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Vincent war ein Mobber. Jahrelang hat er Menschen dazu gebracht, sich bloß zu stellen. In "Bekenntnisse eines Haters" packt er aus.

© Radio Bremen/obs

Dokumentarfilm von Rabiat: Bei den Maskenjägern

Die ARD-Dokumentation „Bekenntnisse eines Haters“ zeigt, wie grausam Mobbing ist. Was Opfer von Cybermobbing tun können.

Rund zehn Jahre lang war Vincent ein Mobber. Er hat Nacktfotos- und Videos von Menschen im Netz verbreitet und sie dazu gebracht, sich öffentlich bloß zu stellen. Einem von ihnen, dem kleinwüchsigen Youtuber „Kopfnuss Kalli“, hat Vincent vorgespielt, sie seien Freunde, nur um ihn später zu beleidigen. Heute lebt „Kopfnuss Kalli“ in einer Obdachlosenunterkunft, hegt ein tiefsitzendes Misstrauen gegenüber allen und jedem und hat Wahnvorstellungen.

Die Geschichte des Mobbers und seines Opfers erzählt der Journalist Christoph Kürbel in der ARD-Dokumentation „Rabiat: Bekenntnisse eines Haters“, die am Montag live im Ersten läuft. In rund 45 Minuten taucht Kürbel ein in die Welt der Hater und ihrer „Masken“, so werden die Gemobbten in der Szene genannt. („Bekenntnisse eine Haters“, ARD, Montag, 23 Uhr 05 und in der Mediathek).
Zugang zu den Akteurinnen und Akteuren der Hater-Kreise und ihrem „Game“ erhielt der Journalist über den Ex-Mobber Vincent, den er schon seit vielen Jahren kennt. Er ist der jüngere Bruder von einem engen Freund Kürbels. Im Elternhaus der Geschwister habe er den Großteil seiner Kindheit verbracht, erzählt der Journalist. Und auch der Großteil seiner Doku entstand dort: Drei Tage lang zockten die beiden Männer in Vincents Kinderzimmer, in dem er nach wie vor lebt, und sprachen über seine Vergangenheit als Hater.
Solche persönlichen Bezüge sind eine Eigenheit von „Rabiat“. Das Reportageformat ist eine Erweiterung des „Y-Kollektivs“, das ebenso wie „Rabiat“ redaktionell von Radio Bremen betreut wird. Junge Journalistinnen und Journalisten produzieren Reportagen über kontroverse gesellschaftliche Themen. Dabei werden die Reporterinnen und Reporter häufig selbst Teil ihrer Geschichten – wie bei Kürbels Dokumentation über seinen Bekannten Vincent.

Vom gefühlsarmen Jugendlichen zum Mobber

Die Vertrautheit zwischen den Männern diente als Basis für den authentischen Einblick in die Gedankenwelt des Protagonisten. Vincent spricht offen über seine Vergangenheit und die Grausamkeiten, die er begangen hat. Mitunter wirkt es so, als ob Kürbel seinen Interviewpartner zu sanft mit Kritik konfrontiert, sie zu nüchtern daher kommt.

Dennoch: Durch den persönlichen Zugang gelang es Kürbel, Vincents Geschichte anschaulich nachzuerzählen: Vom Kind mit Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätssyndrom, ADHS, dessen Persönlichkeit sich unter Medikamenteneinfluss verändert. Vom gefühlsarmen und introvertierten Jugendlichen, dem es gefällt, beim Computerspielen andere zu zerstören und der sich als 15-Jähriger zum Mobber radikalisiert. Und schließlich vom erwachsenen Mann mit Krebserkrankung, der beginnt sein Verhalten zu reflektieren und versucht sich aus der Szene zurückzuziehen.

