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Medien: Die unentdeckte Zielgruppe

Zeitschriften wollen niemals altern. Aber was sollen Alte dann lesen?

Für Zeitschriften gibt es fast nichts Schlimmeres, als alt zu werden. Immer wieder werden sie überarbeitet, damit sie bloß nicht altbacken wirken. Sie müssen immer wieder neue, jüngere Leser ansprechen. Denn wenn sie mit ihren Lesern altern, sterben sie auch mit ihnen. Doch es gibt einen Trend in der Bevölkerung, den sich die Verlage bislang kaum zunutze gemacht haben, obwohl sie doch sonst immer auf der Suche nach Marktlücken sind. Die Bevölkerungspyramide wird nach oben hin immer dicker, die Leute werden immer älter. Auch für sie sollte es Zeitschriften geben, die ihren Bedürfnissen entsprechen. Das Problem beginnt aber schon bei der Bezeichnung. Soll man von Seniorenzeitschrift reden? Oder von einem Magazin für Alte? Oder für die reife Generation? Für Junggebliebene? Lebenserfahrene? Alt sein will keiner. Ab wann ist man überhaupt alt?

Rund 120 Zeitschriftentitel gibt es in Deutschland speziell für Senioren, Tendenz steigend. Fast alle erscheinen nur regional, werden kostenlos verteilt, finanzieren sich über Werbung oder mit Zuschüssen von Verbänden oder Kommunen. Während die einen auch kontroverse Themen zur Diskussion stellen, blenden andere alles aus, was die Leser verärgern könnte.

„Wir wollen unterhalten, über neue Techniken wie Internet und PC informieren und die Leser zum Beispiel zu mehr Fitnessaktivitäten motivieren“, sagt Manfred Balzer von der Lüneburger Zeitschrift „Ausblick“, einer von zwanzig ehrenamtlichen Redakteuren, die mit einem jährlichen Zuschuss der Stadt in Höhe von 1400 Euro vier Hefte im Jahr herausbringen.

Ganz anders ist das Konzept von Gerlinde Kläner. Die Rentnerin gibt praktisch alleine einmal im Monat „Reifezeit“ heraus, „Die Zeitung für lebenserfahrene und lebensbewusste Menschen“. Sie erscheint in einer Auflage von 25 000 Stück in Bremen und Umgebung. Kläner geht es darum, eine Lobby für Alte zu etablieren und sich auch in politische Diskussionen wie jene um die Gesundheitsreform einzumischen.

„Das tun wir auch, aber manchmal denke ich, die Alten, um deren Interessen es hier ja geht, interessieren sich nur für Radtouren oder Gesundheitstipps“, sagt Rainer Viererbe von der „Volkssolidarität“, die in den neuen Bundesländern 400 000 Mitglieder zählt. Sie erhalten alle zwei Monate kostenlos den 32-seitigen „Spätsommer“. „Ab 2004 kostet unsere Zeitschrift neun Euro im Jahr. Wir müssen 100 000 Abonnenten gewinnen, damit sich das rechnet“, so Viererbe. Derzeit liegt die Auflage bei 250 000.

Ein anderes Beispiel ist jenes Blatt, das ursprünglich „Stadtmagazin ’60“ heißen sollte. „Doch die Reaktionen bei Lesern und Anzeigenkunden waren negativ, denn die Altersangabe ,60’ schreckt viele ab.“ Seitdem das Blatt „Treffpunkt 55 plus“ heißt, sei „ die Akzeptanz eindeutig größer“, sagt Carola Ostler. Sie gibt seit einem halben Jahr „Münchens Stadtmagazin für das beste Alter“ heraus. Menschen ab 55 sind fit, fröhlich, ohne Sorgen – diese Botschaft vermitteln die Titelbilder mit lachenden, modisch gekleideten Paaren, immer aktiv auf dem City-Roller oder unbeschwert durch die Stadt laufend. „Wenn sonst in Zeitschriften etwas über ältere Menschen steht, geht es meist um Krankheit oder Erbschaftsfragen. Da kommt einem der Tod ja gleich entgegen. Wir wollen positiver berichten“, sagt Ostler. Also lauten die Themen „Golfen mit Vernunft“, „Erholung im Allgäu“ oder „Senior- Models – Karriere für Ältere“.

Die große Ausnahme bleibt „Lenz“. Vor zwei Jahren erschien das 130 Seiten starke Heft erstmals in Deutschland. Es ist der Ableger einer französischen Seniorenzeitschrift, die mittlerweile auch in den Niederlanden, Großbritannien, Belgien und Kanada eigene Titel gegründet hat. „Lenz“ kostet 2,90 Euro und hat bei einer Auflage von 128 000 verkauften Exemplaren rund 85 000 Abonnenten. Die Frage des Monats lautete kürzlich „Sein Alter verschweigen?“ Auf der Kulturseite wurde „Das Wunder von Bern“ besprochen und Leser erinnerten sich daran, wie sie das WM-Endspiel 1954 erlebt haben. Im aktuellen Heft geht es um Rentenfragen und neu erschienene Bücher, die von der Kindheit im zweiten Weltkrieg handeln. Mal gibt es Tipps für Arbeitslose über 50, mal für Ehepaare, die darunter leiden, dass der Partner plötzlich Rentner und ständig zu Hause ist. Kritische Artikel gibt es über Hormontherapien in den Wechseljahren und die Total-OP bei Gebärmutterkrebs. Daneben Küchenrezepte, Geldanlagetipps und Reiseempfehlungen. Die Auflage steigt, der Verlag freut sich auch über zunehmendes Interesse bei der Werbewirtschaft. Noch profitiert „Lenz“ davon ohne Konkurrenz.

Joachim Göres

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