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Dschungelkandidat Joey Heindle: Gefühlswelten zwischen "boah, eyy" und "<3"

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Dschungelbuch (11): RTL weckt das Tier in uns

Trash-Fernsehen schaut man nicht. Und wenn, dann nur zur Selbstabgrenzung. Aber warum wissen doch alle am nächsten Morgen, welche Brüste im Schlamm wackelten? Oder wer wo Krokodilstränen vergoss? Marc Röhlig hat im RTL-Chat mitgelesen – und weiß nun, wer wir wirklich sind.

Bringen wir uns erst einmal auf einen intellektuellen Nenner: Ich habe keinen Fernseher, aber eine große Bücherwand. Ich schaue auch fast nie fern, minimal den Tatort im Livestream, maximal Dokumentationen im Web. Und Sie, lieber Leser, sind auch weit weg vom Privatfernsehen, das kennen Sie maximal aus der Trash-TV-Berichterstattung, die Sie morgens im Büro vor Ihren Mails anklicken. Dennoch sind wir beide nun hier gelandet – irgendwie hat es uns ins Dschungelcamp gezogen.

Bringen wir uns also schnell auf den Camp-Nenner: Es ist der elfte Tag, acht Menschen verweilen noch im RTL-Palmenlager. Patrick (ein Sänger) und Iris (eine Mutter) reiten ein Plastikkänguru und schätzen die australische Bevölkerungszahl ("100.000"). Joey (noch ein Sänger) jammert viel, Allegra (keine Ahnung wer, aber die Moderatoren sprechen sie "Ällägra" aus) jammert auch viel. Arno (ein Bankräuber), wurde aus dem Camp gewählt. Er sagt, der Dschungel "war im Prinzip schon schlimmer als der Knast".

Ich muss sagen, ich mochte Arno. Ich hatte den Einzug der Kandidaten gesehen und da erschien er mir klug. Gut klug, böse klug, zynisch klug. Und ich dachte mir, das ist wohl auch der Sinn der Sendung; zynisch distanziert mitgucken und sich immer irgendwie den Kandidaten (und allen, die das einfach aus Mangel an Alternativen schauen) überlegen fühlen. Aber dann schalte ich ein, und der Arno sagt so einen Satz.

Das wusstest du doch besser!, möchte ich ihn anschreien. Aber vielleicht stimmt das gar nicht. Vielleicht wollte der Bankräuber, der clevere, ganz bewusst den Knast 2.0 erleben. Vielleicht wollte auch er mal ein bisschen Dschungel sein, und ein bisschen weniger Bücherwand. Und da hat mich interessiert, warum nun eigentlich ich den Livestream eingeschaltet habe? Und warum RTL außer mir noch 12,8 Millionen andere User mit seinen Webportalen erreicht - sowie gut die Hälfte noch mal allabendlich via TV?

Rund 23.000 Tweets klackern in einer Sendestunde durchs Netz. Und auf der RTL-Facebookseite rauschen in zehn Minuten gut 200 Kommentare herein. Kostprobe: "Das kommt davon, wenn man sich auf den Schwanz setzt", kommentiert einer, als Iris beim Känguru-Rodeoreiten stürzt und sich die Rippe am Hinterteil des Kängurus "verzogen" hat. Weniger nette Beobachter der Szene bringen Walfisch-Vergleiche oder setzen die Begriffe "Brüste", "BH" und "Schlamm" in Kausalketten. Auch Moderator Moment, ich google schnell den Namen-Hartwich versucht einen Witz und macht was mit "Brüsten", "Ulbricht" und "Niemand hat die Absicht…" Die Pointe landete dann irgendwo zwischen Nicht-verstehen-Wollen und Nicht-verstehen-Können.

Andere Szene: Die Campbewohner erhalten Briefe aus der Heimat (Nur Olivia Jones erhält laut Moderatorenhäme einen Brief aus der Rathausstraße 15, Berlin). Joey, der mir in seiner Naivität und Unbekümmertheit wie ein offenmundiger Harold Lloyd oder Charlie Chaplin vorkommt, erhält einen Liebesbrief seiner Freundin. Und dieser Brief ist wirklich schön. Und auch Joeys Tränen sind wirklich schön. Und ehrlich. Und irgendwie Dschungel. In den Kommentaren kann ich gefühlte 200 Mal "vollll süüüüüüzzzz <3" mitlesen. Fast genauso oft "Boah, der soll weg, der dummvogel, eyy". In diesem Augenblick wurde mir klar, dass RTL hier zwar seine Ulbricht-Witze bringen kann, um den Germanisten und Historikern im Publikum zu schmeicheln - aber eigentlich geht es dem Publikum dann doch mehr um den Bauch als um den Kopf, um "boah, eyy" oder um "<3".

Das kann man als Trash abtun. Man kann es verteufeln, das abendländische Ende erwarten und sich noch mal eine Stufe höher stellen. Oder man ruft sich ins Gedächtnis, was der Dschungelbeobachter schlechthin, Rudyard Kipling, einst schrieb. In seinem Reim "We and They" (1926) dichtete er: "All nice people, like Us, are We / And everyone else is They: / But if you cross over the sea / Instead of over the way / You may end by (think of it!) looking on We / As only a sort of They!"

Vielleicht wollen wir ja alle ein bisschen mehr Dschungel sein.

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