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Medien: Die Nackten und die Roten

In der Weimarer Zeit gegründet, in der DDR wieder aufgelegt: „Das Magazin“ wird 80

So hat sich das wirklich am Anfang eines jeden Monats abgespielt: Du stehst vor dem gelben Zeitungskiosk, die Verkäuferin schätzt dich als guten Kunden, du sagst artig und erwartungsvoll „Guten Tag!“, und deine Augen fragen: „Na, isses da?“ Die Frau in der grauen Uniform mit dem Postzeitungsvertriebswappen auf der Brust nimmt ein „Neues Deutschland“ vom Stapel, bückt sich ein wenig und fummelt im unteren, uneinsichtbaren Bereich irgendwie ’rum. Sie packt zusammen, was wahrlich nicht so recht zusammen gehört, und reicht dir das unvermittelt fett gewordene „ND“ durchs Fenster. Im Zentralorgan ruhte die neueste Nummer vom „Magazin“. Ein gefragter Artikel. Und die Postfrau raunte dann auch noch, leise: „Seite zweiundzwanzig.“

Das lustig-lockere und manchmal auch ein bisschen frivole Titelbild fürs handliche Heftchen hat der souveräne Maler und Grafiker Werner Klemke zwischen den Jahren 1955 und 1991 genau 423-mal gezeichnet. Stets war irgendwo zwischen Blättern, Busen oder Beinen in der jahreszeitlich bestimmten Szenerie ein Kater versteckt. Diese kleine Kontinuität hatte das bunte Bilder- und-Geschichten-Büchlein so unverwechselbar, beliebt und rar gemacht. „Das Magazin“ leuchtete wie die modebewusste „Sibylle“ oder die unterhaltsame „Wochenpost“ als lichter Schein im Blätterwald – fast gutbürgerlich, mit Liebe gemacht, dem Rest der Welt zugewandt, nicht unpolitisch, aber ohne agitatorischen Holzhammer.

Die Zeitschrift war auf ihren Literaturseiten eine Bühne für Kommendes und Kommende, sie liebte die Mode jenseits von Malimo und Präsent 20, zwei textilen DDR-Erfindungen, die nicht jedermanns Sache waren. In dem Heft gab es das, was es eigentlich im sozialistischen Alltag gar nicht geben sollte: Stars mit ihren Vorlieben. Und wenn schon Arbeiterporträts, dann solche mit Für- und Widersprüchen, literarische Reportagen auch, aktuelle Umfragen, Reiseberichte, Filmstorys. Selbst die Heiratsannoncen profitierten vom relativen Freiraum: Da sucht im Heft 12/88 ein „unerfahrener Schüler, 26/183“ eine „erfahrene Lehrerin bis 45 zwecks Nachhilfe in den Fächern Liebe, Erotik und Sex“.

Manche tun heute so, als sei das, was die Postzeitungsfrau mit „Seite 22“ meinte, die Hauptsache der 80 Seiten des Magazins gewesen. Das ist Quatsch. Als ob die ganze Republik, nebenher Weltmeister im FKK-Baden, nur aus Spießern und Spannern bestand und danach gierte, einmal im Monat ein nacktes Wesen anschauen zu dürfen. Aber weil die staatliche verordnete Prüderie nur diesen einen Monats-Nackedei in der Presselandschaft zuließ, fand die Hüllenlosigkeit auf einer „Magazin“-Seite umso größere Beachtung. Da durfte die junge hübsche nackte Kollegin („das ist schließlich Kunst!“) schon mal im Soldatenspind verschwinden.

„Das Magazin“ gehörte übrigens in die Rubrik Brot und Spiele: Nach der Rebellion am 17. Juni 1953 kamen die Obergenossen dahinter, dass sich das Staatsvolk der DDR vom Kaderwelsch der Propaganda- Phraseologie gedemütigt und entmündigt fühlte. Also musste – so ein ZK-Beschluss vom 2. September 1953 – auch eine Zeitschrift her, die „unterhaltend, bildend und geschmacksbildend“ sein sollte. „Uhu“ oder „Kakadu“ sollte sie nach Johannes R. Becher heißen, Bert Brecht brachte den Namen „Das Magazin“ ins Spiel. Man hatte nicht gerade die bürgerliche „Gartenlaube“, sondern moderne, illustrierte, ein bisschen revueartige Unterhaltung im Sinn. Von dieser Art gab es in den zwanziger Jahren viele Titel – und einer hieß „Das Magazin“.

Bei näherem Forschen stellte sich heraus, dass das Ur-„Magazin“ anno 1924 nach amerikanischem Vorbild vom Filmregisseur Robert Siodmak und dem Journalisten F.W. Koebner gegründet wurde. Koebner will „die Modistin, die Landfrau, den Bankier, den Lebemann“ als Leser; das Blatt „darf dabei ruhig etwas Kulturunterricht erteilen und von Kunst und Wissenschaft plaudern, es darf alles, nur eins darf es nicht: Langweilig sein!“ Das Juli-Heft von 1941 war das vorerst letzte, denn „die Kriegswirtschaft erfordert stärkste Konzentration aller Kräfte“ – 300 Zeitungen und Zeitschriften gingen damals den Weg ins Nichts.

Heute nun – genau: am 20. März, 20 Uhr, im (total ausverkauften) ehemaligen Telegraphenamt in Mitte – feiern die „Magazin“-Menschen gleich zwei Jubiläen: das 80-jährige Bestehen (seit 1924) und 50 Jahre seit der Wiedergeburt 1954. Das Geburtstagspräsent ist ein gerade erschienenes fulminantes Jubiläumsheft: 140 Seiten eigene Historie mit vielem, was das Blatt an Besonderem in die Welt gesetzt hat, zum Beispiel Marlene Dietrich 1928 als Reklame-Pummelchen und, viel, viel später, die übersinnliche Romy Schneider oder Eva-Maria Hagen als Brigitte Bardot des Ostens – o je, wo ist die Zeit geblieben? Das Jubiläumsheft mit den Models Katharina und Anna Thalbach ist ein erbaulicher Rückblick auf 80 Jahre und die beste Eigenwerbung, die man mit solch einer Zeitreise im Din-A-5-Format machen kann – und muss. Denn statt der 568 000 Exemplare vor der Wende werden jetzt nurmehr um die 60 000 verkauft. 1991 hatte Gruner + Jahr den Berliner Verlag samt „Magazin“ übernommen, das Heftchen wollte partout kein „Playboy des Ostens“ werden, es wechselte die Gesichter und die Besitzer, seit September 2002 sitzt der Mini-Redaktionstrupp im (eigenen) „Seitenstraßenverlag“ in der Tieckstraße und macht mutig und munter weiter: Klein, aber fein.

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