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Medien: Die Kiosk-Krise

Auch die Pressegrossisten klagen auf ihrer Jahrestagung über sinkende Umsätze

Das ganze Jahr über ist in den Medien die Rede von neuen und alten Zeitschriften, Zeitungsentwicklungen, Chefredakteurswechseln, Anzeigenschwund und Konzernbilanzen. Aber nur einmal im Jahr ist auch davon die Rede, wer die Zeitungen und Zeitschriften eigentlich in den Kiosk bringt. Und wem der logistische Aufwand zu verdanken ist, dass jeden Tag in jedem Kiosk Deutschlands die „Bild“-Zeitung zu kaufen ist und auch am Montag, vier Tage nach Erscheinen des „Stern“, noch ausreichend viele Exemplare der Illustrierten im Zeitschriftenregal liegen – neben all den anderen großen und kleinen Frauen-, Sport-, Fernseh- und sonstigen Spezialzeitschriften für jedes nur erdenkliche Bedürfnis.

Davon ist immer dann die Rede, wenn die Vertreter der Zeitschriftenverlage in den Mitte Oktober noch fast spätsommerlichen Kurort Baden-Baden fahren. Jedes Jahr treffen sich dort die so genannten Pressegrossisten. Das sind jene 80 Pressegroßhändler in Deutschland, die die insgesamt 116 802 Kioske, Tankstellen, Supermärkte und anderen Verkaufsstellen mit einer reichen Auswahl aus den mehr als 4000 hier zu Lande erscheinenden Zeitschriftentiteln beliefern. Die Pressegrossisten sind das Bindeglied zwischen den Verlagen, von denen sie die Zeitschriften beziehen, und den Kiosken, in denen der Leser seine Zeitschriften kauft.

1,496 Milliarden Euro Umsatz hat das Presse-Grosso im ersten Halbjahr 2003 erwirtschaftet. Das sind 2,84 Prozent weniger als vor einem Jahr, der Rückgang setzt sich nun schon im fünften Jahr fort. Mittlerweile, sagt der Verbandsvorsitzende Werner Schiessl, setze das Presse-Grosso wieder so wenig um wie 1994. Zugleich sinkt der Absatz. Im Vergleich zu 1997 erscheinen zwar heute (netto) 380 Titel mehr. Doch der Absatz ist seither um zwanzig Prozent gesunken. Zudem setzen die Verlage zunehmend auf niedrigpreisige Blätter, zurzeit etwa bei den vielen neuen Frauenzeitschriften, die auf den Markt gekommen sind. Die Folge sind sinkende Umsätze im Einzelverkauf.

Die Gründe sind schnell aufgezählt. Jeder Abonnent, den die Verlage mit zum Teil teuren Prämien gewinnen, bedeutet ein Kunde weniger, der seine Zeitschrift im Kiosk um die Ecke kauft. Jeder, der zu rauchen aufhört, jeder, der arbeitslos wird, verzichtet am Morgen auf den routinemäßigen täglichen Gang zum Kiosk; die Wahrscheinlichkeit, sich im Vorübergehen doch vom einen oder anderen Titelbild zum Kauf eines Magazins animieren zu lassen, schrumpft. Und je weniger Geld einem Haushalt zur Verfügung steht, desto häufiger wird der Euro umgedreht, bevor eine Zeitschrift gekauft wird. Ein Beispiel: 1980 erschienen nur sechs Programmzeitschriften, heute 21. Und dennoch ist der Einzelverkauf nach einer Zeit des Anstiegs heute wieder so hoch beziehungsweise so niedrig wie damals.

Die Grossisten versuchen daher, den Einzelverkauf mit neuen Mitteln anzukurbeln. Eine Maßnahme besteht darin, zusätzliche Verkaufsstellen zu erschließen. Aufgrund der Tatsache, dass immer mehr Discounter gebaut werden und die Kunden zunehmend dort einkaufen, wollen die Verlage und die Pressegrossisten auch in den Discountern Zeitschriften und Zeitungen verkaufen. Die Verhandlungen und ein entsprechender Test mit der Norma-Kette scheinen Erfolg versprechend. Anders als etwa die Verhandlungen mit den Plus-Filialen, auf die der Verlag Axel Springer von sich aus zugegangen ist. Plus habe nach Angaben der Grossisten darauf insistiert, nur den Massentitel „Bild“ zu verkaufen. Doch das verstößt gegen die gesetzlich verankerte Gleichbehandlung aller Presseprodukte und die Neutralitätspflicht der Pressegroßhändler, einzelne Verlage oder Titel nicht zu bevorzugen. Gleiche Behandlung aller Presseprodukte, gleiche Chancen durch eine möglichst reichhaltige Sortimentsauswahl und die Preisbindung wurden ursprünglich gesetzlich bestimmt, um die Pressevielfalt und damit die Meinungsvielfalt zu gewährleisten. Darauf zu achten, gehört ebenfalls zur gesetzlichen Aufgabe der Grossisten.

Langfristig auf den Einzelverkauf auswirken soll sich eine weitere Maßnahme, mit der junge Leser an die Zeitschriftenlektüre gewöhnt werden sollen. Das in Baden-Württemberg erfolgreich erprobte Projekt „Zeitschriften in die Schule“ wird Anfang 2004 bundesweit gestartet. Dabei sollen je drei Klassen in 4000 weiterführenden Schulen kostenlos eine Box mit Zeitschriften erhalten, die wöchentlich aktualisiert wird. Darin finden sich von „Geo“ und „Spiegel“ über das „Fotomagazin“ und „Bravo“ bis zu Fernsehzeitschriften unterschiedlichste Magazine, die im Deutschunterricht, aber auch in den anderen Schulfächern eingesetzt werden. Die Schüler sollen so den richtigen Umgang mit Medien erlernen, langfristig aber auch an die Zeitschriftenlektüre gewöhnt werden – wovon sich die Grossisten, die das Projekt mit 800 000 Euro unterstützen, wirtschaftlichen Nutzen versprechen.

Letztlich erhöht aber vor allem eine Maßnahme den Verkauf von Zeitschriften und Zeitungen und sichert damit das Überleben der Kioske und die wirtschaftliche Basis von Grossisten und Verlagen: Darauf verwies während einer Podiumsdiskussion in Baden-Baden der Journalist Hans Leyendecker von der „Süddeutschen Zeitung“, die sich aufgrund ihrer finanziellen Schieflage in der Vergangenheit von einer ganzen Reihe von Redakteuren getrennt hat. Am besten sei der Einzelverkauf zu erhöhen, wenn die Zeitung journalistisch gute, exklusive Geschichten bringe. Letztlich steige der Einzelverkauf, wenn „in Qualität und Köpfe“ investiert werde.

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