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Peter Limbourg ist Intendant der Deutschen Welle mit den Standorten Berlin und Bonn..

© Deutsche Welle / M. Müller

Deutsche Welle und Afghanistan: "In höchster Gefahr"

Intendant Limbourg sorgt sich sehr um die Mitarbeitenden des Senders in Afghanistan - aber auch um die Journalistinnen und Journalisten, die aus Bonn berichten

Herr Limbourg, die Deutsche Welle hat stets umfassend über Afghanistan berichtet, nicht zuletzt mit Hilfe der einheimischen Journalistinnen und Journalisten. Zwölf an der Zahl sitzen in Kabul und anderswo fest. Wie bedrohlich ist deren Situation, sie sind ja namentlich bekannt?
Unsere Journalistinnen und Journalisten haben über Afghanistan verteilt aus allen Provinzen berichtet. Als absehbar war, dass die Taliban nach dem Abzug ausländischer Truppen die Macht zumindest in Teilen des Landes schnell wieder an sich bringen würden, haben wir unsere Mitarbeiter dazu angehalten, mitsamt ihren Familien nach Kabul zu kommen. Von dort sahen und sehen wir die beste Möglichkeit für eine Evakuierung. Die Ausreise ist für unsere Journalisten und ihre Familien die einzige Option.

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Weil Lebensgefahr herrscht?
Durch ihre Berichterstattung über Jahre, die sich auch kritisch mit den Taliban beschäftigt hat, sind sie alle namentlich bekannt und in höchster Gefahr. Auf die Worte des Taliban-Sprechers bei seiner ersten Pressekonferenz können wir uns nicht blind verlassen. Allein der Umstand, dass Taliban schon bei den ehemaligen Wohnorten von drei unserer Journalisten nach ihnen gesucht haben, belegt, in welcher akuten Gefahr sich unsere Journalistinnen und Journalisten, und mit Ihnen ihre Familien, befinden.

Der Sender bemüht sich intensiv darum, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ausgeflogen werden können. Wird das klappen, wie sieht die Unterstützung durch das Auswärtiges Amt aus?
Wir haben dem Auswärtigen Amt eine Liste aller Personen gegeben, deren Evakuierung wir für absolut nötig halten. Wir gehen bei allem davon aus, dass diese Menschen tatsächlich bei den Planungen des AA für weitere Evakuierungsflüge berücksichtigt werden. Da sich die Lage um den Flughafen in Kabul und auf den Zufahrtsstraßen in kurzer Zeit dramatisch verschlechtert hat, stellt sich zudem die Frage, wie wir unsere Mitarbeitenden und ihre Familien im Falle einer Zusage vom AA dann tatsächlich zum Flughafen transportieren können. Alle Berichte, die wir von dort erhalten, deuten darauf hin, dass es Gespräche zwischen westlichen Militärs untereinander und mit den Taliban brauchen wird, damit unsere Leute die Personenkontrollen an den Checkpoints bewältigen zu können.

Für die Afghanistan-Berichterstattung der Deutschen Welle sind in Deutschland rund 30 Menschen beschäftigt. Sie alle haben Familien und Verwandte in Afghanistan. Da sind die Sorgen riesig, oder?
Die psychische Belastung lässt sich kaum in Worte fassen. Wir haben dem Auswärtigen Amt auch die Namen aller Familienmitglieder unserer Redakteurinnen und Redakteure gegeben. Viele Mitglieder der Bonner Redaktion sind in Afghanistan auch namentlich bekannt und durch TV-Schalten auch von Angesicht. Wir sehen daher auch deren Familien als gefährdet. Diese Kolleginnen und Kollegen haben über viele Jahre genauso unerschrocken und objektiv über die Ereignisse in Afghanistan berichtet, wie die Journalisten vor Ort. Wir machen uns natürlich große Sorgen, dass die Taliban gegen Familienmitglieder vorgehen könnten.

Die Taliban haben die Macht übernommen. Da stellt sich die Frage nach den Chancen weiterer, freier Berichterstattung. Ist das wenigstens eingeschränkt möglich?
Wir werden selbstverständlich weiter über die Entwicklungen in Afghanistan berichten. Und auch aus dem Land. Das wird sehr davon abhängen, wie die Taliban mit Journalisten ausländischer Medien verfahren wollen. Wenn das Internet und die Sozialen Medien weiter in Betrieb bleiben, werden über diese Kanäle viele Informationen nach außen dringen. Diese zu verifizieren wird aber schwieriger, wenn Journalisten nicht mehr offen in Afghanistan arbeiten können.

Neue Wege der Berichterstattung

Wie lässt sich überhaupt sicherstellen, dass es gesicherte Informationen gibt?
Das ist in allen Ländern ähnlich schwierig, deren Bevölkerung in Angst lebt und deren Medien kontrolliert werden. Wir sind nach so vielen Jahren im Land sehr gut vernetzt und werden neue Wege finden.

Ist es vorstellbar, dass eine Journalistin der Deutschen Welle durch Kabul läuft und reportiert? Die verschleierte CNN-Journalistin Clarissa Ward tut das.
Den möglichen Einsatz eigener Reporter und Reporterinnen schließen wir nicht aus. Es hängt aber immer von den Umständen ab und ob wir eine Akkreditierung bekommen. Die DW hat eine eigene Abteilung für Sicherheitsfragen bei allen Auslandseinsätzen von DW-Reportern sowie der DW Akademie. Und wir tauschen uns mit den Kollegen anderer internationaler Sender aus. Es ist aber zu vermuten, dass für Reporter aus dem Ausland ein Einsatz zur Berichterstattung einfacher sein wird als für afghanische Reporter, die den Taliban ausgeliefert sind.

Die „Gotteskrieger“ haben angekündigt, die Pressefreiheit werde in Afghanistan weiter respektiert. Ist das glaubwürdig?
Das ist doch eher unwahrscheinlich. Die afghanischen Medien werden sich wahrscheinlich sehr vorsichtig bewegen, um ihre Mitarbeitenden nicht zu gefährden. Es gab in der Vergangenheit auch Anschläge gegen Journalisten von lokalen Fernsehstationen, weil deren Berichterstattung über die Taliban auch kritisch war. Internationale Medien werden das feststellen, wenn wir bei der neuen Führung nach Pressekarten anfragen.

Gefahr, dass das Interesse wieder schwindet

Berichtsgebiet Afghanistan: Wer in Deutschland muss tätig werden, damit das Land nicht zu einem blinden Fleck wird? Die Bundesregierung, das Auswärtige Amt, Journalistenverbände?
Zunächst sind wir alle als Medien in der Verantwortung – nicht nur die DW. Die Gefahr ist groß, dass nach einer gewissen Zeit das Interesse schwindet. Aber das sollte nicht passieren. Allein die Zahl der Flüchtlinge wird wahrscheinlich stark ansteigen. Daher wird auch die nächste Bundesregierung das Schicksal Afghanistans sicherlich hoch priorisieren.

Die Fragen stellte Joachim Huber.

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