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...Winfried Glatzeder. Der 68-Jährige ist Theaterschauspieler und wurde vor allem durch die Hauptrolle im DDR-Kultfilm "Die Legende von Paul und Paula" berühmt. RTL gab sich in der Presseankündigung gar nicht mehr die Mühe, den Filmtitel richtig zu schreiben. Dass er in den 1990ern der Berliner "Tatort"-Kommissar Ernst Roiter war, sei dann auch unwichtig. Immerhin: Machete Kills!

© RTL

Dschungelcamp (12): "Ich weiß gar nicht, wo man sich mal beschweren kann als Mitarbeiter"

Truthahn-Hoden, Uhren ohne Zeiger und andere Fragwürdigkeiten. Die zwölfte Folge der Dschungelshow „Ich bin ein Star - Holt mich hier raus!“ aus existenzialistischer Sicht.

Dienstagabend, 22 Uhr 15, RTL. Tun wir mal so, als hätten wir das noch nie gesehen. Mit den Worten „Ni Hao und herzlich Willkommen zu eurer Dschungelprüfung mit dem Namen ,All you can eat!“, begrüßt ein alerter RTL-Moderator namens Daniel Hartwich im australischen Dschungel das deutsche Erotik-Modell Melanie Müller und den österreichischen Sänger Marco Angelini. Die beiden haben Hunger. Auf ihren Tellern landen gebratene Schafhirne, lebende Mehlwürmer sowie Truthahn-Hoden. Warum sie diese Gerichte trotz offensichtlichen Ekels verspeisen, ist zunächst nicht ersichtlich. Am Ende werden zur Belohnung Sterne verteilt, offenbar Essensmarken, die gegen richtige Mahlzeiten eingetauscht werden können, später im Camp.

Wohin führt das? An was erinnert es? Hin und wieder hilft ein Blick in die Literaturgeschichte und die Spielregeln. Zunächst die Regeln. Ursprünglich elf Personen, die angeblich in der Regel alle bereits im Fernsehen aufgetreten sind, leben in einem sogenannten Dschungelcamp in Australien unter ständiger Beobachtung durch Fernsehkameras. Ziel der Teilnehmer ist es, die Gunst der Zuschauer zu gewinnen und so lange wie möglich im Camp zu bleiben, um als Sieger zum „Dschungelkönig“ gewählt zu werden und damit einen Geldbetrag zu gewinnen. Der Titel der Sendung bezieht sich auf einen Ausruf, mit dem die Teilnehmer sogenannte Dschungelprüfungen abbrechen oder auch direkt aus der Sendung aussteigen können.

Aussteigen will hier keiner. Jedenfalls nicht der Zuschauer. Offenbar handelt es sich beim Dschungelcamp um eine irgendwie heilvolle Melange aus Voyeurismus, Fremdschämen, Exhibitionismus, Langeweile, Verzweiflung und Gruppendynamik. Anders lässt es sich nicht erklären, dass Abend für Abend Millionen Menschen Starlets, Budensängern und Soap-Darstellern beim Nichtstun, Schwitzen und Lästern am Lagerfeuer zu gucken.

Oder beim Hodenfressen. Inzwischen sind Frau Müller und Herr Angelini beim Dessert angelangt: Glückskekse gefüllt mit Grillen und Kakerlaken. Warum nicht? Jeder will die Dschungelkrone, keiner das Camp verlassen. Dialoge entspinnen sich, Kandidaten werden Charaktere. Melanie hat Heimweh und liegt auf ihrer Pritsche. Larissa sitzt bei ihr: „Dein Vater ist Schornsteinfeger?“ Melanie: „Ja.“ Larissa: „Wie geil. Und deine Mutti?“ Melanie: „Die hat ein Kinderheim geleitet, dann wurde sie schwerer krank, dann hat sie bei meinem Papa im Büro angefangen, und seitdem arbeitet sie im Büro.“ Larissa: „Cool, dass dein Vater Schornsteinfeger ist.“

Ein Schwenk zu den Campern Gabby und Marco. Die halten an diesem zwölften Tag Nachtwache am Lagerfeuer und überlegen angestrengt, wer denn wohl bald das Lager verlassen muss. Gabby: „Weißt du, ich habe noch kein ,vielleicht’ gekriegt, nichts.“ Marco: „Wollen wir mal sehen.“ Gabby: „Ich bin so gespannt, wer als nächstes ein ,vielleicht’ kriegt. Was glaubst du?“ Marco: „Kann man nicht sagen, ne? Kann jeder sein.“ Gabby: „Ja. Jetzt ist es für mich total fragwürdig.“ Marco: „Morgen, glaube ich, ist klar!“

Ja, jetzt wird einiges klar. Wir haben so etwas schon mal gelesen.