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Trotzdem Vincent heute nicht mehr mobbt, kann er sich nicht von den Chatgruppen und ihren Akteurinnen und Akteuren lösen. Er verfolgt weiter mit, wie Mobber Menschen terrorisieren und hält engen Kontakt mit seinem ehemaligen Opfer „Kopfnuss Kalli“, mit dem er heute eine Art Freundschaft pflegt. Gemeinsam mit einer weiteren ehemaligen „Maskenjägerin“ statten Vincent und Kürbel „Kalli“ sogar einen Besuch ab.

Vom Peiniger zum Vertrauten, vom Gemobbten zum Freund: An der bizarren Entwicklung von Vincent und seinem ehemaligen Kontrahenten verläuft einer der beiden Erzählstränge der Dokumentation. Den zweiten bilden spektakulärere Mobbing-Fälle wie der Youtuber „Drachenlord“ oder die ehemalige DSDS-Kandidatin Aline Bachmann.

"Gerechtigkeit, welche Gerechtigkeit?"

Beide wurden von ihren Peinigern zuhause aufgesucht. Bachmanns Mutter schickten die Mobber sogar einen Sarg. All das begründen die „Maskenjäger“ im Fall Bachmann mit einem Spendenskandal, für den sie die junge Frau verantwortlich machen und bestrafen wollen. Das Mobbing sei ein Mittel, um für Gerechtigkeit zu sorgen.

„Gerechtigkeit, welche Gerechtigkeit?“, fragt Kürbel und geht der Frage nach, wie verantwortlich oder gar schuldig sich Hater fühlen. Er interviewt den Anführer der Chatgruppe, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, Aline Bachmanns Leben zu zerstören. Als er fragt, was es für den „Maskenjäger“ bedeuten würde, wenn die Ex-DSDS–Kandidatin aufgrund des Terrors Suizid begehen würde, antwortet der Mobber, dass es „niemanden komplett kalt lassen“, er selbst sich aber „gar keine Gedanken machen“ würde.

Noch erschreckender als solche Aussagen ist die Tatsache, dass organisiertes Mobbing strafrechtlich noch immer kaum Beachtung findet. Gerne hätte man zu diesem Aspekt mehr erfahren, stellt sich die Frage: Warum wird so wenig gegen organisiertes Mobbing getan? Weshalb gibt es keine zentrale Meldestelle für Cybermobbing? Die Dokumentation lässt das Publikum dahingehend fassungslos zurück. In Kürbels Film standen Mobber und nicht die Gemobbten im Fokus. Vielleicht sorgen die Bekenntnisse der Hater dafür, dass auch die Betroffenenperspektive sichtbarer wird.

Was Opfer von Cybermobbing tun können

Cybermobbing ist in Deutschland kein Straftatbestand. Dennoch können sich Betroffene gegen Hass-Attacken wehren, auch juristisch.

Dokumentieren: Initiativen wie das „Bündnis gegen Cybermobbing“, „Hass im Netz“, „Cybermobbing Hilfe“ oder „Hate Aid“ raten Betroffenen dazu, Fälle von Cybermobbing mittels Screenshots zu dokumentieren. Das erleichtert die Ermittlungen in Zuge einer Anzeige. Denn wenngleich Behörden auf die Betreiber von sozialen Medien und Netzwerken angewiesen sind, zeigen sich diese nur selten kooperativ.

Ignorieren: Wer gemobbt wird, sollte seinem Peiniger möglichst wenig Beachtung schenken. Konfrontation stachelt viele Mobber zusätzlich an.

Darüber sprechen: Es kann helfen, sich gegenüber einer Vertrauensperson zu öffnen – und sich nicht davor scheuen, sich professionelle Hilfe zu holen.

Melden: Betroffene sollten Cybermobbing-Inhalte, also Posts, Kommentare und ihre Verfasser, bei den Plattform-Anbietern melden, damit sie diese löschen.

Anzeigen: Mobber können angezeigt werden, wenn es sich um Straftaten wie Beleidigung oder Nötigung und Bedrohung handelt. Bei Verdacht einer dieser Straftaten muss die Polizei ermitteln.

Anastasia Trenkler

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