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Sagt man das so? Liz (Mathilde Bundschuh, rechts) bleibt ihrer Mutter Susanne (Anica Dobra) und ihrem Lebensgefährten Andi (Simon Böer) gegenüber verschlossen. Foto: WDR

© WDR/Tom Trambow

Drama: Was heißt hier Behinderung?

Unspektakulär spektakulär: „Geliebtes Kind“ erzählt eine Mut machende Mutter-Tochter-Geschichte. Mit Außenseitertypen hat Regisseurin Sylke Enders bereits ihre Erfahrungen gesammelt.

Schon die erste Szene hat Seltenheitswert im deutschen Fernsehen. Da tollen zwei Mädchen im Wasser, da kommen zwei Mädchen aus dem Wasser heraus. Die eine humpelt, die andere nicht, und sie sprechen, natürlich, über Liebe. Viel mehr passiert nicht, und genau das ist das Erstaunliche. Wann sonst werden kostbare Fernsehminuten an Szenen verschwendet, die so unspektakulär daherkommen, dass sie beinahe wie echtes Leben wirken?

Der ARD-Film „Geliebtes Kind“ hat etliche solche Momente, und das liegt auch an der spektakulär unspektakulären Geschichte, die er erzählt. Das Mädchen Elisabeth (Mathilde Bundschuh) hat einen sogenannten Spitzfuß – das heißt, sie muss mit einem ihrer Beine permanent wie auf Zehenspitzen gehen. Auch rennen kann sie nicht, dafür aber skaten und küssen, hat weder eine verkürzte Lebenserwartung noch ein schreckliches Familiengeheimnis und drängt sich damit nicht gerade als Filmheldin auf.

Und trotzdem hat der Drehbuchautor Dieter Bongartz sie als Hauptfigur gewählt. In Zeiten von um sich greifender Selbstoptimierung erzählt er von einer Behinderung, mit der man eigentlich gut leben könnte – wenn es die anderen nur zuließen. Die anderen sind vor allem Elisabeths Mutter Susanne (Anica Dobra). Sie will – auch das ist wenig spektakulär – das Beste für ihr Kind. Nur besteht darüber, was das ist, bekanntlich oft Uneinigkeit, gerade zwischen Müttern und Töchtern. Als Elisabeth aus dem Internat zu ihrer Mutter zurückzieht, hat sie bereits mehrere qualvolle und erfolglose Operationen hinter sich. Eine weitere ist so ziemlich das Letzte, was sie will – ganz im Gegensatz zu Susanne. Schon bald liegt ein Prospekt über eine neue Behandlungsmethode auf dem Bett des Mädchens, sie könne ja mal reinschauen, sagt Susanne betont harmlos. In Wirklichkeit ist sie als Mutter ähnlich penetrant wie in ihrem Job als Hausverwalterin, und die Schauspielerin Anica Dobra, die man vor allem aus leichter Fernsehunterhaltung kennt, verleiht der Figur dabei die nötige Komik. „Das klappt doch ganz gut mit uns“, verkündet sie ihrer Tochter, da ist diese gerade mal eine Nacht und einen halben Tag aus dem Internat zurück und hat noch nicht sonderlich viel gesagt und meist nur abweisend die Arme verschränkt.

Mit Außenseitertypen hat die Regisseurin Sylke Enders bereits ihre Erfahrungen gesammelt. 2002 kam ihr Film „Kroko“ in die deutschen Kinos. Hauptfigur war eine Schlägerprinzessin aus Berlin-Wedding, die zu Sozialstunden in einer Behinderten-WG verdonnert wird. Ihre ruhige und geduldige Erzählhaltung von damals hat Enders beibehalten, immer wieder verharrt die Kamera von Kai Longolius auf Elisabeths Gesicht, so als habe man da alle Zeit der Welt und nicht nur ein kleines Fenster, das sich um 21 Uhr 45 wieder schließen muss.

Auch sonst trifft der Kinozuschauer auf Vertrautes. Steffi Kühnert, gerade in Andreas Dresens „Halt auf freier Strecke“ auf der großen Leinwand zu sehen, spielt eine verwahrloste Frau, mit der Elisabeth Freundschaft schließt. Ihr hat der Drehbuchautor fast die schönste Aufgabe in seinem Film zugedacht. Kühnert sagt all die Klischeesätze, die man so oft in Fernsehen hört, straft sie dann aber im nächsten Augenblick Lügen.

„Andere Mütter haben auch schöne Söhne“, murmelt sie zum Beispiel, als Elisabeth Liebeskummer hat, muss dann aber selbst lachen über diesen Spruch und fragt: „Sagt man das so?“ In anderen Filmen schon. Heute Abend zum Glück mal nicht.

„Geliebtes Kind“, 20 Uhr 15, ARD

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