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Michael Schenk agiert in den Spielszenen der Doku als Hans Fallada.

© Sandra Müller, C-Films

Doku über Hans Fallada: Schreiben im Drogenrausch

"Jeder stirbt für sich allein": Eine Arte-Dokumentation erinnert an Leben und Werk von Hans Fallada

„Machen Sie mir den Fallada!“ ermunterte der Verleger Ernst Rowohlt 1930 seinen Angestellten Rudolf Ditzen, wieder zu schreiben, zum Beispiel über die so genannte Landvolkbewegung, die Fallada kurz zuvor als Lokalreporter im holsteinischen Neumünster miterlebt hatte. Ditzen machte sich an die Arbeit. Bereits ein Jahr darauf erschien, bei Rowohlt und unter dem schon 1920 gewählten Pseudonym Hans Fallada, der Roman „Bauern, Bomben und Bonzen“ und war sofort ein Erfolg. Im Einjahresrhythmus folgten „Kleiner Mann, was nun?“ und „Wer einmal aus dem Blechnapf frisst“, fast sprichwörtlich gewordene Titel. Fallada wird berühmt und muss sich nicht mehr mit Adressenschreiben über Wasser halten. Doch ein „Hans im Glück“ ist der 1893 in Greifswald als Sohn eines späteren Reichsgerichtspräsidenten  geborene Bestsellerautor Zeit seines Lebens nicht geworden. „Was Sie dort sehen, meine Herren, ist der Schriftsteller Hans Fallada. Ein Appendix“, mit diesen Worten präsentierte im Januar 1947 der Chefarzt der Charitè-Nervenklinik den Kollegen das Nervenbündel, das von ihm geblieben war. Ausgelaugt von steigendem Alkoholgenuss und von Drogen, sollte dies die Endstation werden. Kein Geringerer als Johannes R. Becher, bald darauf Kulturminister der DDR und selbst Morphinist, hatte ihm zuvor noch die nötige Dröhnung besorgt, damit er den Roman „Jeder stirbt für sich allein“ schreiben konnte – wie im Fieber.

Dreh- und Angelpunkte in Spielszenen

Die Defa wollte daraus einen Film machen, aber der kam erst später zustande: 1962 in der Regie von Falk Harnack fürs Fernsehen, 1976 durch Alfred Vohrer fürs Kino und in diesem Jahr überraschenderweise in England, mit Emma Thompson und Brendan Gleeson in den Hauptrollen. Bei so viel anhaltender, sogar zunehmender  Aufmerksamkeit war es nur eine Frage der Zeit, dass das Fernsehen mit einer Doku über Ditzen/Falladas spannendes Leben seinen Teil beitragen wollte. Unter der Regie von Christoph Weinert ist Arte eine respektable Doku gelungen, die einige wichtige Dreh- und Angelpunkte im Leben Falladas in Form kurzer Spielszenen nahe bringt. Dank Michael Schenks überzeugender Darstellung glaubt man fast, hier Fallada selbst zu erleben. Statements, unter anderem des jüngsten Sohnes Achim und der britischen Fallada-Biographin Jenny Williams, ersetzen den Kommentar. So entsteht das Bild eines hypernervösen Mannes, der zu seinem Glück nie für den Kriegsdienst taugte, aber zumindest zweimal in seinem Leben zu einer Waffe griff: 1913 in Rudolstadt,wo er mit einem anderen Gymnasiasten einen Doppelselbstmord verabredete und tödlich traf, und 1944 im mecklenburgischen Carwitz, wo der einmal auch von Goebbels gelobte Autor seit 1930 einen ruhigen Ort zum Schreiben gefunden hatte: Fast volltrunken schießt er auf seine Frau Anna, das „Lämmchen“, trifft aber nur den Küchentisch und kommt, wieder einmal, in eine psychiatrische Anstalt. Die zweite Ehe, wenige Tage vor Kriegsende geschlossen, zieht ihn vollends in den Drogensumpf.

Der Film muss auslassen und verdichten, und doch zeichnet er in nur 52 Minuten das eindrucksvolles Bild eines Mannes, der aus der deutschen Literatur des 20. Jahrhunderts nicht wegzudenken ist. Zur Wirkung trägt nicht zuletzt die Kamera von Thomas Bresonsky bei, die mit kurzen Blicken auf die mecklenburgische Landschaft für Momente der Ruhe sorgt.

„Fallada – Im Rausch des Schreibens“. Arte, Mittwoch, 23. November, 22 Uhr 30 

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