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Tod in der Kiesgrube: Moritz Eisner (Harald Krassnitzer, l.) und Bibi Fellner (Adele Neuhauser) sind einer Verschwörung auf der Spur.

© ARD Degeto/ORF/Petro Domenigg

Der „Tatort“ aus Wien: Schafe und ihre Hirten

Im „Tatort“ aus Wien wird vertuscht, kaschiert und bestochen. Die Kommissare leiden unter der Sommerhitze.

Innerlich ist Kommissar Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) schon auf dem Absprung: Für ein Jahr geht es nach Den Haag zur EU-Antikorruptionsbehörde. Ganz beschwingt und heiter ist er, der Moritz Eisner. Wohingegen seine Kollegin Bibi Fellner (Adele Neuhauser) eher weniger beschwingt ist – dass der Moritz sie hier in Wien allein lässt, das gefällt ihr nicht.

Ist doch noch für ein Jahr, versucht Eisner zu beschwichtigen und reicht Bibi Fellner im Auto einen neuen Schlüssel mit zwei Turnschuhen dran. Der Schlüssel ist der Zweitschlüssel für die Wohnung in Den Haag, für die zukünftige Besucherin aus Wien.

Die Kollegin lächelt vom Steuer rüber, immerhin. Sie leidet ohnehin schon unter der Hitze. Wenn’s halt bloß nicht so heiß wär’ in diesem Wiener Super-Sommer. Alles schwitzt, alle schleppen sich durch den Tag. Bibi Fellner geht dennoch jeden Morgen in aller Früh im Wald joggen und begegnet auf einer ihrer Joggingtouren dem Herrn Dr. Wagner (Stefan Fent), ein ganz Hoher im Innenministerium.

Kurze Zeit später kommt die Meldung, dass besagter Herr Dr. Wagner tot bei der weiten Kiesgrube liegt. Eisner und Fellner haben einen neuen Fall.

„Verschwörung“ ist der jüngste „Tatort“ aus Wien betitelt, souverän in Szene gesetzt von Claudia Jüptner-Jonstorff („Rentnercops“) nach einem Drehbuch von Ivo Schneider („Landkrimi“). Beide, Schneider wie Jüptner-Jonstorff, legen hiermit ihr „Tatort“-Debüt ab, das weder spektakulär noch außergewöhnlich daherkommt, wohl aber in seiner Solidität angenehm unaufgeregt und geerdet.

Neben der eigentlichen regionalpolitischen Wiener Causa werden en passant weitere kleinere Nebenstränge erzählt, allen voran jener, in dem Moritz Eisner und Bibi Fellner einmal mehr ihre kollegiale Freundschaft mit charmigem Schmäh austarieren und einpendeln.

Oder jener, der den heißen Sommer in der Stadt behandelt – gedreht wurde Juni und Juli 2020 – und somit die zunehmende globale Klimaerwärmung thematisiert: Gleich am Anfang läuft Moritz Eisner der Schweiß nur so an der Schläfe herunter, Bibi Fellner schimpft gefühlt in etwa ein Dutzend Mal auf die neuen normalen Stadttemperaturen, und Assistentin Meret Schande (Christina Scherrer) knöpft sich im Kommissariat ihr stets schwarzes Outfit zum Abkühlen vor zwei Ventilatoren einmal bis zu Bibis Ermahnung allzu sehr auf. Ganz Wien liegt unter einer einzigen drückend schweren Hitzeglocke.

Bequeme Diagnose: Herzinfarkt beim Joggen

Der Fall „Verschwörung“ an sich ist reichlich unspektakulär: Die Politik übt rasch Druck aus auf Eisner und Fellner, Eisners Gang nach Den Haag wird denn auch alsbald blockiert, Ermittlungen werden behindert, Eisner freigestellt. Der hohe Herr aus dem Innenministerium, so das offizielle Narrativ, sei eben an einem Herzinfarkt beim Joggen gestorben.

Das geschieht eben auch im Wiener Wald. Dass Dr. Wagner jedoch sehr sportlich war, pumperlgsund, wie Bibi konstatiert, aber auch Spuren eines Dopingmittels im Blut gefunden wurden, das alles spielt dem Anschein nach keine Rolle.

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Die auffallend junge Ehefrau, Elisabeth Wagner (Lili Epply), ist ganz trauernde Witwe. Der langjährige Freund und politische Weggefährte Dr. Leytner (Matthias Franz Stein), nunmehr Bewohner des zweiten der beiden in einen idyllisch wirkenden Weinberg wie zwei störende Fremdkörper hingestellten Neubaus, ist ganz besorgter Nachbar. Diese beiden sterilen Neubauten, linkerhand der helle von Dr. Wagner, direkt daneben rechterhand der dunkle von Dr. Leytner, separiert voneinander lediglich durch die gemeinsame Auffahrt, thronen mächtig und machtvoll über dem Weinberg.

[„Tatort: Verschwörung“, Sonntag, ARD, 20 Uhr 15]

Etwas weiter weg, unterhalb der Anhöhe, der kleine Ort mit dem überemsigen, profitorientierten Bürgermeister Franz Brunner (Michael Dangl) und so manchem, der existenziell geschädigt wurde von den Herren Doktoren dort oben. Ein Bild, einer Parabel gleich.

Es ist ein trügerisches Idyll, vielmehr ein Spiegel gesellschaftlicher Zustände. Einmal meint der aalglatte, alerte Dr. Leytner, der seinen Hund unentwegt kommandiert, zu Eisner und Fellner, dass jede Schafherde ihren Hirten bräuchte. Menschen wie er und sein Nachbar, das seien nun einmal die Hirten. Die da unten, ganz gleich ob unterhalb des Weinbergs im Ort oder den Unteren in Wien, das seien eben die Schafe. Da komme es auch schon mal zu Opfern. So sei das.

Und über alledem steht die Sonne und strahlt erbarmungslos herunter und lässt Adele Neuhauser als Bibi Fellner einmal mehr so wunderbar charmant schimpfen: „Bist du deppert, is des heiß!“

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