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Theater im Kino. Das Arte-Dokumentarfilmfestival wird von „Cinema Jenin“ eröffnet. Der Film erzählt davon, wie ein wiedereröffnetes Kino in der palästinensischen Stadt Jenin im Westjordanland zu einem Kulturzentrum wird. Foto: SWR

© Â SWR/Cinema Jenin

Dokumentarfilme auf Arte: Der bröckelnde Fels in der Brandung

Arte feiert das erste Dokumentarfilmfestival. Ohne den deutsch-französischen Kulturkanal kämen viele Produktionen gar nicht zustande. Die finanziellen Krise des Genres kann der Sender jedoch nicht im Alleingang stoppen.

Das Fernsehen tut sich schwer mit der Königsdisziplin Dokumentarfilm, diesen sperrigen, eigenwilligen Werken, die in kein Sendeformat passen. Aber das beruht auf Gegenseitigkeit: Auch manche Dokumentarfilmer tun sich schwer mit dem Fernsehen, das ihnen hineinredet und nicht gerade zu künstlerischen Wagnissen neigt. Aber ohne Fernsehen geht es nun mal nicht, schon aus finanziellen Gründen. Und es gibt sie noch, die Redaktionen, die diese schöne Pflanze pflegen, mit öffentlich-rechtlicher Leidenschaft, trotz schrumpfender Etats.

Für Marcus Vetter zum Beispiel ist Arte „schlicht und einfach der Fels in der Brandung“, ein „ganz wichtiger Partner“ als Ko-Financier, ohne den die meisten international produzierten Dokumentarfilme nicht zustande kommen würden. Warum? Weil andere Sender ohne Arte gar nicht erst mit ins Boot zu holen wären, sagt Vetter, dessen Film „Cinema Jenin“ am Sonntag das erstmals von Arte ausgerichtete Dokumentarfilmfestival eröffnet. Darin erzählt Vetter, wie er selbst, seine palästinensischen Freunde und ausländische Freiwillige in Jenin, einem Ort im Westjordanland, ein Kino sanieren und wiedereröffnen wollen. Sie stoßen auf Bedenken und Widerstände, ein Mord lässt das Projekt stocken, und dennoch öffnet sich der Kino-Vorhang im August 2010. Und ist bis heute geöffnet geblieben. Vetter, der für den Vorgänger-Film „Das Herz von Jenin“ 2010 mit dem Deutschen Filmpreis ausgezeichnet worden war, nennt dies ein Wunder, sagt aber mit Blick auf die von Misstrauen geprägte Situation im besetzten Jenin: „Den Teufelskreis zu durchbrechen, ist uns so nicht gelungen.“

Vetter erzählt eine bemerkenswerte Geschichte aus dem Nahen Osten, aber auch für einen Film- und Grimme-Preisträger wie ihn ist es ein mühsames Geschäft, die Gelder zur Finanzierung seiner Filme zusammenzukratzen. Für sein nächstes Projekt habe er beim dänischen Fernsehen 8000 Euro, in der Schweiz 2500 Euro eingesammelt, sagt Vetter. In England sei nichts zu holen, weil die Sender dort fast nie bei deutschen Filmen einsteigen würden. Und der Markt in Spanien und Italien sei während der Euro-Krise „komplett zusammengebrochen“. Ohnehin zählen Dokumentarfilmer zum Prekariat der Medienszene. Eine Umfrage der Arbeitsgemeinschaft Dokumentarfilm (AG Dok) unter ihren Mitgliedern ergab im Februar 2012, dass nur 15 Prozent ihren Lebensunterhalt von ihrer Arbeit als Autor oder Regisseur bestreiten könnten, 85 Prozent müssten dazuverdienen. Als durchschnittliches Stundenhonorar wurden 7,80 Euro brutto errechnet.

Arte zählt zu den wichtigsten Auftraggebern, doch der deutsch-französische Kulturkanal ist kompliziert konstruiert: Arte Deutschland und Arte France steuern jeweils 40 Prozent zum Programm bei, die Arte-Zentrale in Straßburg die restlichen 20 Prozent. Die deutsche Zulieferung wird nach einem genauen Schlüssel auf die verschiedenen ARD-Sender und das ZDF verteilt, die dafür wiederum feste Pauschalen aus den für Arte bestimmten Beitragsgeldern erhalten. Im Fall von „Cinema Jenin“ war der Südwestrundfunk (SWR) mit im Boot, laut Vetter steuerten Arte und SWR mit knapp 200 000 Euro fast ein Drittel des Budgets bei.

