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Medien: Der Tod recherchiert mit

Ermordete Gesprächspartner, Bekannte und Freunde: Was es heißt, als Korrespondentin in der arabischen Welt zu arbeiten

Der größte Schatz eines Korrespondenten sind seine Kontakte. Die Menschen, ihre unterschiedlichen Lebensläufe, Lebensumstände, Ansichten und Perspektiven. Sie setzen mosaikartig das Bild zusammen, das der ausländische Beobachter sich von der fremden Gesellschaft macht. Manche sind unsympathisch oder schockieren durch ihre politischen Ansichten, mit anderen freundet man sich an. Doch auf alle greift der Korrespondent zurück, wenn er eine Einordnung, eine Stellungnahme, eine Reaktion braucht. Die wichtigste Datei im Computer ist daher die Namensliste von Gesprächspartnern mit E-Mail-Adressen und Mobiltelefonummern. Hat man sich einmal persönlich kennen gelernt, wird beim nächsten Mal auch am Telefon freudiger Auskunft gegeben, klappt der nächste Interviewtermin in der Regel leichter. Normalerweise wird eine solche Datei im Laufe der Jahre größer.

Nicht so in der arabischen Welt. Der Korrespondent in dieser Krisenregion muss immer wieder die besten Kontakte aus seiner Kartei streichen, Bekannte und Freunde betrauern. Weil sie ermordet wurden. Wegen ihrer politischen Ansichten. Andere sitzen im Gefängnis, wieder andere wurden entführt.

Dezember 2002: Ich steige mit arabischen Schriftstellern wie Mahmud Darwisch und Adonis in Amman ins Flugzeug, um sie zu ihrem Treffen mit Günter Grass in Jemen zu begleiten. Endlich einmal Kultur und weniger Politik. Dort lerne ich den stellvertretenden Generalsekretär der sozialistischen Partei kennen, Jaral lah Omar. Ein liberaler Geist mit sympathischem Schalk in den Augen. Der kleine Mann mit den feinen Gesichtszügen lädt mich am letzten Abend in sein Haus außerhalb von Sanaa ein, damit ich auch seine Frau kennen lerne. Bei einem Bier diskutieren wir über die Wiedervereinigungen unserer beiden Länder, in Jemen und in Deutschland. Omars Frau klagt, dass sie sich im tribalen Norden verschleiern muss, während man da im sozialistischen Süden schon viel weiter sei. Jarallah Omar liegt vor allem mehr politische Freiheit am Herzen. Die Diskussion ist offen, Omar sagt mehr, als er in der Öffentlichkeit aus Rücksicht auf die Einheit des Landes sagen würde. Der Abschied ist herzlich. Knapp drei Wochen später, am 28. Dezember 2002, wird Jarallah Omar von einem islamischen Extremisten erschossen. Ich schaue mir die Bilder der Leiche im Fernsehen nicht an.

April 2003: Die Schar ausländischer Korrespondenten in Jordanien ist übersichtlich, ich habe Ausweis Nummer 34 der Vereinigung der Auslandskorrespondenten. So lerne ich schnell auch den Kollegen Tarik Ajoub kennen, der unter anderem für die „Jordan Times“ schreibt und zunächst für die Wirtschaftsprogramme des panarabischen Senders Al Dschasira arbeitet. Ein ernsthafter engagierter Mann, der gute Kontakte zu den in Jordanien friedlichen Islamistenkreisen hat, der einzigen Opposition im Lande. Er stellt mir für eine Geschichte über jordanische Islamisten seinen Schwiegervater, einen angesehenen Chirurgen, vor. Später übernimmt Ajoub das wiedereröffnete Büro von Al Dschasira in Jordanien. Über den amerikanisch-britischen Angriff auf Irak berichtet er für den Sender aus Bagdad. Er lehnt die Invasion ab, will sie aber zumindest dokumentieren. Am 8. April 2003 bombardieren die Amerikaner das Büro des unliebsamen Fernsehsenders in Bagdad, obwohl ihnen dessen Lage bekannt ist. Tarik Ajoub stirbt bei der Arbeit. Wir, seine Freunde und Kollegen, demonstrieren in Amman. Ich verschiebe die geplante Irakreise.