Estragon: Komm, wir gehen!

Wladimir: Wir können nicht.

Estragon: Warum nicht?

Wladimir: Wir warten auf Godot.

Estragon: Ah!

Da frage noch jemand, warum dieser vermeintliche Trash 2013 für den Grimme-Preis nominiert war. Figuren wie Gabby und Marco ähneln den beiden Landstreichern Estragon und Wladimir, die an einem nicht näher definierten Ort ihre Zeit damit verbringen, „nichts zu tun“ und auf eine Person namens Godot zu warten. Godot selbst erscheint bis zuletzt nicht. Am Ende kommt ein Botenjunge, der verkündet, dass sich Godots Ankunft weiter verzögern, er aber kommen werde, ganz bestimmt. Die Wartenden zweifeln an der Sinnhaftigkeit ihrer Situation.

Dazu passt eine weitere Dschungel-Prüfung vom Dienstag wie die Faust aufs Auge. Gabby und Larissa müssen zur „Nacht-Schatzsuche“ antreten. Nach einem langen Weg kommen die beiden an eine Erdhöhle. Die Zwei entdecken eine Botschaft: „Eure Aufgabe ist es, den Zeiger nicht auf die sechs Uhr Position kommen zu lassen. Der Zeiger darf dabei nur von euren Fingern berührt werden. Wenn ihr das schafft und bis zum Sonnenaufgang euer Nachtlager nicht verlassen habt, bekommt ihr und die anderen Campbewohner eine leckere Überraschung.“ In der Erdhöhle befindet sich eine größer Pritsche, Essen und Wein. An der Wand hängt eine Uhr, bei der eine Seite abgeklebt ist. Gabby und Larissa müssen bis zum Morgengrauen den Minutenzeiger immer wieder mit der Hand auf Null Uhr zurückdrehen, damit dieser nicht die Sechs-Uhr-Position erreicht. Sie müssen also spätestens alle 29 Minuten aufstehen und den Minutenzeiger zurückstellen. 

Immer wieder die Uhr zurück drehen. Das hätte Samuel Beckett nicht besser hin gekriegt. Darum geht’s. Das ist das Narrativ beim Dschungelcamp, über das an dieser Stelle schon öfters geschrieben wurde. Abgeguckt bei Beckett. Zwei Akte lang tritt „Warten auf Godot“ auf der Stelle. RTL braucht dafür zwei Wochen. Es wird mit absurden Diskussionen über Belangloses gestritten und sich wieder versöhnt. Man beschäftigt sich damit, Spielchen zu erfinden, oder man erörtert verschiedene Möglichkeiten des Selbstmords.

So weit wird es im australischen Dschungel hoffentlich nicht kommen. Nervensäge Larissa kann noch so sehr gehasst werden. Da sei Daniel, der Prüfer und Moderator, vor, die Sinnhaftigkeit der Situation und Regeln stets vor Augen. Gabby durfte am Ende das Camp verlassen. Tanja muss weiter drin bleiben. Auch absurd eigentlich. Das letzte Wort für heute hat Lieblingscamper Winfried Glatzeder, der Belmondo des Ostens: „Es kommt ja auch niemals jemand her, der sich in irgendeiner Weise als Verantwortlicher für irgendwas bedankt oder entschuldigt! Das ist auch eine Belastung, finde ich. So was habe ich noch nie erlebt. Ich meine, das ist ja auch eine berufliche Arbeit, die wir hier machen. Sie haben mich ja nicht irgendwie von der Straße geholt. Ich weiß gar nicht, wo man sich mal beschweren kann als Mitarbeiter.“

Bei RTL, Winfried, bei RTL. Ganz bestimmt. Danke für diese mitternächtliche Aufführung!

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