Auf diese Weise ist Arte jedes Jahr als Koproduzent an 16 Dokumentarfilmen beteiligt. Es waren allerdings schon mal mehr, deutlich mehr sogar. Bis zur Programmreform 2012 hatte der lange Dokumentarfilm einen wöchentlichen Sendeplatz. 2011 wurden noch 39 neu produzierte Dokumentarfilme gezeigt. Da wirkt es ein bisschen kurios, dass der Sender gerade jetzt mit einem Festival „offensiv zeigen will, was wir haben“, wie Kulturchefin Kornelia Theune sagt. Um das Gerücht zu zerstreuen, Arte würde dem Genre nicht Rechnung tragen.

Thomas Frickel von der AG Dok nennt das eine „Flucht nach vorne“. Das öffentlich-rechtliche System werde von Politikern kritisiert, „und wie kann man seine Legitimation besser nachweisen als mit einem Festival, das das eigene Engagement beim Dokumentarfilm feiert?“ Frickel zeigt sich gespalten. Arte sei wichtig, sagt er, und habe sich von Anfang an in dem Genre engagiert. Doch der Sender werde von ARD und ZDF „an der kurzen Leine gehalten“, müsse vor allem Dokumentationen und Reportagen produzieren, die auch in anderen Programmen noch verwendbar seien, in den Dritten oder den Digitalkanälen. Frickel wünscht sich, dass Arte mehr wagt und dass „die ganzen Rahmenbedingungen schnellstens überarbeitet werden“. Aber diese Aufforderung, die Eigenständigkeit von Arte zu stärken, überhört die Politik schon seit der Gründung des Senders im Jahr 1992.

Für Kornelia Theune ist die Kritik natürlich nicht neu: „Ich bin seit 20 Jahren bei dem Sender und werde jedes Jahr mit dem Vorwurf der drohenden Verflachung konfrontiert“, erklärt sie. Theune verweist darauf, dass Arte 80 Stunden an Dokumentationen und Dokumentarfilmen in der Woche ausstrahle. Der Etat dafür sei bei jährlich 88 Millionen Euro konstant geblieben. Nach Theunes Ansicht müsse Arte vor allem den Generationswechsel im Blick behalten. Der Sender will verstärkt auf bimediale Strategien setzen und macht sich mit Onlineplattformen wie Arte creative oder Arte future für jüngere Autorinnen und Autoren hübsch. Das Dokumentarfilmfestival, das alle zwei Jahre in wechselnder Folge mit dem Kinofestival ausgestrahlt werden soll, darf man vielleicht als Versprechen verstehen, dass dieses Genre nicht vollends unter die Räder gerät.

Das Dokumentarfilmfestival bei Arte

„Cinema Jenin“ von Marcus Vetter und Aleksei Bakri (Sonntag, 22.15 Uhr); „Das fehlende Bild“ von Rithy Panh (Sonntag, 23.45 Uhr) über das Terrorregime der Roten Khmer in Kambodscha; „Die Wohnung“ von Arnon Goldfinger (Montag, 21.45 Uhr) über die Freundschaft seiner Großeltern zur Familie eines SS-Offiziers; „Mein Herz der Finsternis“ von Staffan Julèn (Montag, 23.20 Uhr) über das Wiedersehen von vier ehemaligen Kindersoldaten in Angola; „The Big Eden“ von Peter Dörfler (Dienstag, 20.15 Uhr) über den Playboy Rolf Eden; „Women are Heroes“ von Jeremie Rodach (Dienstag, 21.40 Uhr) über das Leben von Frauen in Elendsvierteln verschiedener Länder; „Larzac – Aufstand der Bauern“ von Christian Rouaud (Dienstag, 23.05 Uhr) über die Revolte gegen eine Militärbasis in Südfrankreich Anfang der 1970er Jahre; „BB, eine Liebeserklärung“ von David Teboul (Mittwoch, 20.15 Uhr) über Brigitte Bardot; „Michel Petrucciani“ von Michael Radford (Mittwoch, 23 Uhr) über den französischen Jazzpianisten; „Whore's Glory“ von Michael Glawogger (Donnerstag, 23.10 Uhr) über Prostituierte in Thailand, Bangladesh und Mexiko; „Fix Me“ von Raed Andoni (Donnerstag, 1 Uhr) über seine Heimatstadt Ramallah

Mehr Infos unter www.arte.tv/dokumentarfilmfestival

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