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DJ Nasty (David Mayonga), der in der nahen Kaserne der US-Army auflegt, weist den Novizen in Sachen Hip-Hop die Richtung zum Erfolg.

© Warner TV Serie

Die Serie „Almost Fly“: Mit Hip-Hop raus aus der deutschen Provinz

Zwischen South Bronx und „Die da“: Die Serie „Almost Fly“ erzählt die Anfänge des Deutsch-Raps in den 1990ern.

Als 1989 die Mauer fiel, blieb nicht nur jene in den Köpfen, sondern eine zwischen den Ohren stabil. Hip-Hop, schon damals eine Subkultur an der Schwelle zum Massenphänomen, kam aus Amerika. Punkt. Bevor seinerzeit vier Spaßvögel aus Stuttgart bald darauf „Die da“ in den Charts rappten, war deutscher Sprechgesang im Land von NDW und Schlager ungefähr so annehmbar wie ein nuklearer Erstschlag.

Gut drei Jahrzehnte später ist sein Street Credibility genanntes Renommee zwar so gewachsen, dass Hitparaden vor Deutsch-Rap überlaufen. Am Ende des Kalten Krieges aber hatten drei pubertierende Provinzgewächse, die außerplanmäßig Hip-Hop austesten und obendrein Atomic Trinity inklusive Atompilz im Logo heißen, naturgemäß Akzeptanzprobleme. Ganz besonders im spießbürgerlichen Eichfeld, wo das Exotischste Mortadella zum Frühstück ist.

Ausgerechnet hierhin hat Florian Gaag das Warner-Original „Almost Fly“ verlegt, eine Art Geburtserzählung seiner Lebensmusik. Kein Wunder: 2006 hat sich der Regisseur das autobiografische Denkmal „Wholetrain“ mit Elyas M’Barek als Graffiti-Künstler ins Portfolio gesprüht. Nun reist er abermals in seine Jugend und zeigt vorerst sechs Teile lang, wie Hip-Hop auch hierzulande Mainstream werden konnte. Es lag an Enthusiasten wie Walter.

Der jüngste Sohn (Samuel Benito) vom Tankwart Gerd (Andreas Anke) fristet ein ödes Dasein als Außenseiter. Auf dem Arbeitsmarkt droht ihm die unfreiwillige Existenz als Automechaniker in dritter Generation. Auf dem Schulhof räumen die Schönlinge einer Boygroup alle Mädchen ab. Auf dem Heimweg träumt er von Respekt, den ihm einzig Kumpel Ben (Andrew Porfitz) schenkt, der als Sohn eines Schwarzen GIs allerdings noch weiter am Rand steht als Walter.

Schon früh im Leben der Schicksalsgenossen scheint es also kein Weg aus dem Mittelmaß zu führen. Bis sie auf einer Party der benachbarten US-Kaserne ihr Erweckungserlebnis haben. Die Energie des damals rein schwarzen Hip-Hop nimmt so Besitz von ihnen, dass sie mit dem noch nerdigeren Technikfreak Nik (Simon Fabian) eine Rap-Karriere starten, die – soviel sei verraten – endet, bevor es richtig losgeht. Was allerdings weniger am Talent als an der Sprache liegt. Denn ihr importiertes Bronx-Englisch ist sogar noch peinlicher als eingeborenes Pop-Deutsch.

Glaubhafte Subkulturskizzen

Nach ein paar Rückschlägen wechseln sie daher Sprache und damit Tonfall einer Serie, die es aus deutscher Herstellung so noch nie gegeben hat. Ihre Ästhetik leidet zwar unter derselben Kostümierungspflicht, die jedes heimische Historytainment verlässlich zur Karnevalsveranstaltung degradiert. Florian Gaags westdeutsche Kleinstadt sieht daher entweder nach 1979 oder 2022, aber selten nach 1990 aus. Dass Walters Angebetete Vans und Nasenring zum bauchfreien Top trägt, finden nur Requisiteure wie Max Wohlkönig zeitgenössisch. Und da ist noch nicht mal von Kulissen die Rede, die oft exakt so aussehen: nach Kulissen.

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Damals benutzte auch niemand westlich von New York das heutige „Beef“ anstelle von „Streit“ oder sagte Sachen wie „bisschen drüber“ und „Respekt, Mann“. Außerhalb kalifornischer Strafanstalten waren Frauen wie die des Dorfdealers zudem alles Mögliche, aber nicht halstätowiert. Akzent und Wortwahl der beiden Kleinganoven Cengiz (Samy Abdel Fattah) und Damir (Elmo Anton Stratz) passen prima nach Aggro-Berlin. In Eichfeld anno 90 redete keiner so. Alles ärgerlich, alles lieblos, alles berechnend und ziemlich blöde. Alles aber noch lange kein Grund, diese Serie nicht zu sehen.

(„Almost Fly“, Warner TV Serie, zwei Folgen ab 21 Uhr via Sky, danach montags je eine Folge)

Denn so ulkig ihre Ausstattung sein mag: Die Story dahinter ist so mitreißend, dass sie glatte Oberflächen aufraut. Wie in „4 Blocks“ oder zuletzt „Para“ produzieren Wiedemann & Berg glaubhafte Subkulturskizzen, denen ihr Showrunner als Kind der eigenen Story Dringlichkeit verleiht.

Warum Walter, Ben und Nik mit der gemobbten Denise aus Dessau (Paula Hartmann) nach Fluchthelfern aus dem provinziellen Abseits suchen, ist nicht nur schlüssig erzählt; es zeigt auch, wie weit die kulturelle Diaspora der Bundesrepublik den Metropolen beim Sprechgesang damals voraus war. „Almost Fly“ steht übrigens sinngemäß für „beinahe cool“ und bringt damit gut den langen Weg des deutschen Raps Richtung Akzeptanz zum Ausdruck. Passender Titel, gute Figuren, seltsame Ausstattung, tolles Format.

Jan Freitag

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