zum Hauptinhalt
Warum war das Verhältnis von Pastor Flemming (Martin Lindow, rechts) zu seinem ermordeten Vater so schlecht?

© NDR/Sandra Hoever

Der „Tatort“ aus Kiel: Borowski und die Ideologen

Im „Tatort“ nimmt sich Autor und Regisseur Niki Stein die Reformpädagogik der 1970er Jahre vor. Aber auch religiöse Eiferer bekommen ihr Fett weg.

Niki Stein lässt sich im NDR-„Tatort“ mit dem Titel „Borowski und das Haus am Meer“ [ARD, Sonntag, 20 Uhr 15]einige Zeit, bevor er als Autor des Drehbuchs und als Regisseur der Episode aus einer verstörenden Erzählung einen komplexen Kriminalfall werden lässt. Die Einstiegsszene, in der Kommissar Klaus Borowski (Axel Milberg) zu einem Haus an einem See schaut, über dem in Großbuchstaben der Name „Arken“ steht, ist dabei ein Ausblick auf das Ende des Films – ohne den Ausgang zu verraten.

In der nächsten Szene geht es drei Tage zurück, zu dem Moment, als alles beginnt. Wieder gerät der Schriftzug Arken – was aus dem Dänischen übersetzt „Arche“ heißt – ins Blickfeld. Diesmal gehört er zu einem Beiboot eines Segelschiffs, das drei Leute an Land gebracht hat. Eine von ihnen ist Inga Andersen (Jannie Faurschou), sie geht in die Kirche und verlangt vom Pastor: „Gib mir meinen Mann zurück“. Doch dazu wird es nicht kommen, denn Heinrich Flemming (Reiner Schöne) ist wenig später tot.

Kommissar Borowski und seiner Assistentin Mila Sahin (Amila Bagriacik) läuft ihr dritter gemeinsamer Fall im Wortsinne vors Auto. Sie kommen gerade von einem anderen Einsatz, als Borowski plötzlich eine Vollbremsung hinlegen muss, um einen kleinen Jungen nicht zu überfahren, der über einen Weg läuft. „Was machst du denn hier, allein in der Nacht, im Wald?“, will der Kommissar wissen. „Da ist ein Hund, der hat den Opa angefallen“, erzählt der Junge, bei dem es sich um den Sohn des Pfarrers handelt. Einen Indianer hat Simon (Anton Peltier) auch gesehen, „der hat den Hund totgemacht“. Tatsächlich wird Großvater Heinrich am nächsten Morgen am Strand gefunden, tot und im Sand vergraben. Mit ordentlich gefalteten Händen, obwohl er doch zu Lebzeiten so wenig vom Glauben hielt. Der daneben vergrabene Hund ist hingegen schon seit langer Zeit tot.

Im höchsten Maße verstörend

Niki Stein hat mit „Borowski und das Haus am Meer“ eine vielschichtige Geschichte entwickelt, die im höchsten Maße verstört. Im Mittelpunkt steht ein Vater-Sohn-Drama, das sich gleich über drei Generationen erstreckt. In der Mitte befindet sich Pastor Johann Flemming, ein Mann, der in die Religiosität geflüchtet ist, weil ihn sein Vater Heinrich rundherum abgelehnt hat. Heinrich verließ seine Frau, als sie schwanger wurde. Weil sein eigener Vater ein grausamer Kriegsverbrecher war, fürchtete er, dessen Veranlagung könne sich genetisch auf ihn und seine Nachkommen übertragen haben. Doch statt nun selbst ein guter Vater zu sein, verhält sich Johann gegenüber Simon nicht viel besser als sein Vater ihm gegenüber.

Der „Tatort“ springt in der Zeit hin und her, nach der Vernehmung von Inga Andersen geht es zurück zu einem Abendessen bei der Pfarrersfamilie. Alle beten vor dem Essen, bloß der Großvater nicht. „Zu wem soll ich beten?“, fragt Heinrich provokativ. „Zum Gott der Gnade und des Verzeihens, ohne den du hier nicht am Tisch sitzen würdest“, erwidert Sohn Johann (Martin Lindow), der Pfarrer.

Der Großvater fällt hingegen durch unangemessene Bemerkungen über seine Schwiegertochter auf, bis sein Sohn ihn wieder einmal in seinem Zimmer einsperrt. Dieses Haus eines Gottesmannes, für die Bewohner ist es die Hölle.

An der Tvind-Bewegung orientiert

Um sich von der NS-Ideologie seines Vaters abzugrenzen, hatte sich Heinrich in jungen Jahren der reformpädagogischen Bewegung in Dänemark angeschlossen, die in ihrer Radikalität in einigen Bereichen weit über das Ziel hinausgeschossen ist – Stichwort Odenwaldschule und sexuelle Freizügigkeit im Umgang mit Kindern. Niki Stein hat sich zudem an der dänischen Tvind-Bewegung von Morgens Amdi Petersen orientiert. So anti-autoritär die Erziehungsmethoden waren, so autoritär waren die Führungsfiguren. In gewisser Weise arbeitet sich Stein damit auch an den 68ern ab. Die Kritik bleibt dabei nicht auf die Vergangenheit beschränkt. Im „Tatort“ beendet eine Kinderpsychologin die Befragung von Simon mit Verweis auf das angebliche Kindswohl – obwohl sie keine fünf Minuten mit dem Jungen verbrachte.

Doch Borowoski wäre nicht Borowoski, wenn er keine Wege fände, mit dem verwirrten Jungen doch noch ins Gespräch zu kommen. Überhaupt ist er der richtige Kommissar für einen Fall wie diesen. Klaus Borowski lässt sich durch nichts beirren, was auch für Schauspieler Axel Milberg gilt. Je größer der Wahnsinn, der um ihn tobt, desto ruhiger wird er. Assistentin Mila Sahin ist hingegen noch nicht richtig angekommen. Ihre Aufgabe besteht vor allem darin, den Alters-Gegenpol zu Borowski zu bilden. Immerhin: Gemeinsam kommen sie zum Ziel.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false