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Redeschlachten im Bundestag.

© AFP

Doku über Bundestags-Geschichte: Eine Frage des Gewissens

Verräter oder heimliche Helden der Demokratie? In der Geschichte des deutschen Bundestages lagen Parlamentarier nicht immer auf Parteilinie. Eine Doku porträtiert Rebellen, die ihrem Gewissen folgten.

Fernsehen über den deutschen Bundestag? Das klingt nicht gerade anregend. Die Phoenix-Dokumentation von Klaus Kastenholz und Bernd Reufels lebt von ihrem interessanten thematischen Fokus. Die beiden Autoren führen vor Augen, wie das Politische buchstäblich privat und das Private ausgesprochen politisch sein kann.

Ihr Film am Donnerstag Abend, eine kurzweilige politische Zeitreise, ruft in Erinnerung, an welchen historischen Schlüsselthemen die Parlamentarier sich seit 1949 jeweils aufrieben. Die Verjährung von NS-Verbrechen, die Wiederbewaffnung, der Nato-Doppelbeschluss oder der Militäreinsatz im Kosovo: Das waren politische Aufreger, bei denen Parlamentarier sich mitunter verbal zerfleischten.

Besonders bei Abstimmungen über Kriegseinsätze verwandelte sich auch das Parlament in ein Schlachtfeld. Abgeordnete wurden dazu genötigt, ihr Gewissen mit der Koalitionslinie zu synchronisieren. Wer aus der Reihe tanzte, musste mit Nachteilen für die persönliche Karriere rechnen. Als etwa die frühere SPD-Abgeordnete Sigrid Skarpelis-Sperk bei der Abstimmung um die umstrittene Agenda 2010 ausscherte, "ist klar gesagt worden, dass ich nun auf meinen Sitz im Parteivorstand verzichten könnte. Dies ist auch passiert".

Der Film beleuchtet Schattenseiten der parlamentarischen Demokratie Deutschlands. So erinnert die Dokumentation auch an die heute weitgehend in Vergessenheit geratenen Versuche, den CDU-Abgeordneten Klaus-Peter Willsch und seinen FDP-Kollegen Frank Schäffler mundtot zu machen. Bei der Abstimmung über den Euro-Rettungsschirm scherten die beiden 2011 aus. Also sollten sie im Plenum zum Schweigen gebracht werden. Als Norbert Lammert sich jedoch an die Geschäftsordnung hielt und den Abweichlern jeweils fünf Minuten Redezeit zubilligte, schrieb der damalige Bundestagspräsident Parlamentsgeschichte.

Weitgehend ohne Blessuren durchschiffte Norbert Blüm dieses parlamentarische Wildwasser. Blüm, der als Verkörperung des sozialen Gewissens der CDU gilt, stellte sich bei einer der "Kernfragen der damaligen Zeit" gegen seine Parteigenossen: "Ich war einer von den vieren, die dem Grundlagenvertrag zugestimmt haben".

Gemeint ist ein Bestandteil der mit dem Namen Willy Brandt verknüpfen Ostverträge. Mit der Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze leiteten diese Vereinbarungen einen nachhaltigen Entspannungsprozess ein, von dem viele Menschen im geteilten Deutschland profitierten. Parlamentarier aus dem konservativen Lager lehnten die Ostverträge seinerzeit vehement ab. Die Fraktion behandelte den Abweichler Blüm daher wie einen Aussätzigen: "Kurz vor Lepra war ich schon".

Von der Machart her bietet die Dokumentation keine Überraschungen. Spitzenpolitiker von damals und heute kommen als Zeitzeugen zu Wort, darunter Franz Müntefering, Rudolf Scharping und Wolfgang Schäuble. Der Geschichtsexperte Andreas Rödder ordnet die Streitfälle im historischen Kontext ein.

Zu sehen sind sprechende Köpfe und gestikulierende Parlamentarier. Dennoch ist dies ein bewegender Film. Die Dokumentation lässt weltanschauliche Sollbruchstellen aus siebzig Jahren Revue passieren. Und sie verdeutlicht: Demokratie kann nur funktionieren, wenn es neben linientreuen Parteisoldaten auch moralische Dissidenten gibt. Der Film macht spürbar, welch schweißtreibendes Geschäft Demokratie sein kann.

"Eine Frage des Gewissens", Donnerstag, Phoenix 20 Uhr 15

Manfred Riepe

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