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Medien: Die Entdeckung der Freundlichkeit

Harald Martenstein über das Ende der ARD-Talksendung „Boulevard Bio“

Professor Dr. Alfred Biolek hört also im 69. Lebensjahr mit dem Talken auf, heute Abend moderiert er zum letzten Mal seinen „Boulevard Bio“. In einer Woche wird er noch einmal selber befragt, Bio im Gespräch mit Hansjürgen Rosenbauer. Danach beginnt die Ära Sandra Maischberger. Die Bilanz der Ära Bio sieht so aus: zwölf Jahre „Boulevard“, rund 1600 Talkpartner, die beste Quote gab es natürlich beim Thema „Mythos Bordell“. Bio hat 3345 Mal die Beine übereinander geschlagen, 1903 Mal gefragt „Wie war das damals?“, er hat 1550 Mal an die Brille gefasst und dabei gerufen: „Köstlich! Köstlich!“

Er mag die Menschen, und die Menschen mögen ihn. Gab es eine Zeit, zu der nicht alle Menschen Alfred Biolek mochten? Ja, aber das ist lange her.

Das, was man Alfred Biolek am häufigsten zum Vorwurf machte, ist eine eigentlich liebenswerte Eigenschaft, nämlich Sanftmut. Wenn man sich am einen Ende der AgressivitätsSkala Michel Friedman vorstellt, dann sitzt Alfred Biolek am entgegengesetzten Ende. Bei Biolek fühlt jeder Gast sich in seiner jeweiligen Eigenart uneingeschränkt angenommen. Bei Bio würden sogar Jack the Ripper oder Hannibal Lecter uns als Menschen erscheinen, die zwar im Leben nicht alles bis ins letzte Detail richtig gemacht haben, die aber doch stets das Richtige wollten und ein gewisses Maß an Verständnis verdienen. Man muss auch daran erinnern, wie Bio, sich vor Verlegenheit windend, versucht hat, den russischen Präsidenten nach den Menschenrechten in seinem Land zu fragen. Ob Monica Lewinsky, Harald Schmidt, Verona Feldbusch oder Wladimir Putin, er hat sie alle auf gleiche Weise ernst genommen und er hat wirklich nie auch nur einen Hauch von Arroganz oder Antipathie erkennen lassen. Und dies alles wahrscheinlich ohne die Zuhilfenahme von Drogen oder anderen Stimmungsaufhellern.

Im Laufe der Zeit hat es sich herausgestellt, dass mit beiden Methoden, der Methode Friedman und der Methode Biolek, interessante Gespräche zustande kommen. Der Mensch, dem man mit äußerster Härte zusetzt, sagt ja manchmal etwas Überraschendes. Aber der Mensch, der sich vollkommen sicher fühlt, tut das manchmal auch.

Die etwas verkrampfte Sitzhaltung, das nicht immer natürlich wirkende Lachen, die Hände, die sich an Karteikarten festklammern – Bio ist kein lockerer Moderator. Er schürft nicht allzu tief, auch das muss man ehrlicherweise sagen. All diese scheinbaren Schwächen aber haben sich nach und nach als Vorteil herausgestellt. Weil er so ist, wie er ist, nämlich ungefährlich, sind sie alle gerne zu ihm gekommen, Willy Brandt, Joschka Fischer, Gerhard Schröder, und so weiter. Für die Zuschauer hat „Boulevard Bio“ etwas ungemein Entspannendes. Bio stellt ungefähr die Fragen, die man selber vielleicht auch gestellt hätte, wenn man der betreffenden Person zufällig auf dem Bahnsteig begegnet wäre. Bio versucht nicht, sich vor seine Interviewpartner zu drängen, er tritt angenehm bescheiden und erfreulich kultiviert auf. Er tritt den Gästen nicht zu nahe, er möchte nicht in ihr Innerstes hineinblicken. Trotz aller Freundlichkeit heuchelt er kein übertriebenes Interesse. Er hört den Leuten eine Weile lang gerne zu, aber wenn ihr Auftritt dann vorbei ist, ist es auch gut. Eine Weile waren Brüll- und Streit-Talkshows modern, vor allem in dieser Phase hat man gelernt, den wohltemperierten Ton von Bio zu schätzen. Gewalt ist keine Lösung, jedenfalls nicht in Talkshows.

Weil die Politiker ihn so gerne zur Selbstdarstellung benutzt haben, ist Alfred Biolek sogar eine Art politische Instanz geworden. Er hat auch Schule gemacht: Im Grunde sind „Beckmann“ und „Johannes B. Kerner“ die Fortsetzung von „Boulevard Bio“ mit anderen Mitteln, Bühnen, auf denen ein Gast sich nahezu ungehindert so inszenieren kann, wie er oder sie es möchte.

Es wird nur bombastischer inszeniert. Die lange Treppe bei Kerner, das nahe Heranrücken und der raunende Ton des Moderators bei Beckmann – es wird der Eindruck vermittelt, als finde jetzt gleich die Stunde der Wahrheit statt, mit sagenhaften Enthüllungen aus den tiefsten Tiefen des Intimbereichs. Aber das ist natürlich Quatsch. In den meisten Fällen läuft es auf die gleiche unverbindliche Plauderei hinaus wie bei Bio. Wenn Bio fragt: „Wie war das damals?“, dann fragen die anderen: „Wie haben sie sich in diesem Moment gefühlt?“ Bio ist eben so ehrlich wie ein Butterbrot.

Und jetzt ist es aufgegessen.

Wer dagegen die Fahne der Aufklärung hochhält und Kritik oder Schärfe oder wenigstens Ironie fordert, wer „Friedman!“ oder „Harald Schmidt!“ ruft, dem kann man nur entgegnen: Bio und seine Schüler machen Unterhaltung. Sie wollen uns nicht die Welt erklären, sie wollen lediglich für ein paar Minuten die Langeweile aus ihr vertreiben. Wer glaubt, dass er bei Bio die Wahrheit über Helmut Kohl erfährt, ist selber schuld.

„Boulevard Bio“: 23 Uhr, ARD

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