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Fragwürdiger Zeuge: Die Kommissare Max Ballauf (Klaus J. Behrendt, l.) und Freddy Schenk (Dietmar Bär, r.) wissen nicht recht, was sie von ihrem Kollegen Frank Lorenz (Roeland Wiesnekker) halten sollen.

© WDR/Martin Valentin Menke

Der "Tatort" aus Köln: Die Polizei, Prügelknabe der Nation

Überstunden, Stress, Geringschätzung: Im Kölner „Tatort“ glänzt Roeland Wiesnekker als überlasteter Streifenpolizist, stellvertretend für viele reale Gesetzeshüter.

Eine Unterführung spätabends in Köln. Allzu viele Autos kommen nicht vorbei, dennoch hat hier eine Streife Stellung für eine Verkehrskontrolle bezogen. Ganz normaler Polizeialltag, die Kelle baumelt am Arm des müden Beamten Frank Lorenz (Roeland Wiesnekker). Dann brettert ein Wagen viel zu schnell heran, Lorenz winkt ihn an die Seite, der nervös und gehetzt wirkende Fahrer stürzt zur Tür hinaus – und läuft direkt vor eine Straßenbahn. Während Lorenz’ Kollegin sich um das Unglücksopfer kümmert, sieht der Polizist einen dunklen Geländewagen vorbeifahren. Darin zwei schwere Jungs, einer trägt eine Waffe und hat ein Tattoo am Hals. Der Verdacht liegt nahe, dass sie Pascal Pohl, den jungen Mann, der auf den Straßenbahnschienen starb, verfolgt hatten. Im Handschuhfach von Pohls Auto finden sich überdies synthetische Drogen.

Die 74. Folge des Kölner „Tatorts“ („Weiter, immer weiter“) sieht zu Beginn nach einem Allerweltskrimi aus. Drogen, die Russenmafia, dazu als Episoden-Pointe ein wenig Futter aus Freddy Schenks (Dietmar Bär) Vergangenheit. Der Kommissar war mit Frank Lorenz auf der Polizeischule befreundet, doch dann trennten sich die Wege, Lorenz arbeitete in Düsseldorf – weiter entfernt kann man von Köln bekanntlich kaum sein. Das Wiedersehen fällt freundlich aus, Lorenz sagt zutraulich „Schenki“ zum Kommissar. Dass es eine interne Untersuchung geben soll, ärgert Lorenz, aber das Unglück scheint ihm nicht besonders zuzusetzen. Lorenz gönnt sich keine Auszeit und überredet seine Kollegin, sofort wieder auf Streife zu gehen: „Weiter, immer weiter“. Beide schlichten einen Streit zwischen zwei Betrunkenen – der eine übergibt sich auf Lorenz’ Uniform. „Wie war’s heute?“, fragt seine Schwester Mechthild (Annette Paulmann), bei der er nach der Scheidung von seiner Frau lebt. „Frag nicht“, antwortet er.

Mit herrlich zerknautschtem Gesicht

Die Überstunden, der Stress im Alltag, das Gefühl, Prügelknabe der Nation zu sein und dennoch große Verantwortung zu tragen: Welcher Belastung die Polizistinnen und Polizisten im Alltag ausgesetzt sind, wird hier zu einem zentralen Motiv. In dem herrlich zerknautschten Gesicht von Roeland Wiesnekker spiegelt sich all das wider. Aber: „Wir werden gebraucht da draußen.“ Davon ist Lorenz überzeugt. Eine Therapie lehnt er ab, stattdessen nervt er die Kommissare mit eigenen Ermittlungen. Und Schenk gerät in eine Zwickmühle, weil er dem alten Freund zur Seite stehen möchte, der sich aber hartnäckig weiter einmischt – mit schwerwiegenden Folgen. Erstmals schrieben die Autoren Arne Nolting und Jan Martin Scharf (Grimme-Preise für „Weinberg“ und „Club der roten Bänder“) das Drehbuch für einen Kölner „Tatort“. Und das bietet ein raffiniertes Spiel um Wahrheit und Wahrnehmung, getragen von dem großartigen Schweizer Schauspieler Wiesnekker.

„Weiter, immer weiter“. Das gilt auch für Klaus J. Behrendt und Dietmar Bär. Die beiden Westfalen, die für den ARD-„Tatort“ in Köln ermitteln, zählen längst zu den Altvorderen der Krimireihe. Gemeinsam mit Ivo Batic und Franz Leitmayr aus München sowie Lena Odenthal aus Ludwigshafen bilden die Kommissare Max Ballauf und Freddy Schenk das Triumvirat der mit Abstand erfahrensten Ermittler.

Sabine Postel alias Inga Lürsen feierte in Bremen zwar ebenfalls ihre Premiere im Jahr 1997, hat es aber nur auf etwas mehr als die Hälfte der Fälle gebracht. Postel und Oliver Mommsen sind bekanntlich ausgestiegen, ihre letzte gemeinsame Folge wird in diesem Jahr ausgestrahlt.

Auch sonst strich so mancher Darsteller in den vergangenen Monaten die „Tatort“-Segel. Und Behrendt und Bär? Haben nach eigenen Aussagen noch einen Vertrag mit dem WDR bis 2020 und produzieren mit drei Folgen im Jahr immer noch so fleißig wie kaum ein anderes Team. „Zu Spekulationen über ein Ende des beliebten Teams besteht kein Grund“, teilt eine WDR-Sprecherin mit. Die vergangenen neun Folgen sahen zwischen 9,2 und 11,5 Millionen Zuschauer. Weiter, immer weiter. Warum auch nicht, wenn die Filme eine Qualität haben wie in diesem von Regisseur Sebastian Ko herausragend und ohne kölsche Bratwurst-Gemütlichkeit inszenierten Fall.

„Tatort – Weiter, immer weiter“; ARD, Sonntag, 20 Uhr 15

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