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Doku: Zauber einer Region

Filmemacher Volker Koepp sucht in „Livland“ die Hoffnungen der Jugend.

Womöglich war es der raunende Wortklang, der Volker Koepp nach Livland lockte, eine Landesbezeichnung, die nur noch auf alten Karten existiert. 1918 erlosch mit dem Ende der jahrhundertelangen Herrschaft der deutschbaltischen Oberschicht über Esten und Letten auch die im Mittelalter entstandene Landesbezeichnung. Die neuen Nationalstaaten Estland und Lettland teilten die russische Ostseeprovinz unter sich auf. 1939 mussten alle Deutschen „heim ins Reich“. Was dann folgte, war schrecklich genug: die sowjetische Besetzung, die erste Deportationswelle nach Sibirien im Jahr 1941, eine Woche vor dem deutschen Einmarsch, die zweite folgte 1949. 1,3 Millionen Einwohner zählt Estland heute, in Lettland sind es eine Million mehr, und fast jede Familie bewahrt das Andenken an verlorene Angehörige.

Anders als im ehemaligen Ostpreußen („Kalte Heimat“) oder im heute ukrainischen Czernowitz („Herr Zwilling und Frau Zuckermann“) scheint der erfahrene Filmemacher bei seiner Winter- und Sommerreise in die heute zweigeteilte Region vorzugsweise für junge Menschen Interesse mitgebracht zu haben. Die Lettinnen Ilva und Guna erzählen, wie sie mit schöner Glaskunst und Malerei nicht über die Runden kommen, sondern ihr Brot mit Teilarbeit in einem Architekturbüro und beim Tourismus verdienen müssen. Die Estinnen Paula und Liina hingegen studieren Geografie an der hoch angesehenen Universität in Tartu (Dorpat). Auf ihrer Agenda stehen Reisen in die große, weite Welt, aber für immer ins Ausland zu gehen, wie viele aus ihrer Generation es tun, kommt für sie nicht infrage. Ein junger Dozent, auch er spricht ausgezeichnet Deutsch, übernimmt die Rolle des historischen Erklärers.

Die fünf Personen, mit denen wir es in der Hauptsache zu tun haben, zeigen sich als sympathische Menschen, wie sie freilich vielerorts in der Welt anzutreffen sind. Ihr Charme steckt an, und wenn die traditionsbewusste Paula ihr Trachtenkleid vorführt oder die Malerin Guna sich einen Kranz aus Feldblumen auf den Kopf setzt, wenn die Sonnenwendfeuer brennen, ist die romantische Stimmung perfekt. Wie immer in ihren Filmen geizen Koepp und sein Kameramann Thomas Plenert nicht mit berührend schönen Bildern: alte Gutshöfe, verwitterte Burgruinen, unberührte Natur. Die vergangenen Tragödien indes werden kaum erwähnt. Wenn auch nicht von ihm vergessen, so scheinen sie hier dem Regisseur nicht mehr wichtig zu sein - angesteckt vom Zauber junger Menschen in einer jungen Region. Hans-Jörg Rother

„Livland“, ARD, 22 Uhr 45

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