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Medien: Die reisenden Ritter

Das Mittelalter war mehr als eine dunkle Zeit in Europa. Eine ZDF-Reihe zeigt „Wege aus der Finsternis“ auf

Die Welt wandelte sich: Zahlreiche Städte und Universitäten wurden gegründet, gigantische Kirchen gebaut, neue Techniken erleichterten den Bauern das Handwerk, und auch „die Sprache der Liebe“ blühte auf, wie Peter Arens die Lyrik der Minnesänger nennt. Ein tolles Zeitalter des Aufbruchs muss das zwischen 800 und 1500 gewesen sein, doch das Mittelalter hatte wohl im Laufe der Jahrhunderte die falschen Imageberater. Hexenverfolgung, Inquisition, Kreuzzüge, die Pest – solche Begriffe bestimmen die gängigen Bilder von den „dark ages“, wie es andernorts heißt. ZDF-Redakteur Arens hält das Mittelalter für den „ganz großen Verlierer der europäischen Geschichtsschreibung“, und die Mainzer treten nun an, um mit der vierteiligen Dokumentarreihe „Wege aus der Finsternis“ Licht in die dunklen Klischees zu bringen.

Die von einem Fünf-Millionen-Publikum geschätzte Strategie, auf diesem Sendeplatz von „Terra X“ und „Schliemanns Erben“ wissenschaftliche Forschung als abenteuerliche Entdeckungsreisen zu inszenieren, wird hier noch einmal verfeinert. Jede Folge ist laut Arens „szenisch durchwirkt“ von „kleinen Dramen“, die den Lebensalltag der verschiedenen Stände veranschaulichen sollen. Die einzelnen Helden sind nicht wirklich authentisch, aber es gab doch „Hinweise, dass sie tatsächlich gelebt haben“, erklärt Ideengeber und Produzent Uwe Kersken.

Zum Auftakt galoppiert Ritter Don Pacheco aus Portugal quer durch Europa bis zur Marienburg des Deutschen Ordens. In den weiteren Folgen geht ein Mönch auf Wallfahrt, zieht ein Gaukler über die Dörfer und reist ein Kosmograph von Nürnberg nach Venedig, um Seekarten zu kopieren.

Drehbuch-Autor Christian Feyerabend spricht deshalb von „Roadmovies des Mittelalters“, wobei die einzelnen Szenen von Regisseur Christian Twente durchaus ansehnlich inszeniert wurden. Die Schauspieler sprechen freilich keine Dialoge (Arens: „Das wäre hier seltsam gewesen“), stattdessen gibt es reichlich Texte aus dem Off, zum Beispiel die feinen Verse Walthers von der Vogelweide.

Mehr als ein Drittel der Zeit wird hier mit inszeniertem Material bestritten, doch nicht alle Szenen konnten so elegant mit dem dokumentarischen Teil verknüpft werden wie Don Pachecos Kampf bei einem Ritterturnier. Das ZDF gab bei Opel in Rüsselsheim einen Crashtest mit Ritter-Dummys in Auftrag, was immerhin der Erkenntnis zum Durchbruch verhilft, dass das Schleudertrauma bereits im Mittelalter eine bekannte Unfallfolge gewesen sein dürfte. Und wenn die Ritter von dem mit bis zu 60 Stundenkilometer heranpreschenden Gegner vom Pferd gerissen wurden, drohte ihnen bei der Landung der Genickbruch. Mehr als eine hübsche (und aufwändige) Spielerei ist das freilich nicht. Interessanter ist da schon der Ausflug nach Guédelon in Frankreich, wo mit Techniken aus dem 14. Jahrhundert eine Burg neu errichtet werden soll: Schon 2023 wollen die mit Seilwinden und 13-Knoten-Seil ausgestatteten Baumeister fertig sein, doch das ungeduldige Fernsehen kann sich den digitalen Trick nicht verkneifen und lässt die geplante Burg in Sekundenschnelle vor den Augen des Publikums in die Höhe wachsen. Das Tempo hat in den letzten 600 Jahren eben etwas angezogen.

Ging es aber – sieht man einmal davon ab, dass mittlerweile die Glühbirne erfunden wurde – im Mittelalter wirklich soviel finsterer zu als heute? Autor Feyerabend und Regisseur Twente, die dem ZDF bereits mit ihrem Mehrteiler „Sturm über Europa – die Völkerwanderung“ einen Quoten- und Verkaufserfolg im In- und Ausland beschert hatten, bieten hier keine komplizierten Details historischer Forschung und auch keinen anspruchsvollen gesellschaftspolitischen Diskurs auf. Aber auf unterhaltsame Weise wird doch der Blick auf ein etwas differenzierteres Bild vom Mittelalter geöffnet. Nur den Hinweis, dass auch das moderne Steuerwesen im Mittelalter gründet, hätten sie sich als wirklich gute Imageberater vielleicht besser erspart.

„Wege aus der Finsternis“, 19 Uhr 30, ZDF

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