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Zeremonienmeister des Techno: Sven Väth, einst visionärster DJ am Mischpult.

© HR

Dokumentation über elektronische Musik: Im Stakkato durchs Land

Die ARD-Doku „Techno House Deutschland“ erzählt vom Siegeszug der Clubkultur.

Im Rückblick war vieles bekanntlich besser. Die Neunziger zum Beispiel, als Sammelsurium stilistischer Irrungen verpönt: aus heutiger Sicht höllischer Krisen ein himmlisches Jahrzehnt. Und selbst den Kalten Krieg verklärt unser Hang zur Nostalgie trotz SS-20 im sauren Regen zur Friedensepoche – daran ändert auch das monotone Stampfen wenig, das die Zeit vor und nach dem Mauerfall untermalt, besser noch: untergraben hat. Techno.

Nüchtern betrachtet ein repetitiver Viervierteltakt, marschierte das elektronische Stakkato vor bald 40 Jahren aus Detroit und Chicago über Frankfurt und Berlin so lautstark durchs geteilte Land auf dem Weg zur Vereinigung, als wäre es der Soundtrack des Mauerfalls. BRD und DDR vor und nach 1989 klangen folglich weniger nach David Hasselhoff als Sven Väth – einst visionärster DJ am Mischpult einer Subkultur, die eigentlich keiner Erklärung mehr bedarf. Das Erste liefert sie trotzdem. Zum Glück!

[„Techno House Deutschland“, ARD-Mediathek, in der ARD am Sonntag, um 23 Uhr 40]

Wero Jägersberg und Mariska Lief begeben sich in ihrer Dokumentation auf eine Zeitreise zur letzten musikalischen Revolution abseits vom HipHop. Anders als ähnliche Jugendkulturstudien ihrer Zeit erstarren die Autorinnen nicht in Ehrfurcht vor der entfesselten Kraft einer neuen Zeitrechnung; sie graben sich mit leidenschaftlicher Akribie durch zu den Wendepunkten und ihrem Personal.

Womit Jägersberg & Lief wieder bei Sven Väth wären. Geboren 1964 in Hessen, hat der „Schamane, Vater, Zeremonienmeister des deutschen Techno“ den aseptischen Sound mit Gleichgesinnten aus Amerikas Industriebrachen nach Mainhattan geholt und von da aus in die heimische Popkultur gedengelt. Kein Wunder, dass er achtmal 30 Minuten ständig im Bild ist – auf Videos seiner frühen Auftritte und als Interview-Partner Jahrzehnte später.

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Mit Weggefährten jener popkulturellen Pioniertage erzählt er von der Zeit, als Techno groß werden konnte. Wie die Keimzelle elektronischer Musik nach dem Ende seines legendären Parkhaus-Clubs „Omen“ von der Frankfurter Keimzelle ostwärts wanderte. Wie ihr der ähnlich legendäre „Tresor“ im Keller eines verwaisten Kaufhauses in Mitte Asyl gewährte, was dessen Betreiber als Spätfolge der deutschen Teilung beschreibt.

Eine dokumentarische Liebesbeziehung

Nachdem sich die alte Frontstadt über Nacht quasi verdoppelt hatte, meint Dimitri Hegemann mit seiner Gutenachtgeschichten-Stimme, „da knallte dieses Zeug nach Berlin“, und wurde dort nicht nur von der schwarzen zur weißen Musik; sie eroberte sich auch Treuhandbrachen. Und weil die künftige Weltstadt im Überbietungswettbewerb globaler Investoren bald betonvergoldet wurde, zog der Techno weiter. Nach Jena, Chemnitz, Leipzig.

All das erzählt „Techno House Deutschland“ mit solch einer Hingabe, als wären Jägersberg & Lief eher Fans als Filmemacherinnen. Sind sie ja auch, weshalb beide zuvor schon „Wie HipHop nach Deutschland kam“ gedreht haben, auch das eine dokumentarische Liebesbeziehung. Umso wichtiger ist, dass sie nicht nur schwärmen, sondern den Sexismus der frühen Technojahre erwähnen, das Gefälle zwischen Stars und Sternchen, die bürgerlichen Vorbehalte gegen Drogenkonsum und Kontrollverluste.

Aber gut – das Schwärmen abseits journalistischer Distanz übernehmen ja all die Zeitzeugen. Es ist zum Heulen schön, wie Clubbesitzer und Plattendreherinnen bis zur Selbstaufgabe ihren Traum von Freiheit, Gleichheit, Geschwisterlichkeit auf der Tanzfläche leben oder wie es die Berliner DJ-Institution Monika Kruse nennt: „Techno ist die positivste Jugendkultur, die es jemals gab.“ Das allein ist 240 Minuten Nostalgie im repetitiven Viervierteltaktstakkato wert.

Jan Freitag

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