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Daniel Hartwich und Sonja Zietlow

© dpa

Dschungelcamp (3): Walter Freiwald: Jenseits von witzig

War es nicht so, dass vergangene Staffeln von „Ich bin ein Star, holt mich hier raus“ in der dritten Folge an Tiefe gewannen? Die neunte Ausgabe des Dschungelcamps wirft nur die Frage auf, wann man Insassen dann doch vor sich selbst schützen muss. 

Man müsste sich jetzt alte dritte Folgen von „Ich bin ein Star, holt mich hier raus“ ansehen. Jene Episoden also aus den vorangegangenen Staffeln, in denen die Ankunfts-, Einzugs- und sonstigen Präliminarien abgeschlossen sind und das eigentliche Kammerspiel beginnt; in denen erste Konflikte gezeichnet und zumeist wenig haltbare Allianzen geschmiedet werden, in denen die besonders exzentrischen Charaktere bereits an Tiefe gewinnen und Gruppendynamiken zu wirken beginnen. Nur so ließe sich an dieser Stelle mit Sicherheit sagen, dass dies bis hierhin mindestens ein herausragend schlechter Jahrgang des sogenannten RTL-Dschungelcamps ist, wenn nicht gar: ein Grund, zumindest seiner feuilletonistischen Überhöhung als große Fernsehkunst im Gewand einer voyeuristischen Ekelshow reumütig abzuschwören.

Da ein ausführlicher synoptischer Vergleich an dieser Stelle den Rahmen sprengen würde, muss es vorerst bei verklärten Erinnerungen daran bleiben, wie die Rolle des altersstarrsinnigen Exzentrikers noch mit respektablen Mimen wie Mathieu Carrière oder Winfried Glatzeder besetzt war, und nicht mit dem Teleshopping-Veteran Walter Freiwald. Der stellt ein handfestes Problem für all jene Rezipienten dar, die zwar Freude am teilweisen Kontrollverlust der Camp-Insassen haben, jedoch keinen pathologischen Irrsinn als harmlosen Scherz verkauft bekommen möchten. Denn alle Witze über Freiwalds von ihm selbst zur Schau gestellte und vom Schnitt erbarmungslos verdichtete Knallchargigkeit verbieten sich; ebenso vulgärpsychologische Begriffswelten von „manisch“ über „paranoid“ bis „bipolär“, wie es einer der Mitcamper sagt, worüber man sich aber auch nicht unbedingt lustig machen muss. Zu offensichtlich ist jener Walter Freiwald, was selbst seine narzisstischsten Vorgänger nicht waren: nicht mehr er selbst, wer auch immer er einmal war. Der, der da mit flackerndem Blick den Kameras neben allerlei anderen Verfolgungsfantasien etwas von einem Fotografen erzählt, der ihn bewusst ignoriert und damit seit Jahrzehnten seinen Durchbruch verhindert, ist so eindeutig nicht bei Sinnen, dass es zynisch wäre, seiner völlig unproduktiven Selbstentblößung hier noch einen Sinn einzuschreiben.

Grenzen des guten Geschmacks

Nun lässt sich gewiss darüber streiten, ob die Grenze des guten Geschmacks nach acht Staffeln „Ich bin ein Star, holt mich hier raus“ tatsächlich genau diesseits der Redebeiträge Walter Freiwalds verläuft. Vielleicht war schon das endlos erscheinende Martyrium der tollpatschigen, aber stolzen Model-Schauspielerin Larissa Marolt, die vor einem Jahr von den Zuschauern wieder und wieder in die ekligen „Dschungelprüfungen“ gewählt wurde, im weitesten Sinn unmenschlich – und man hat es nur nicht so wahrgenommen, weil Jugend immer Hoffnung birgt.

Unstrittig scheint dagegen, dass abseits der Freiwaldschen Monologe in diesem Jahr bis dato kaum etwas passiert ist, das routinierte #IBES-Zuschauer in irgendeiner Weise beeindrucken könnte. Das Model Sara Kulka absolvierte Dschungelprüfungen mit wachsender Tapferkeit, weshalb nun – die Telefonabstimmenden wollen es so – das Model Angelina Heger an ihrer statt eine Dschungelprüfung absolvieren muss. Das Moderatoren-Duo Sonja Zietlow und Daniel Hartwich macht anspielungsreiche Witze über die Einspieler aus dem Camp. Auf Facebook und Twitter – Stichwort „Second Screen“ – findet ein ironischer Diskurs über das Gesamtgeschehen statt, am gestrigen Sonntag allerdings abgedrängt durch die konkurrierenden Hashtags #jauch und #pegida beziehungsweise #nopegida. Dazu gesellen sich tägliche Online-Rezensionen großer und kleiner Medien, in denen es auch immer wieder darum geht, ob die Sendung in Online-Rezensionen anderer großer und kleiner Medien nun wahlweise über- oder unterschätzt wird. Daneben kann man dann noch ein Bullshit-Bingo mit typischen Dschungelcamp-Zuschauerphrasen spielen, oder einfach für sich feststellen, dass auf allen diesen Meta-Ebenen als einzig Neues in diesem Jahr festzustellen ist, wie häufig festgestellt wird, dass in diesem Jahr eigentlich nichts Neues mehr festzustellen ist.

Womit man dann wieder am Anfang wäre – und bei der leise mahnenden Erinnerung, dass bis dato noch jede Staffel der Dschungelshow ihre Zeit brauchte, um Erzählstränge zu entwickeln, die das laienhafte Rollenspiel der ersten Folgen vergessen machten. Und dass die jeweils dritten Ausgaben nie so stark waren, wie man sich nun zu erinnern meint. Zugleich bleibt da aber die Befürchtung, dass dieses Mal wirklich alles anders sein könnte. Denn war es nicht doch immer dieser dritte Tag gewesen, an dem sich die ersten Camper durch ehrliche Schilderungen ihrer jeweiligen Misere in Sätzen von oft erstaunlicher Klarheit jene Würde eroberten, die in dem Format eigentlich nicht vorgesehen ist und deshalb dort, Jahr für Jahr, umso stärker wirkt? An diesem Sonntag sagte Walter Freiwald: „Manchmal bin ich ein bisschen drüber – aber immer noch witzig.“ Und das war ganz und gar nicht witzig.

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