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Theologie, Templin, Trump. Bundeskanzlerin Angela Merkel in ihrem Arbeitszimmer im Kanzleramt in Berlin. Die neue Doku von Stefan Aust spannt einen weiten Bogen aus dem Leben der Pfarrerstochter und später mächtigsten Frau der Welt

© picture alliance/dpa

Doku über Angela Merkel: Szenen einer Kanzlerschaft

Ära der Macht: Autor Stefan Aust gewinnt mit einer kolossalen Angela-Merkel-Doku erstmal die Deutungshoheit.

G-20-Gipfel 2017 in Hamburg? Auch auf Merkels drängenden Wunsch in der Metropole abgehalten, dann Randale, Chaos, verwüstete Innenstadt, den Rest regelt der Steuerzahler. Atomausstieg nach dem Reaktor-GAU in Fukushima 2011, die „Energiewende“ und immer mehr Windräder im Land? Führten zu den höchsten Strompreisen der Welt. Die Flüchtlingskrise und die Willkommenskultur Merkels nach 2015? Die „Berliner Kultur des Nichtstuns“ ist nicht ohne die Anschläge von Flüchtlingen wie die von Anis Amri auf den Berliner Weihnachtsmarkt zu denken. Schlaglichter und Brennpunkte aus Stefan Austs fünfstündiger Doku über die Bundeskanzlerin – es braucht nicht allzu viel Fantasie, um anzunehmen, dass der Filmemacher Angela Merkel nicht für die allerbeste politische Spitzenbesetzung in Deutschlands jüngerer Geschichte hält.

Die zweitlängste Kanzlerschaft wird es mit 16 Jahren nach Merkels Abschied im September alle Male gewesen sein (bleibt sie wegen ausstehender Regierungsbildung bis zum 17. Dezember 2021 im Kanzleramt, übernimmt sie die „Spitzenposition“ von Helmut Kohl).

Demnach macht es Aust bei dem von der Ufa produzierten Dokumentation auf TV Now auch nicht unter 360 Minuten. Diese spannen, oft auch mithilfe bekannter Stereotypen, den weitest möglichen Merkel-Bogen: Geburt in  Hamburg, „Kind der DDR“, Aufwachsen im Sozialismus, Pfarrerstochter in Templin, das marodierende System, „Kohls Mädchen“, Merkels Aufstieg in der CDU bis hin zur mächtigsten Frau der Welt. („Angela Merkel – Frau Bundeskanzlerin“, fünf Teile beim Streamingdienst TV Now)

Eppelmannn, Putin, Trump, Archivaufnahmen, Interviews mit der Mutter oder auch Einblicke bei einem Klassentreffen mit der früheren Musterschülerin – wer geglaubt hat, Merkel dabei einmal ganz privat zu erleben oder gar ein Psychogramm des Menschen, Physikers und Politikers serviert zu bekommen, wird anhand der schier erdrückenden Fülle der Fakten und Bilder eher enttäuscht sein. Der Film ist sich seiner Schwerkraft bewusst, untermalt von viel klassisch-dräuender Musik. Das ist bigger than life.

Angela Merkel befindet sich in ihrer vierten Amtszeit und den letzten Monaten als Regierungschefin der Bundesrepublik Deutschland. Nach 16 Jahren Kanzlerschaft endet nicht nur eine Epoche, sondern eine Ära der Macht. Daran hat der Alpha-Journalist und frühere Chefredakteur des wichtigsten deutschen Nachrichtenmagazins („Spiegel“) natürlich erklärendes und deutendes Interesse. Mit Ko-Autorin Katrin Klocke zeigt, arrangiert und verdichtet Aust Aufnahmen, wie man sie selten von der ersten Frau im Kanzleramt gesehen hat.

Sie war stärker als die Männer in ihrer Partei

Es ist das bisher umfassendste und größte filmische Portrait von Angela Merkel. Ein Fundus für jede Biografie. Es werden sicher noch einige folgen, die sich daran messen lassen.

Wie gesagt, der Journalist Aust macht dabei auch in begleitenen Interviews aus seinem Herzen keine Mördergrube. Vor allem, was den Erfolg oder Misserfolg der Flüchtlingspolitik betrifft. „Die Dokumentation zeigt das politische Abenteuer einer Frau aus dem Osten mit kirchlich-sozialistischem Hintergrund, angepasst an das System der DDR, die in der Wendezeit ihre Chance ergriff und sich nach oben an die Spitze einer Partei kämpfte, mit der sie ursprünglich kaum Übereinstimmungen hatte.

Sie war stärker als die Männer in ihrer Partei und ließ viele von ihnen am Rande der Geschichte liegen. Sie veränderte, modernisierte die Partei, weitete sie nach links aus – und ließ damit am rechten Rand Raum für rechte Parteien. Die CDU schrumpfte, die SPD ebenfalls, die politische Landschaft nach Merkel ist anders als vor ihrer Zeit.“

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Ist das nun besser? Ist das schlechter? Es wird interessant zu beobachten sein, welche Perspektiven andere Autoren einnehmen, die sich zum Ende ihrer Amtszeit mit der Kanzlerin beschäftigen, zum Beispiel in „Angela Merkel – Die Unerwartete und das Unerwartete“. Fünf Jahre nach der Doku „Die Unerwartete“ bringt Regisseur Thorsten Körner im Dezember bei Arte seine neue Doku. Darin, so die Ankündigung, analysiert der Filmemacher, dass „ausgerechnet die unaufgeregte, solide auftretende Angela Merkel“ in ihrem politischen Leben vom Unerwarteten bestimmt worden sei. Man denke an Fukushima, die Flüchtlinge, Donald Trump oder Corona.

Diese Art Tribut ans Unerwartete, als Erklärung für manch’ Merkelsche Kurzsichtigkeit – auch Hintergrund im ARD-Film „Die Getriebenen“ mit einer Rekonstruktion der so genannten Flüchtlingskrise 2015 (mit Imogen Kogge als Kanzlerin) – sucht man in der Stefan-Aust-Doku weitestgehend vergebens. Das lässt sich dem akribischen Filmemacher nicht unbedingt vorwerfen. Die Deutungshoheit über 16 Jahre Merkel hat Aust hier erstmal.

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