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Medien: Die Glücksformel

Zwischen Herz & Schmerz, Sex & Crime - wie das ZDF versucht, seine Telenovelas aufzupeppen

Wer sich am Fernsehgeschehen orientiert, kommt mit dem gefühlten Alter öfters durcheinander. Alles immer schneller, alles immer kurzlebiger oder aber – ewige Variation des Gleichen. Hier eine Absetzung nach nur einer Folge, „Hire or Fire“, dort eine Serie (fast) fürs Leben, „Big Brother“. Auch das Serienwesen spielt verrückt. Hat es in den 80ern und 90er Jahren noch längere Zeit gedauert, bis einem Format wie „Star-Trek“ die nächste Generation folgte, ruft das ZDF mit seiner neuen Serie „Leben für die Liebe“ gleich schon mal die „ nächste Generation der Telenovelas“ aus.

Telenovela? Es ist gerade ein Jahr her, da wusste kaum jemand in Deutschland, was das überhaupt ist. Dann kam das ZDF und startete am Nachmittag mit „Bianca – Wege zum Glück“ das erste deutsche tägliche „Gefühlsfernsehen“, etablierte ein neues Genre (siehe Kasten). Ein Überraschungserfolg, gestrickt um die ewige Frage: Wird die Liebe siegen oder das Böse? Das Zweite konnte seine Quote am Nachmittag mit „Bianca“ innerhalb weniger Monate von einer auf zwei Millionen Zuschauer verdoppeln. Andere Sender zogen nach. Sat 1 mit „Verliebt in Berlin“ (ein Nachfolger ist in Planung), die ARD mit „Sturm der Liebe“ am Nachmittag und mit „Sophie – Braut wider Willen“ am Vorabend, das ZDF mit „Julia“ und nun mit seiner dritten Telenovela „Leben für die Liebe“.

Man könnte meinen: Das läuft. Oder auch: Vorsicht, Inflation! „Wir waren mit ,Bianca“ die Ersten, wären auch gern die Einzigen geblieben“, sagt Claus Beling, Leiter der ZDF-Unterhaltungsredaktion, bei der Präsentation der neuen Telenovela in einem Berliner Forsthaus. Der Zuschauer schätze die Kompetenz der Mainzer im Erzählen emotionaler Stoffe. Für Beling ist diese Erzählform für lange Zeit nicht mehr wegzudenken, zudem sie aus Produktionssicht „ein optimales Modell für die Sender“ darstellt. Das mag ja sein. Nur: Was ist, wenn der Zuschauer vor lauter Sophies, Julias, Biancas, Wegen zum Glück und Leben für die Liebe irgendwann genauso den Überblick verliert wie bei der x-ten Castingshow im Privatfernsehen? Der seit ein paar Wochen laufende „Bianca“-Nachfolger „Julia“ tut sich vergleichsweise schwer, knackt kaum die Zwei-Millionen-Zuschauer-Marke. Und selbst mit der allgegenwärtigen Yvonne Catterfeld als „Sophie“ schafft es die ARD am Vorabend nicht auf zweistellige Marktanteile. Und nun setzt das Zweite einen drauf. Ab 16. Januar soll „Leben für die Liebe“ mit „Julia“ einen zweistündigen Telenovela-Block im ZDF-Nachmittag bilden.

Die nächste Generation also. Das durchschnittliche Alter des ZDF-Zuschauers am Nachmittag ist bekannt: eher über 50. Ob sich daran etwas ändern wird? In Lateinamerika, dem Herkunftsort der Telenovela, unterscheidet man zwischen, „klassischen“, rosaroten Geschichten mit viel Herz&Schmerz, die Frauen und Kinder ansprechen, jugendlichen Novelas, die Themen dieser Zielgruppe aufgreifen und deren Ausdrucksweisen benutzen, sowie Telenovelas für männliches Publikum mit „Sex & Crime“ und männlichen Hauptfiguren. „Leben für die Liebe“ steht der ersten Gruppe immer noch ziemlich nah. Das deutet zumindest der Trailer an. Wenn man die King-Kong-artige Musik abzieht, die stets auftaucht, wenn der böse Antagonist, ein Arzt, seinen nächsten Pharmaschwindel plant, so ist „Leben für die Liebe“ rosarot statt cool.

Mit der Viva-Generation wird es die neue ZDF-Telenovela zuschauermäßig schwer haben, trotz der erstaunlich souveränen Jung-Darsteller Oliver Boysen und Eva-Maria Grein, einer Newcomerin. So groß ist das Genre-Spektrum nicht, abgesehen davon, dass die Heldin diesmal nicht titelgebend ist und das mehr Pferde auch nicht gleich mehr Pepp bedeuten. Tessa, eine 24-jährige Heldin vom Lande wagt in der Großstadt den Aufbruch in ein neues Leben und lernt einen attraktiven Arzt kennen. Liebe auf den ersten Blick. Das Glück bleibt nicht ungetrübt. Undsoweiterundsofort. Gut und Böse sauber verteilt, mindestens 230 Folgen lang.

Noch mehr Arbeit im Akkord für 150 Personen vor und hinter der Kamera. Ein Jahr Quarantäne. Krank werden verboten, sagt Beling. „Bitte erwähnen Sie das Wort ,Grippe’ nicht, das bringt Unglück.“ Täglich müssen im Schnitt 47 Minuten produziert werden, fünf Folgen in einer Woche, so Produzent Rainer Wemcken von Grundy Ufa . Bei „Bianca“ waren es „nur“ 42 Minuten. Zwei Teams mit zwei Regisseuren drehen an drei Orten parallel. „Leben für die Liebe“ ist industrielle Produktion. Klingt ein bisschen wie Massentierhaltung. Serienguckern wird das egal sein. Auch die fünfte deutsche Telenovela soll wie alle Seifenopern vor allem eines machen: glücklich. Wen auch immer.

Aktuelle Telenovelas: „Sturm der Liebe“, ARD, 15 Uhr 10; „Julia – Wege zum Glück“, ZDF, 16 Uhr 15, „Sophie – Braut wider Willen“, ARD, 18 Uhr 50; „Verliebt in Berlin“, Sat 1, 19 Uhr 15

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