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Medien: Die kühle Blonde und der Racheengel

In ihrem zweiten „Tatort“ hat es die neue TV-Kommissarin Maria Furtwängler mit Gruselromantik zu tun

Unheimlich dräut der Himmel, flackern die Lichter. Im Dorf bei Worpswede, gleich neben dem Teufelsmoor, bimmeln Glöckchen im Wind, steht am Wegrand ein Galgen, an dem ein Vogel hängt. Jemand huscht herum und fotografiert durch die Fenster. In der Kneipe grölen die Männer, im Laden tuscheln drei Frauen, Hausfrauenversionen von Macbeth’s Hexen. Obwohl die Kirche verschlossen ist, ordnet in der Pfarrersbibliothek ein Jüngling die Schriften über Hexenverfolgung, starrt mit aufgerissenen Augen in die Marschlandschaft. Hinter farbigen Glasfenstern hockt Werner Hellmann zwischen religiösem Kitsch und erotischen Gemälden seiner vor 13 Jahren ermordeten Frau. Gerade ist er aus dem Gefängnis entlassen worden und zurückgekehrt ins Dorf, das ihn, den Mörder, nicht sehen will. Aber war er wirklich der Täter? Eine verrückte Frau schreit. Ihr Haus brennt ab. Am nächsten Morgen liegt der Rückkehrer erschlagen in seiner seltsamen New-Age-Kapelle.

Der Tatort „Hexentanz“ von Markus Stromiedel (Buch) und René Heisig (Regie) zieht alle Register der Gruselromantik, mitsamt Posaunendrohen und wabernd elektronischem Pochen. Die Szenen wechseln rasend, Andeutung häuft sich auf Andeutung, bis die Atmosphäre kommenden Unheils sich unerträglich verdichtet. Und dann tritt sie auf: die kühle Blonde mit klarem Profil und Kopf, spröde verschlossenem Mund, der Unerbittlichkeit und den erstaunlichen Nehmerfähigkeiten der geborenen Kommissarin: Charlotte Lindholm vom LKA Hannover alias Maria Furtwängler. Wie eine Gestalt aus einer anderen Zeit, einer fremden Welt stört sie die mittelalterliche Dorfdunkelheit der Voraufklärung und sucht nach dem Licht der Wahrheit: Wer hat Werner Hellmann umgebracht? Sie trifft auf scheele Blicke, schroffes Abwenden, barsch sich schließende Türen und Münder, beobachtet kleine Szenen voller Aggressionen, deren Wurzeln in einem kollektiven schlechten Gewissen liegen müssen. Bald merkt sie, daß sie anders fragen sollte: Wer hat Anna Hellmann umgebracht, damals, vor so vielen Jahren? Diese schöne, blonde Frau, die es liebte, mit ihrem Mann nackt den Mond anzubeten, und mit ihrer Hippie-Freizügigkeit allen Männern des Dorfes den Kopf verdrehte und die Frauen in die Tortur der Eifersucht trieb?

Und schon tritt pünktlich eine dritte blonde Frau auf den Plan. Kirsten Hellmann, die Tochter des unglückseligen Paares, ein Abbild der Mutter, ein Racheengel mit alttestamentarischer Wucht und jugendlicher Verletzbarkeit zugleich (Lisa Maria Potthoff implodiert schier vor unterdrückten Gefühlen). Der Knoten ist geschürzt, das Drama um Liebe, Mord, Verlassenheit, Fremdheit und Begehren nimmt seinen Lauf in der übersichtlich-unübersichtlichen Welt des Dorfes. Und wandelt sich unter der Hand in einen braven, einigermaßen sorgfältig konstruierten Who-done-it-Krimi mit falschen Fährten, zahllosen Verdächtigen und einem unfähig-subversiven Dorfpolizisten.

Geschickt führt die Regie in die Irre geheimnisträchtiger Szenerien, die Kamera von Hanno Lentz schwelgt in finsteren Bildern mit flackerndem Kerzenlicht und wallenden Vorhängen, findet immer wieder Halt auf dem schönen Gesicht der Charlotte Lindholm. „Nicht ich bin das Böse“, sagt sie, die Fremde, „das Böse ist hier im Dorf.“ Wenn gegen Ende Kirsten Hellmann am Grab ihres Vaters das ganze Dorf verflucht, muss die Kommissarin nur geduldig warten, bis der wahre Mörder sich selbst entlarvt.

Das Gute siegt, wie es sich gehört. Und mit ihm die rationale Moderne über jene angebliche Archaik, die noch in den Dörfern herrscht. Aber wir wissen ja, auch Tatorte sind nur Märchen.

Mechthild Zschau

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