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Alfred Nobel (Sebastian Koch) verliebt sich in Bertha von Suttner (Brigit Minichmayr).

© ARD

Drama: Verbindung mit Sprengkraft

Leidenschaft, wo keine war: „Eine Liebe für den Frieden“ verkuppelt Bertha von Suttner mit Alfred Nobel. Wird das zu spät für irdische Erotik?

Bertha Sophia Felicita Freifrau von Suttner, geborene Gräfin Kinsky von Wchinitz und Tettau (puh!), lebte von 1843 bis 1914. Sie war österreichische Pazifistin, schrieb mit „Die Waffen nieder!“ (als 46-Jährige) einen Weltbestseller und erhielt 1905 als erst zweite Frau den Friedensnobelpreis.

Das muss vorweggesagt werden, weil der Glanz der „Friedens-Bertha“ (ein liebevoller Spottname) historisch verblasst ist. Auch wenn einige Gymnasien heute noch ihren Namen tragen, die österreichische 2-Euro-Münze ihr Porträt zeigt und ein Asteroid nach ihr benannt ist.

Alfred Nobel (1833–1896) hingegen ist bis heute ein Begriff. Aus dem Nachlass des schwedischen Dynamiterfinders wird der Nobelpreis finanziert und damit in Stockholm Persönlichkeiten aus den Gebieten der Chemie, Physik, Medizin und Literatur geehrt, die „der Menschheit den größten Nutzen gebracht haben“. In Oslo gibt es noch den Friedensnobelpreis.

Nicht nur die Affäre mit Arthur ist anstößig

Nobel begegnet Bertha 1876 zum ersten Mal in Paris. Da ist sie 33 und der arrivierte Erfinder zehn Jahre älter. Bertha soll Nobels Privatsekretärin werden, nachdem sie aus einer Gouvernantenstellung in Wien bei dem Industriellen Suttner geflogen ist, weil sie sich in den sieben Jahre jüngeren Sohn des Hauses – Arthur von Suttner – verliebt hat. Mit Bertha, immerhin einer geborenen Gräfin Kinsky, meinen die hochnäsigen Suttners nach Gutsherrenart umspringen zu können. Nicht nur die Affäre mit Arthur ist anstößig, Bertha ist auch verarmt. Mutter Kinsky hat das Familienvermögen in Casinos verjeut – bei den Suttners herrscht deshalb Erbschleicherinnen-Alarm.

Mittellose, liebesenttäuschte Gräfin findet also Zuflucht bei alleinstehendem, reichem Erfinder. Die Fantasie knistert, die argentinisch-deutsche Schriftstellerin Esther Vilar („Der dressierte Mann“) griff zu und schilderte im Theaterstück „Mr & Mrs Nobel“ (2011) die Pariser Begegnung der späteren Friedensengel nicht nur als Beginn einer Freundschaft, sondern einer großen Liebe. Historische Belege für Leidenschaft zwischen Suttner und Nobel gibt es zwar nicht, aber wenn Sex sells, dann darf auch Eros einen Stoff aus dem Fernsehmuseum beleben und von einer „sehnsuchtsvollen Liebe, die nicht gelebt werden konnte und durfte“ fantasieren (Hauptdarsteller Birgit Minichmayr und Sebastian Koch).

Der Film (Regie: Urs Egger, Buch: Rainer Berg) folgt der erotischen Erfindung Vilars und hält sich nicht allzu lange mit der Erörterung pazifistischer Theorien auf. Suttner will Krieg als unmoralisch ächten, als Zivilisationsbruch demaskieren und mit der Beschreibung des unendlichen Leids, das er bringt, die Menschen zum Frieden bewegen. Nobel, Skeptiker des Gutmenschentums im Weltmaßstab, glaubt eher an das Gleichgewicht des Schreckens; an perfekte Waffen, die jeden Krieg sinnlos machen, weil es keine Sieger mehr geben wird. Das von ihm erfundene Dynamit sieht er als ersten Schritt zum ewigen Frieden. Wie gut, dass Suttner und Nobel den Ausbruch des Ersten Weltkriegs nicht erleben mussten.

Elendsbilder mit Schreien

Ein Friedensseminar erwartet den Zuschauer dennoch nicht. Stattdessen eine Liebeselegie in überwiegend gediegener Salonatmosphäre, auch wenn es Elendsbilder mit Schreien, Blut und abgesägten Gliedern aus dem Krimkrieg zu sehen gibt. Sie sind aber eher Beigabe.

Eben noch hat der Erfinder Nobel seiner neuen Sekretärin durch Liegen im Zimmersarg einen Schrecken einjagen wollen – sie erweist sich allerdings als ebenso unerschrocken wie bei den Nitro- und Dynamitvorführungen im Labor –, da verschwindet er ohne Abmeldung nach Stockholm. Schlechtes Timing. Denn bei der perplexen Bertha erscheint gerade im Moment der Abwesenheit Nobels ihr Ex-Geliebter Arthur. Enterbt, aber begeistert heiraten Zögling und ehemalige Gouvernante heimlich und gehen ins Exil in den Kaukasus. Da geht es zu wie in der Operette: Liebestreiben in der kargen Holzhütte. Suttnermann springt nackt in die Regentonne, da zwingen ihn herannahende schneidige Reiter, sich etwas überzuziehen. Es gibt schlechte Nachrichten. Der Krimkrieg beginnt, die geplante Rückkehr der Suttners nach Wien verzögert sich. Bertha beginnt Unterhaltungsromane zu schreiben, Arthur bedient die Presse mit Kriegsberichten.

Bertha und Artur begegnen auf abenteuerlichen Reisen dem Elend des Krieges. Sie sind schockiert. In einer militärbesoffenen Zeit schafft es Bertha, den Schocker „Die Waffen nieder!“ zu schreiben und im Verlag durchzusetzen; pazifistisches Dynamit, so erfolgreich wie Nobels realer Sprengstoff. Bertha wird berühmt, tritt in weltweiten Friedenskongressen als Mahnerin auf.

Was sich dort tut, interessiert den Film aber nicht sehr. Vilar hat den Stoff nun mal auf das Liebessehnsuchtsgleis gesetzt. Shakespeare hat einst die Frage gestellt, ob „Lieb’ das Glück führt oder Glück die Liebe“. Es gilt für diesen Film zunächst, dass widrige Umstände eine erotische Begegnung verhindern. Man schreibt sich Briefe, verabredet sich und verpasst einander. Dann erwischt Bertha ihren Arthur beim Fehltritt mit einer jungen Verwandten. Sie wird frei und die Liebe übernimmt die Führung. Suttner fährt mit Nobel in dessen malerischen Ruhesitz nach San Remo.

Nur: Es ist zu spät für irdische Erotik. Nobel hustet schon und verstirbt bald am offenen Fenster. Alle Friedensglocken scheinen zu läuten, das Pathos schwelgt. Trotzdem gibt es Rettung. Sie heißt Birgit Minichmayr und Sebastian Koch. Beide schreiten heiter und gelassen durch die erotisch aufgeheizte Geschichtsstunde. Kein Hecheln verbreitend, sondern mit der Anmut melancholischer Zurückhaltung. Der Verzicht macht beide schön, die Schauspieler besiegen das Drehbuch. Der Frieden ist wichtiger als Liebeserfüllung. So keusch denken wohl nur die Engel der Geschichte, nicht die Engel der Geschichten.

„Eine Liebe für den Frieden“, ARD, Samstag, 20 Uhr 15

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