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Medien: Die verschmähte Zielgruppe

In Tutzing diskutierten Senta Berger und Fernsehkritiker über die Zuschauer ab 50

So mancher Besucher trat nach den 24. Medientagen der Evangelischen Akademie Tutzing nachdenklich in die Wintersonne am Starnberger See: Temperaturen von minus 20 Grad und dazu das gefühlte Lebensalter von 103, wie in einem jener bleibeschwerten Overalls mit Zwangsbrille und Ohrenklappen, die Studenten versuchsweise tragen, um die Situation betagter Menschen im Supermarkt nachzuempfinden. „Die Demographie rächt sich für jedes Jahr, das sie verdrängt wurde“, hatte eingangs Professor Josef Schmid, Inhaber des einzigen deutschen Lehrstuhls für Bevölkerungskunde, warnend in die Rotunde gesprochen. Über die lang vertuschte Implosion der Geburten dozierte er, über die Verdrängung eines nach dem Dritten Reich politisch inopportunen Themas und darüber, dass der Sturzflug höchstens noch in einen Gleitflug verwandelt werden könne.

Zu welcher Zielgruppe würde man als so genannter Baby Boomer, die allseits prognostizierte Altersarmut schon fest im Blick, dereinst als Konsumentin, Radiohörerin und Fernsehzuschauerin gehören? Zu den „Kulturell Aktiven“ mit 39 Prozent, gar zu den beliebten „Erlebnisorientierten“ (26 Prozent), oder doch zu den „Passiven Älteren“ (35 Prozent), deren harten Kern Marktforscher wie Christoph Wild von Sales & Services, der Stabsstelle der ARD-Werbung, zu „Grauen Passiven“ verdunkeln?

Die Grauen Passiven, die etwa ein Viertel der gegenwärtig 29 Millionen Bundesbürger über 50 bilden, sind der Schrecken der Mediaplaner: Zwar sehen sie überdurchschnittlich viel fern (288 Minuten sind es laut einer Studie des SWR generell bei den über 70-Jährigen), doch zeigen sie sich den Werbespots gegenüber weitgehend resistent, selbst bei angeblich altersgerechten Produkten wie traditionellen Sahnebonbons oder Treppenliften. Andererseits: Jüngere geben pro Einkauf mehr aus, Ältere gehen aber viel öfter einkaufen. Und während für jugendliche Kunden der Imagefaktor eines Produkts zählt, ist für erfahrene Konsumenten dessen gutes Funktionieren wichtig. Die über 50- Jährigen, waren sich die Tutzinger Referenten (die jeweils mit einer eigenen Statistik aufwarteten, was zur allgemeinen Verwirrung beitrug) einig, sind keine homogene Gruppe wie „die Jugend“. Von der „verschmähten Generation“ sprach Wild bei seiner haarsträubenden Aufzählung der Vorurteile bei jungen Redakteuren und Werbeleuten: „In den Agenturen scheinen alle Mediaplaner über 35 erschossen worden zu sein.“ Dem widersprach Daniel Haberfeld von der Agentur SevenOne Media des extrem jugendlichen Senders Pro7: Der Alterseffekt des Fernsehens, dessen Zuschauer ohnehin älter als der Bevölkerungsdurchschnitt sind, dürfe nicht weiter verstärkt werden.

Einen „Triumph der Normalität“ machte Stefan Niggemeier von der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ bei den Dritten Programmen aus. Sie werden von älteren Zuschauern deutlich bevorzugt. Vor allem die Wohnzimmershows des MDR wie „Alles Gute“ identifizierte er als Reservat der Blumengestecke, für die im virtuellen Studio längst kein Platz mehr ist. Niggemeiers halbherziges Plädoyer für das biedere, unspektakuläre Ratgeber-Fernsehen verstimmte vor allem die progressiven älteren Zuhörer.

„Ohne Kapitalisten geht es besser, viel besser auf der Welt“ befand 1957 der SED-Dichter Kuba. Keine Geringere als Senta Berger stimmte bei einer Podiumsdiskussion in den Tenor dieses Kampfliedes ein. Sie meinte, der Kapitalismus und das Vorbild USA seien daran schuld, dass die Öffentlich-Rechtlichen die Maßstäbe der Werbung übernähmen: „Wir ziehen den Kopf vor unserer Identität ein.“ Senta Berger zählt zu jener Riege starker Frauen, die sich vom Jugendwahn längst emanzipiert hat. Die erste Staffel der Erfolgsserie „Die schnelle Gerdi“ spielte sie mit 49. ARD-Veteran Max Schautzer, dem die Verantwortlichen mitgeteilt hatten, er sei für die Moderation seiner eigenen Sendung „Immer wieder sonntags“ zu alt, hat drei Leitzordner mit solidarischer Zuschauerpost gesammelt. Er nennt das Dogma der präferierten Zielgruppe der 14- bis 49-Jährigen eine „Demarkationslinie“. Auch ZDF-Intendant Markus Schächter zieht seit kurzem den neutraleren Begriff der „aktiven Mitte“ vor, die etwa bis 59 reicht.

Das Angebot, so Schautzer, müsse nicht verjüngt, sondern verbessert werden, wie ohnehin das Stichwort „Qualität“ sehr spät fiel. Lang vor Frank Schirrmachers These vom „Altersrassismus“ beklagte das Kuratorium Altenpflege das Fehlen klischeefreier Darstellungen alter Menschen in den Medien. Regisseur Niki Stein beobachtet die „steigende Mutlosigkeit der Programmmacher angesichts der Zielgruppen-Diskussion“. „Grundsätzliche Realitätsferne“, vor allem im sozialen Bereich, stellte ebenso der Journalist Tilman P. Gangloff anhand einiger Filmbeispiele rund um die jüngst wiederauferstandene „Schwarzwaldklinik“ fest. Sie war gerade auch bei den viel umworbenen Jüngeren sehr erfolgreich, was die These entkräftet, dass Senioren nur Senioren vor den Bildschirm locken. Das ergrauende Fernsehvolk sollte nicht länger unterschätzt werden: Zur Flucht aufs „Traumschiff“ braucht es innovative und lebensnahe Programm-Alternativen.

Kathrin Hillgruber

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