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Maskuline Dominanz. Stefan Austs Buch zeigt auch, wie sehr die Medien- und Politikwelt auch in frühen „Spiegel“-Jahren von männlichen Alphatieren besetzt war.

© dpa

Die Autobiografie von Stefan Aust: Hauptsache oben bleiben

In Stefan Austs Autobiografie werden sich nicht alle Freunde und Gegner angemessen dargestellt finden.

Wollte man eine Hitliste der zentralen Figuren aufstellen, die den deutschen Journalismus in den letzten Jahrzehnten prägten, würde Stefan Aust auf den oberen Plätzen rangieren. Was der bald Fünfundsiebzigjährige auf die Beine gestellt hat, ist erstaunlich und bewundernswert. Da Aust von seiner eigenen Bedeutung durchaus überzeugt ist, nimmt es nicht wunder, dass er nun seine Erlebnisse in ein voluminöses Buch packt (Stefan Aust: „Zeitreise“. Autobiographie. Piper-Verlag. München 2021. 26 Euro. 656 Seiten).

Eine „Autobiografie“, wie das Verlagsetikett behauptet, ist seine „Zeitreise“ im engeren Sinne nicht. Vom Innenleben des Menschen Aust erfährt man auf diesen über 600 Seiten wenig. Allenfalls am Anfang, wenn er von seinem Aufwachsen in Hamburg-Blankenese, Brunshausen und Stade, seiner Liebe zu den Pferden erzählt und ein Loblied auf die Elbe anstimmt, ahnt man, was die emotionalen Angelpunkte Austs waren und sind.

Selbst die Ehe mit der „Schimmelreiterin“ Katrin und seine Töchter spielen da eine marginale Rolle – was damit zu haben mag, dass er, wie er selbst anmerkt, von der Mutter eine gewisse Prüderie geerbt hat und sich deshalb scheut, seelische Konflikte auszubreiten.

In „Zeitreise“ geht es – damit schließt das Buch – um „Beobachtungen am Rande der Geschichte“. Wenn man sich darauf einlässt, Aust auf seinem Rückblick zu begleiten, taucht man unversehens in die Geschichte der vergangenen 50 Jahre ein. Unmittelbar nach dem Abitur pfeift er aufs Studium und beschließt, die Printmedienwelt zu erobern. Er beginnt bei „konkret“, für die auch Ulrike Meinhof schrieb, ist mittendrin in den Kämpfen der 1960er Jahre. Schon damals erwirbt er sich Meriten als Koordinator und Blattmanager, der weiß, dass andere besser schreiben als er, und ein (Marketing-)Gespür dafür entwickelt, womit sich Auflagenzahlen steigern lassen.

Ulrike Meinhof kanzelt ihn als „unpolitischen“ Menschen ab

Von den hartgesottenen Politaktivisten jener Jahre wird das argwöhnisch beäugt. Ulrike Meinhof kanzelt ihn als „unpolitischen“ Menschen ab – eine Anschauung, der Aust insofern nicht widerspricht, als er unverblümt eingesteht, dass es ihm an „revolutionärer Entschlossenheit“ gemangelt habe.

Als er auf seine langen Jahre beim NDR und die Berliner Spontiszene zu sprechen kommt, findet sich ein aufschlussreicher Satz: „Ich war Reporter bei ‚Panorama‘ und kein Hausbesetzer.“ Aust versucht sich diese Unabhängigkeit zeitlebens zu bewahren, nicht zuletzt gegenüber Politikern.

„Zeitreise“ ist ein zeitgeschichtliches Lesebuch, und das macht einen Gutteil seiner Faszination aus. Mit großer, manchmal zu großer Freude am Detail evoziert er Meilensteine nicht nur der deutschen Politik. Filbinger, Strauß, Barschel-Affäre, 9/11, Hitler-Tagebücher, Mauerfall, Rechtschreibreform – fast nichts fehlt, und immer ist Aust in irgendeiner Weise als Reporter oder Kommentator mit von der Partie.

Sein Kontakt zu Ulrike Meinhof und Konsorten weckt recht früh sein Interesse am Terrorismus, das dann 1985 in dem ständig erweiterten, erfolgreich verfilmten Best- und Longseller „Der Baader-Meinhof-Komplex“ mündet.

Der Abbildungsteil des Buches zeigt nebenbei, wie sehr die Medien- und Politikwelt jener Jahre von männlichen Alphatieren besetzt war. Frauen werden zwar hin und wieder gefördert, doch die maskuline Dominanz ist auf den Fotos mit Händen zu greifen. Einmal ist der 16-jährige Stefan Aust zu sehen, auf einem Norweger-Pony thronend. Die dezent selbstironische Bildlegende lautet „Hauptsache oben bleiben“ und markiert gewissermaßen den Behauptungswillen Austs. Bei vielen Stationen war er, so scheint es, zum richtigen Zeitpunkt an der richtigen Stelle, ausgestattet mit einem Gen dafür, wie Projekten neuer oder frischer Wind einzuhauchen war.

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Obwohl Aust seit einigen Jahren als Herausgeber beziehungsweise Chefredakteur der „Welt“-Gruppe fungiert, spielt der Wechsel zum einst verhassten Springer-Konzern eine untergeordnete Rolle. Aust ist im Bewusstsein der meisten der „Spiegel“-Mann.

Zu Recht führt er aus, wie er im Privatfernsehen, unter den Fittichen des „Gesamtgenies“ Alexander Kluge, „Spiegel TV“ zu einem verblüffend erfolgreichen Format machte. Als Moderator versuchte er weder als „Staatsanwalt“ wie Klaus Bednarz noch als „Pfarrer“ wie Franz Alt aufzutreten – Fernsehgeschichte wurde damit geschrieben.

1994 folgt der entscheidende Schritt: Aust wird Chefredakteur des „Spiegel“ und es 14 Jahre bleiben. Sein Hauptaugenmerk gilt „Titelthemen und Titelgeschichten“. Hier ein glückliches Händchen zu haben ist maßgeblich, um die Konkurrenten „Focus“ und „stern“ in Schach zu halten. Aust scheut sich nicht, eine Grafik einzublenden, die Auflagenkurven zeigt – und seine erfolgreiche Arbeit als Chefredakteur untermauern soll.

Das Ende beim Hamburger Nachrichtenmagazin ist für alle Beteiligten unrühmlich. Aust empfindet, schreibt er, „Erleichterung“, als 2008 diese „Horrormonate“ zu Ende gehen und man seinen Vertrag auflöst.

Weggefährten, Freunde und Gegner Austs werden sich in dieser „Zeitreise“ nicht immer angemessen dargestellt finden und Widerspruch anmelden. Das jedoch gehört zum Wesen von Memoiren und ändert nichts daran, dass Aust ein hoch lesenswertes Buch vorgelegt hat, das weit mehr ist als ein Stück fesselnder Mediengeschichte.

Rainer Moritz

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