zum Hauptinhalt
Für Meryl Streep war „Holocaust“ eine der ersten großen Filmrollen.

© WDR/Worldvision Enterprises Inc./dpa

Dritte Programme zeigen "Holocaust": Ein Bruch der Generationen

Der Film „Holocaust“ war in den Siebzigern ein Phänomen. Doch homophobe Untertöne hinterlassen Fragen bei jungen Menschen.

Von Markus Lücker

Vierzig Jahre ist es her, dass Deutschland den Begriff Holocaust lernte und seitdem nie wieder vergessen hat. Was bis zum Januar 1979 formlos geworden war, bekam nun eine Gestalt, an der niemand vorbei konnte. Anlass war die Ausstrahlung des vom amerikanischen Sender NBC produzierten Vierteilers „Holocaust – Die Geschichte der Familie Weiss“ in den dritten Fernsehprogrammen der ARD.

Die mediale Reaktion war gigantisch: Einschaltquoten von 39 Prozent, Begleitprogramm mit Zuschaueranrufen, Leitartikel in den Zeitungen – und die fast schon banalisierend wirkende Ehrung, dass Holocaust zum Wort des Jahres gewählt wurde.

Anlässlich des Jahrestages ziehen WDR, NDR und SWR die Geschichte um eine jüdische Familie, die während des Kriegs nach und nach vernichtet wird, noch mal ins Programm. Am Montag wurde der erste Teil ausgestrahlt. Aber was kann die Produktion gerade einem jungen Publikum noch geben?

Ich selbst, Jahrgang 1989, bin zu jung, um die Erstausstrahlung von „Holocaust“ mitbekommen zu haben. Meine ersten medialen Kontakte zur Thematik waren die magisch-romantische Verkitschung eines Steven Spielbergs in „Schindlers Liste“ und die Rachefantasien des Ego-Shooters „Wolfenstein 3D“ auf einem DOS-Computer. Nazis abknallen, das war meine erste Auseinandersetzung mit der Judenvernichtung.

Ungenügende Bilder

Später folgten Überlebenden-Berichte wie Art Spiegelmans Graphic Novel „Maus“, Nazi-Trash mit dem Film „Iron Sky“, in dem sich Hitlers verbliebene Anhänger in einer Mondbasis neu formieren sowie Exploitation-Filme in denen SS-Aufseherinnen für Sexfantasien herhalten.

Claude Lanzmanns neunstündigen Dokumentar-Epos „Shoah“ schaute ich alleine in einem Studentenwohnheim, aufgeputscht von drei Litern Discounter-Energydrink, die mich bis fünf Uhr morgens wachhalten sollten. Nach all diesen Formaten, die sich in den vierzig Jahren seit dem „Holocaust“-Vierteiler entwickelt haben, blieb die Erkenntnis, dass keine einzelne Bebilderung der systematischen Vernichtung von sechs Millionen Juden sowie Homosexuellen, Kranken, Roma und weiteren gesellschaftlichen Gruppen gerecht werden kann. Dass auch die NBC-Produktion heute nicht mehr dieselbe Wirkung haben kann, mit der sie einst in den Siebzigern in das allgemeine Gedächtnis eingedrungen ist.

Viel davon hängt mit der fast schon nach Bildungsauftrag riechenden Struktur des Films zusammen. In den Jahren des Krieges wird die Familie Weiss, wie es der Zufall will, Zeuge zahlreicher historischer Großereignisse, die mittlerweile zum schulischen Kanon eines jeden Mittelstufenkindes gehören: Novemberpogrome, Aufstand im Warschauer Ghetto, Massaker von Babyn Jar. Als Familiensohn Karl nach Buchenwald kommt, wird ihm in einem Vortrag das System verschiedenfarbiger Aufnäher für Gefangenenkleidung erklärt: von rot für politische Häftlinge bis lila für Zeugen Jehovas.

Homophobie im Code

Aus einer historischen Perspektive ergeben solche Bildungsparts Sinn, trugen sie doch bei der Bevölkerung zur Aufklärung in einer Weise bei, die mittlerweile glücklicherweise in den Schulen institutionalisiert wurde. Unangenehmer sind hingegen die Mittel, mit denen die SS-Führungsspitze um den Emporkömmling Erik Dorf inszeniert wird. Wenn er zusammen mit Reinhard Heydrich im dunklen Zimmer bei Whiskey, Zigaretten und gedimmtem Licht die „Endlösung der Judenfrage“ plant, bekommt das eine fast schon homoerotische Dimension. Adolf Eichmann umgarnt Dorf stellenweise mit karikaturhafter Flamboyanz.

Schon lange hat es im amerikanischen Film Tradition, Schurken mit als schwul geltenden Codes zu unterfüttern. Gerade Disney nutzt dieses homophobe Schema. In der „König der Löwen“ lässt der narzisstische Bösewicht Scar Hyänen in Leni-Riefenstahl-Ästhetik aufmarschieren.

Der Philosoph Slavoj Zizek argumentierte einst anhand des Musicalfilms „Sound of Music“, Hollywood nutze ausgerechnet für Nazidarstellungen jenes Propagandabild des kosmopolitischen, verweiblichten Judens, das in der Vergangenheit von Deutschen verbreitet wurde, und aktualisiere damit den Antisemitismus im Publikum. Auch bei „Holocaust“ lassen sich solche Zeichen finden. Gleichzeitig sind die Frauenfiguren gerade zu Beginn des Films nur das Anhängsel der Männer.

Es sollte nicht notwendig sein, über Feminismus und Homophobie bei einem Film über die Shoah zu sprechen. Eigentlich sollte es darum gehen, wie so ein Projekt das Leid der Juden und ihren Willen zu überleben in Bilder bringen kann.

Es geht auch nicht darum, die Wichtigkeit des Vierteilers anzuzweifeln. Nur sollten wir uns 40 Jahre nach Veröffentlichung fragen, warum es schwul codierte Nazis brauchte, damit Deutschland den Holocaust-Begriff akzeptieren konnte.

Zur Startseite