August 2003: Stattdessen fahre ich Ende April nach Teheran. Nach vielen Vorgesprächen mit seinen Mitarbeitern gelingt es, den irakischen Ajatollah Mohammed Bakir al Hakim zu einem Interview zu treffen. Er ist der Mann, der wahrscheinlich die politische Führung der irakischen Schiiten übernehmen wird. Ein ehrwürdiger Gelehrter und geborener Politiker, der vor Saddam Hussein nach Iran floh und hier die Exilopposition Sciri aufbaute. Er spricht wunderbares Arabisch. Ohne seine iranischen Gastgeber zu düpieren, macht er zwischen den Zeilen klar, dass er nicht an die Errichtung einer islamischen Republik nach iranischem Vorbild im Irak denkt. Er fordert mich auf, ihn bei seiner unmittelbar bevorstehenden Rückkehr in die Heimat zu begleiten. Es wird ein Triumphzug. Der besonnene Ajatollah übernimmt inoffiziell die politische Führung der Schiiten – ein Glücksfall für das Land. Wenige Monate später, am 29. August 2004, wird der moderate Geistliche von einer Autobombe vor der Moschee von Nadschaf in Stücke gerissen. Nur eine Hand ist von dem Ajatollah übrig. Ich betrachte das Foto, das uns beide bei dem Interview zeigt.

März 2004: Scheich Jassin ist eine unheimliche Gestalt. Der behinderte Greis ist der spirituelle Führer der islamistischen Hamas in Palästina. Er sitzt bewegungslos im Rollstuhl, der Kopf liegt leicht schräg. Er spricht mit leiser, krächzender Stimme und erklärt, warum es keinen Frieden mit Israel geben kann. Charismatisch ist er nicht, dennoch verehren ihn seine Anhänger. Das Interview findet in seinem bescheidenen Haus in Gaza statt, ein Krankenbett steht im Arbeitszimmer. Er wird nicht besonders bewacht. Kaum jemand kann sich vorstellen, dass Israel einen Anschlag auf den Krüppel verübt. Ausgewiesen wurde er schon einmal. Im März 2004 lenkt die israelische Armee eine Rakete auf den Wagen des Scheichs, als er eine Moschee in Gaza verlässt. Scheich Jassin ist eliminiert. Ich halte die Tat für eine politische Torheit, aber sie berührt mich menschlich wenig.

Mai 2004: Auch Abdel Asis al Rantisi ist ein Hardliner der Hamas-Bewegung. Der Kinderarzt arbeitet in einer bescheidenen Praxis in Gaza. Hier empfängt er mich 2001 zum Interview. Der Kontrast zwischen dem Arzt, der Leid mindern will, und dem Hamas-Vertreter, der unnachgiebig dafür plädiert, Leid über die israelische Bevölkerung zu bringen, ist schwer verständlich. Rantisi wird vier Wochen, nachdem er nach dem Tod Jassins inoffiziell die politische Führung der Hamas im Gazastreifen übernommen hat, von der israelischen Armee ermordet.

August bis Dezember 2004: Monatelanges Bangen um das Schicksal meiner französischen Journalistenfreunde Christian Chesnot und Georges Malbrunot , die im Irak entführt wurden. Immer wieder Eintauchen in Erinnerungen. An die morgendlichen Kaffee-Verabredungen mit Christian im „Interconti“ in Amman, die gemeinsamen Recherchen, die Geburtstagsfeiern. Der Entschluss, vorerst selbst nicht in den Irak zu fahren.

Juni 2005: Samir Kassir war nicht zu übersehen. Der libanesische Historiker und Journalist ist ein gut aussehender Mann, eine elegante Erscheinung in seinem Hemd und seinem blauen Blazer. Er denkt schnell und formuliert pointiert. Vor seiner scharfen Kritik ist niemand sicher. Wir lernen uns Anfang 2004 über einen gemeinsamen Freund kennen. Abends, in einem angesagten Restaurant Beiruts, wird in großer Runde getrunken und diskutiert. Und viel gelacht. Weil Samir Kassir ein lebenslustiger, energiegeladener Mensch ist. Und ein treuer Freund. Er fährt nach Berlin, um den Kanzlerberater Reinhard Hesse noch auf dem Sterbebett zu besuchen. Im April 2004 treffe ich Samir Kassir zum letzten Mal. In seinem Büro in der Tageszeitung „An-Nahar“, für die er Kolumnen schreibt. Gerade kommt die Nachricht, dass die UN eine internationale Untersuchungskommission zur Ermordung Rafik Hariris beschlossen haben. Samir Kassir jubiliert und greift in die Tasten. Er ist optimistisch. „Du musst am 1. Mai wiederkommen, da tobt hier der Bär, um den Abzug der letzten Syrer zu feiern“, meint der ausgesprochene Kritiker des Assad-Regimes. „Und danach gehen wir schön essen.“

Am 2. Juni reißt eine Autobombe unter seinem Wagen Samir Kassir in den Tod. Ich kann mich nicht durchringen, den Fernseher anzustellen. Mit einem Auge schiele ich am nächsten Tag auf das Foto in der Zeitung, das eine graue Masse zeigt, die Überreste meines Bekannten Samir Kassir.

Manchmal träume ich davon, über französisches Kino oder italienische Küche zu berichten.

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