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Christoph Mihr ist Geschäftsführer der Organisation Reporter ohne Grenzen

© ROG, Dietmar Gust

Deutschland auf Platz 16, Türkei auf Rang 151: „Lage der Pressefreiheit in der Türkei wichtiger“

ROG-Geschäftsführer Christian Mihr über die Pressefreiheit weltweit und die Frage, wie sie sich in Deutschland verbessern lässt - und den Böhmermann-Effekt

Herr Mihr, Reporter ohne Grenzen hat wieder die Rangliste der Pressefreiheit, diesmal für 2015, vorgelegt. Kann es das überhaupt geben: Eine übergreifende, objektive Bewertung von 180 Ländern? 

Möglich und unser Anspruch ist es auf jeden Fall, mit dem sehr umfangreichen Fragenkatalog, der in die Rangliste einfließt, einen quasi-wissenschaftlichen Rahmen zu schaffen, um aus den Einschätzungen hunderter Experten weltweit vergleichbare Aussagen zum Stand der Pressefreiheit in den verschiedenen Ländern zu gewinnen.

Gelten eigentlich überall dieselben Kriterien oder wird nach Ländern und/oder Kontinenten unterschieden?

Die Kriterien sind überall dieselben. Das muss nicht nur um der Vergleichbarkeit willen so sein, sondern vor allem deshalb, weil Pressefreiheit ein universelles Menschenrecht ist. Dass zum Beispiel manche Regierung mit den Ergebnissen nicht einverstanden ist, ist ein durchaus erwünschter Effekt: Letztlich wollen wir ja dazu anspornen, die Lage zum Positiven zu verändern.

Eine Rangliste stößt Debatten an

Eine Rangliste ist eine Rangliste ist eine … Gibt es tatsächlich Wirkungen und Nebenwirkungen?

Die wichtigste Wirkung ist, dass unsere Rangliste Debatten anstößt. In Ländern wie Mazedonien oder Bulgarien führt eine solche Veröffentlichung manchmal zu sehr lebhaften Reaktionen von Politikern. Wenn sich Regierungen und Behörden durch die Rangliste unter Zugzwang sehen, ihren Umgang mit Journalisten und Medien öffentlich zu rechtfertigen, ist allein das schon ein wichtiger Effekt. Wenn wir dazu beitragen können, Reformen anzustoßen und die Lage bedrängter Journalisten zu verbessern, umso besser!

Nach der aktuellen Rangliste liegen Finnland, Niederlande und Norwegen auf den Spitzenplätzen. Deutschland ist auf Rang 16 abgerutscht. Was kann Deutschland von den genannten Ländern lernen?

Gerade von den nordischen Ländern könnte sich Deutschland eine ganz andere Kultur im Umgang mit Behördeninformationen abschauen. Informationsfreiheitsgesetze mit einem Anspruch auf Akteneinsicht für jedermann, wie sie bei uns erst seit wenigen Jahren in Bund und Ländern Einzug halten, sind dort seit langem eine Selbstverständlichkeit. Hier erleben wir ja gerade erst, wie Journalisten diesem Recht nach und nach auf dem Gerichtsweg zu Geltung verhelfen. Auch die Medienvielfalt ist in Finnland und Norwegen beachtlich, gerade was die Zeitungsmärkte angeht. In Finnland gibt es sogar einen gesetzlichen Anspruch auf Breitbandzugang zum Internet – auch das garantiert den Bürgern den Zugang zu breit gefächerten Informationsquellen.

Wer in Deutschland kann die Pressefreiheit wirklich und nachhaltig verbessern?

Auf gesetzgeberischer Ebene könnten Bundestag und Landesparlamente einiges tun: Journalisten besser vor negativen Auswirkungen der Vorratsdatenspeicherung schützen, die Überwachungspraxis des BND einschränken,  die Auskunftsansprüche von Journalisten gegenüber Bundesbehörden klarer regeln oder in einigen Bundesländern Informationsfreiheitsgesetze beschließen. Justiz und Polizei sollten darauf verzichten, gegen Journalisten zu ermitteln, um undichte Stellen in den eigenen Reihen zu finden. Auch Medienhäuser könnten ihren Beitrag leisten: indem sie nicht zum Schaden der Meinungsvielfalt immer mehr Redaktionen zusammenlegen oder indem sie auf der klaren Trennung redaktioneller Inhalte von PR beharren.

Böhmermann-Affäre kann positive wie negative Effekte haben

Nach Lage der Dinge: Wird die Böhmermann-Affäre den Rangplatz Deutschlands im kommenden Jahr beeinflussen?

Das dürfte vom Ausgang der Affäre abhängen: Wenn Böhmermann freigesprochen wird oder es erst gar nicht zu einem Prozess kommt, könnte von der Angelegenheit letztlich sogar ein positives Signal ausgehen – jedenfalls dann, wenn die Regierung Wort hält und den unseligen „Majestätsbeleidigungsparagrafen“ abschafft. Eine Verurteilung Böhmermanns wäre sicher ein negatives Signal zumindest für die Kunst- und Satirefreiheit. Viel wichtiger als der Fall Böhmermann, der letztlich glimpflich ausgehen dürfte, ist aber die Lage der Journalisten in der Türkei, auf die der Moderator ja hinweisen wollte: Dort drohen Journalisten lange Haftstrafen, bloß weil sie ihre Arbeit getan und fragwürdiges Handeln der Behörden aufgedeckt haben. Die Türkei liegt aktuell auf Platz 151.

Christian Mihr ist Geschäftsführer der Organisation Reporter ohne Grenzen (ROG), die die Rangliste der Pressefreiheit erstellt. Mit ihm sprach Joachim Huber.

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