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Vertrieben. Franz Bachert mit seiner Familie in den 50er Jahren. Foto: HR

© HR/Privatfoto

Doku: Nicht willkommen

Im ARD-Zweiteiler „Fremde Heimat“ erzählen Vertriebene von ihrem schweren Start nach dem Zweiten Weltkrieg.

Sie sprachen ein seltsames Deutsch, waren gezeichnet von der langen Flucht und, besonders schlimm, evangelisch. „Eine Todsünde“, sagt Peter Lindner, der als Kind nach dem Zweiten Weltkrieg mit seiner Familie aus dem schlesischen Breslau nach Bayern floh. Doch der Großbauer, bei dem sie untergebracht wurden, hatte wenig übrig für den unterernährten Peter und die anderen Flüchtlinge auf dem Hof. Auch sonst erinnert sich Lindner an viel Ablehnung in seiner neuen Umgebung. Selbst das Fallobst habe man ihm nicht gegönnt. Erst eine andere Bäuerin päppelte ihn mit Ziegenmilch wieder auf. Nicht nur im ländlich geprägten Bayern, das ab 1945 allein zwei der über zwölf Millionen Flüchtlinge aufnahm, trafen die Heimatlosen auf wenig Mitgefühl. Die Flüchtlinge seien an der Hungersnot schuld, teilte die Lehrerin der Klasse in der schleswig-holsteinischen Volksschule mit, als sie die elfjährige Hildegard Spors aus Westpreußen und andere Neuankömmlinge begrüßte. Viele Vertriebenen lebten jahrelang in heruntergekommenen Barackenlagern, manche auch dort, wo früher Zwangsarbeiter untergebracht waren – eine bittere Pointe der Geschichte. Rechtlos wie die Zwangsarbeiter im Nazi-Reich waren die Flüchtlinge nicht, aber sie hatten beinahe alles verloren und mussten in fremder, oft abweisender Umgebung wieder von vorn anfangen.

Die zweiteilige Dokumentation „Fremde Heimat“ von Henning Burk und Erika Fehse will aufräumen „mit der einseitigen Sichtweise von der großen Erfolgsgeschichte der Integration“, wie ARD-Chefredakteur Thomas Baumann mitteilt. Knapp 20 Zeitzeugen, damals vornehmlich Kinder und Jugendliche, erzählen von ihren Erlebnissen im Nachkriegsdeutschland. Sie stammen aus Böhmen und Mähren, aus dem Memelland und aus Pommern, aus Bessarabien und Ostpreußen, sind Schlesier und Donauschwaben aus Rumänien. Die im Verhältnis zur Einwohnerzahl meisten Flüchtlinge nahm die Sowjetisch Besetzte Zone (SBZ) auf: 4,3 Millionen. Dort nannte man sie „Neubürger“ oder „Umsiedler“. Sie erhielten etwas Land, doch in der DDR mussten sie es wieder an den Staat und seine Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) abgeben.

Der Film ist ein Puzzle aus Einzelschicksalen, der sich ganz auf die Perspektive der Vertriebenen einlässt – und dabei auch filmisch konsequent bleibt: Neben den Interviews, neben alten Fotos und Filmaufnahmen werden aktuell gedrehte Bilder aus der alten Heimat eingefügt, unscharf, verklärend, wie es viele Erinnerungen sind. Auf das übliche Nach-Inszenieren haben die Autoren ganz verzichtet – ein Pluspunkt ebenso wie die Stimme von Schauspielerin Ulrike Kriener, die es erträglich macht, dass in dem Film angesichts von knapp 20 sehr verschiedenen Lebensläufen viel erklärt werden muss.

Erfolgsgeschichten werden dann doch erzählt, von Fabrikanten und Geigenbauern, die ihrer neuen Heimat Aufschwung brachten. Oder wie in Salzgitter Einheimische und Flüchtlinge gegen die britischen Besatzer den Erhalt der Industrieanlagen durchsetzten. Wie sich Junge schneller zurechtfanden und Alte, bestärkt durch den Revanchismus der Vertriebenenverbände, die Heimat nicht loslassen konnten. Noch nach der Einheit 1990 wird Helmut Kohl auf Vertriebenen-Treffen ausgepfiffen, weil er die deutsche Ostgrenze als „endgültig“ bezeichnet.

Natürlich ist „Fremde Heimat“ einseitig, sind die Erinnerungen von Zeitzeugen nicht repräsentativ, aber der Zweiteiler bringt wunde Punkte zur Sprache. Die „Vertriebenen“ sind hier nicht ein aufgeladener Kampfbegriff für Rechts wie Links, sondern Individuen mit dem Recht darauf, dass ihre persönliche Geschichte gehört wird.Thomas Gehringer

„Fremde Heimat“; ARD, heute und 21. März, jeweils 21 Uhr

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