner Frau. Nachforschungen ergeben: Benno Vegener (Matthias Lier) ist von einem Bundeswehreinsatz in Mali, bei dem sein Erkundungstrupp in einen Hinterhalt geraten ist, mit einem posttraumatischen Belastungssyndrom heimgekehrt. Er hörte Stimmen und war in therapeutischer Behandlung; offenbar vergebens. Dann hat er anscheinend seine Frau umgebracht und seine Erschießung provoziert.

Für Lindholms Chef (Luc Veit) ist der Fall damit erledigt, für die Kommissarinnen allerdings nicht. Ihre Recherchen führen sie in einen Abgrund kaum vorstellbarer Skrupellosigkeit: Kaltblütig geht der Militärische Abschirmdienst über Leichen, um einen unerhörten Skandal zu vertuschen.

Lebhafte Erinnerungen an „Dengler“-Roman

Christian Jeltschs Geschichte erinnert lebhaft an „Brennende Kälte“, einen „Dengler“-Roman von Wolfgang Schorlau, dessen Verfilmung das ZDF im letzten Jahr gezeigt hat. Dort gehörten die Schurken zum Bundesnachrichtendienst, im „Tatort“ zum MAD, aber der Hintergrund ist ganz ähnlich.

Die Recherchen der Polizistinnen ergeben, dass die Soldaten bei dem Erkundungstrupp in Mali Hightech-Helme trugen. Im Selbstversuch erlebt Lindholm, wie die Kopfbedeckung aus Menschen perfekt funktionierende Maschinen macht. Den Schlüssel zur Lösung des Rätsels aber findet sie in Vegeners verstecktem Kellerraum, als sie plötzlich selber Stimmen hört.

Die Faszination von Jeltschs auch in kleinsten Details sehr sorgfältigem und ziemlich komplexem Drehbuch liegt nicht zuletzt in der Verquickung von Fakten und Verschwörungstheorien. Es schwirren allerlei komplizierte technische Details durch die Dialoge, aber die entsprechenden Ausführungen hat Grimme-Preisträger Jeltsch („Einer geht noch“) griffig in die Handlung integriert. Regie führte Jobst Christian Oetzmann, auch er Grimme-Preisträger.

„Krieg im Kopf“ ist nach „Das verschwundene Kind“ der zweite Fall für das Duo Lindholm/Schmitz, und zum Glück hat Jeltsch darauf verzichtet, den Zickenkrieg zwischen den beiden Frauen fortzusetzen. Sie sind immer noch keine besten Freundinnen, aber der Rettungsschuss zu Beginn lässt sie zusammenwachsen.

Beide geben sich zwar cool, aber natürlich macht ihnen das Erlebnis zu schaffen. Schmitz hat regelmäßig Visionen von Vegener, was zu einer echten Gänsehautszene führt, als sich ihr Mann beim Kuss in den Soldaten verwandelt. Der Film ist ohnehin ziemlich spannend, erst recht, wenn die Ermittlerinnen ins Visier ihres unbekannten Gegners geraten und selbst Opfer der Militärtechnologie werden. In diesen Szenen wird auch die wichtige Rolle der Musik (Sebastian Fillenberg) deutlich, die mitunter ein fast körperlich spürbares Unbehagen verbreitet.

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